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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.
ungezwungen, sinnreich, und, ich weis selbst nicht
mehr, wie vortrefflich nannten. Jch fand ihn
aber, wider die Natur der andern abgeschiednen
Seelen, ganz verändert. Er war stumm, trocken,
nicht eine einzige Person in der Gesellschaft schien
das artige und witzige Wesen, so er vormals ge-
habt, an ihm zu finden. Jch bezeigte ihm meine
Verwunderung darüber. Er zuckte die Achseln
und versicherte mich, er sey die Unglückseligste unter
allen Seelen. Sein Absterben sey ihm so plötzlich
und unvermuthet gekommen, daß er in der Eil we-
der Uhr, noch Stockband, noch Tabaksdose mit sich
genommen. Drey Sachen, rief er, in welchen
meine ganze Lebhaftigkeit, mein ganzer Witz be-
stund! Was ist doch der Verstand eines Stutzers
ohne diese Stücke? Wenn ich einen artigen Scherz
machen will, so vermisse ich mein Stockband, und
meine feinen Einfälle auf einmal. Jch bin nicht
im Stande, das geringste Urtheil von Staats- und
gelehrten Sachen, ja nicht einmal von einem Ge-
dichte zu fällen, weil ich keine Priese Tabak neh-
men kann! Jch bedauerte diesen entkräfteten Stu-
tzer um desto aufrichtiger, da ich schon in meinem
Leben dergleichen Geschöpfe niemals ohne herzli-
ches Mitleiden ansehen können. Jch war nicht
im Stande, ihm zu seinem Witze wieder zu ver-
helfen, um deswillen ersann ich eine Ursache,
welche mich, wie ich vorgab, nöthigte, ihn zu ver-
lassen.

Mein Begleiter war eben im Begriffe, mir die
bekannte Geschichte von der abgeschiednen Seele

eines

von den abgeſchiednen Seelen.
ungezwungen, ſinnreich, und, ich weis ſelbſt nicht
mehr, wie vortrefflich nannten. Jch fand ihn
aber, wider die Natur der andern abgeſchiednen
Seelen, ganz veraͤndert. Er war ſtumm, trocken,
nicht eine einzige Perſon in der Geſellſchaft ſchien
das artige und witzige Weſen, ſo er vormals ge-
habt, an ihm zu finden. Jch bezeigte ihm meine
Verwunderung daruͤber. Er zuckte die Achſeln
und verſicherte mich, er ſey die Ungluͤckſeligſte unter
allen Seelen. Sein Abſterben ſey ihm ſo ploͤtzlich
und unvermuthet gekommen, daß er in der Eil we-
der Uhr, noch Stockband, noch Tabaksdoſe mit ſich
genommen. Drey Sachen, rief er, in welchen
meine ganze Lebhaftigkeit, mein ganzer Witz be-
ſtund! Was iſt doch der Verſtand eines Stutzers
ohne dieſe Stuͤcke? Wenn ich einen artigen Scherz
machen will, ſo vermiſſe ich mein Stockband, und
meine feinen Einfaͤlle auf einmal. Jch bin nicht
im Stande, das geringſte Urtheil von Staats- und
gelehrten Sachen, ja nicht einmal von einem Ge-
dichte zu faͤllen, weil ich keine Prieſe Tabak neh-
men kann! Jch bedauerte dieſen entkraͤfteten Stu-
tzer um deſto aufrichtiger, da ich ſchon in meinem
Leben dergleichen Geſchoͤpfe niemals ohne herzli-
ches Mitleiden anſehen koͤnnen. Jch war nicht
im Stande, ihm zu ſeinem Witze wieder zu ver-
helfen, um deswillen erſann ich eine Urſache,
welche mich, wie ich vorgab, noͤthigte, ihn zu ver-
laſſen.

Mein Begleiter war eben im Begriffe, mir die
bekannte Geſchichte von der abgeſchiednen Seele

eines
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[59/0059] von den abgeſchiednen Seelen. ungezwungen, ſinnreich, und, ich weis ſelbſt nicht mehr, wie vortrefflich nannten. Jch fand ihn aber, wider die Natur der andern abgeſchiednen Seelen, ganz veraͤndert. Er war ſtumm, trocken, nicht eine einzige Perſon in der Geſellſchaft ſchien das artige und witzige Weſen, ſo er vormals ge- habt, an ihm zu finden. Jch bezeigte ihm meine Verwunderung daruͤber. Er zuckte die Achſeln und verſicherte mich, er ſey die Ungluͤckſeligſte unter allen Seelen. Sein Abſterben ſey ihm ſo ploͤtzlich und unvermuthet gekommen, daß er in der Eil we- der Uhr, noch Stockband, noch Tabaksdoſe mit ſich genommen. Drey Sachen, rief er, in welchen meine ganze Lebhaftigkeit, mein ganzer Witz be- ſtund! Was iſt doch der Verſtand eines Stutzers ohne dieſe Stuͤcke? Wenn ich einen artigen Scherz machen will, ſo vermiſſe ich mein Stockband, und meine feinen Einfaͤlle auf einmal. Jch bin nicht im Stande, das geringſte Urtheil von Staats- und gelehrten Sachen, ja nicht einmal von einem Ge- dichte zu faͤllen, weil ich keine Prieſe Tabak neh- men kann! Jch bedauerte dieſen entkraͤfteten Stu- tzer um deſto aufrichtiger, da ich ſchon in meinem Leben dergleichen Geſchoͤpfe niemals ohne herzli- ches Mitleiden anſehen koͤnnen. Jch war nicht im Stande, ihm zu ſeinem Witze wieder zu ver- helfen, um deswillen erſann ich eine Urſache, welche mich, wie ich vorgab, noͤthigte, ihn zu ver- laſſen. Mein Begleiter war eben im Begriffe, mir die bekannte Geſchichte von der abgeſchiednen Seele eines

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/59>, abgerufen am 15.05.2024.