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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Die Unentbehrlichkeit der Reime

So bald man euch den Reim, den Witz der Verse, nimmt!
Daß unser großer Bav noch seine Saiten stimmt,
So manchen Namenstag in Demuth festlich feyert,
Und mit geschickter Hand die Mahlzeit sich erleyert;
Daß Mäv, der unsre Stadt durch seinen Ruhm erhebt,
Er, seiner Brüder Schmuck, im Ueberflusse lebt:
Daß Clelia nicht stolz den Dorimen verachtet,
Und er nicht ganz umsonst nach ihren Küssen schmachtet;
Daß Stentor sich mit Lust im Kupferstich erblickt,
Und sich die halbe Welt vor seinem Lorbeer bückt;
Daß itzt mein Pegasus nicht darf so ängstlich schäumen;
Dieß alles macht allein die Kunst, geschickt zu reimen.

Die Wahrheit schützt den Satz. Nehmt einen Todtenfluch,
Ein buntes Quodlibet, das schönste Liederbuch,
Das zierlichste Sonnet, das längste Hochzeitcarmen;
Und streicht die Reime weg. Was bleibt? Nicht ohn Erbarmen
Hört ihr, so lieblich es erst in die Ohren fiel,
Nur Scherze sonder Kraft, ein frostigs Wörterspiel,
Ein abgenutztes Nichts, das immer wiederkehret,
Und ein Geschwätz, das man beym Pöbel besser höret.
Bewundert ehrfurchtsvoll des Reimes Zauberkraft,
Der Bücher voller Schall aus einem Nichts erschafft!
Der Reim? Wie? Dieser Zwang, der das Gedicht entseelet?

So wirft ein Tadler ein. Der Henker, der uns quälet,
Der Ordnung und Verstand auf seine Folter streckt,
Die Wörter radebrecht, dem Dichter Angst erweckt,
Selbst den geduldigsten der Leser oft ermüdet,
Der Wahrheit und Natur in schwere Fesseln schmiedet,
Das Feuer - - - Frevler, schweig! Des Zwanges Mühsamkeit
Bringt gegen ihn dich auf, und was du sprichst, ist Neid.
Wie sollte wohl der Reim Verstand und Ordnung hindern,
Der Wahrheit Abbruch thun, und Geist und Feuer mindern?
Geh! Zähle selber nach! Sieh, viele reimen nicht,
Von denen alle Welt aus einem Munde spricht,
Daß

Die Unentbehrlichkeit der Reime

So bald man euch den Reim, den Witz der Verſe, nimmt!
Daß unſer großer Bav noch ſeine Saiten ſtimmt,
So manchen Namenstag in Demuth feſtlich feyert,
Und mit geſchickter Hand die Mahlzeit ſich erleyert;
Daß Maͤv, der unſre Stadt durch ſeinen Ruhm erhebt,
Er, ſeiner Bruͤder Schmuck, im Ueberfluſſe lebt:
Daß Clelia nicht ſtolz den Dorimen verachtet,
Und er nicht ganz umſonſt nach ihren Kuͤſſen ſchmachtet;
Daß Stentor ſich mit Luſt im Kupferſtich erblickt,
Und ſich die halbe Welt vor ſeinem Lorbeer buͤckt;
Daß itzt mein Pegaſus nicht darf ſo aͤngſtlich ſchaͤumen;
Dieß alles macht allein die Kunſt, geſchickt zu reimen.

Die Wahrheit ſchuͤtzt den Satz. Nehmt einen Todtenfluch,
Ein buntes Quodlibet, das ſchoͤnſte Liederbuch,
Das zierlichſte Sonnet, das laͤngſte Hochzeitcarmen;
Und ſtreicht die Reime weg. Was bleibt? Nicht ohn Erbarmen
Hoͤrt ihr, ſo lieblich es erſt in die Ohren fiel,
Nur Scherze ſonder Kraft, ein froſtigs Woͤrterſpiel,
Ein abgenutztes Nichts, das immer wiederkehret,
Und ein Geſchwaͤtz, das man beym Poͤbel beſſer hoͤret.
Bewundert ehrfurchtsvoll des Reimes Zauberkraft,
Der Buͤcher voller Schall aus einem Nichts erſchafft!
Der Reim? Wie? Dieſer Zwang, der das Gedicht entſeelet?

So wirft ein Tadler ein. Der Henker, der uns quaͤlet,
Der Ordnung und Verſtand auf ſeine Folter ſtreckt,
Die Woͤrter radebrecht, dem Dichter Angſt erweckt,
Selbſt den geduldigſten der Leſer oft ermuͤdet,
Der Wahrheit und Natur in ſchwere Feſſeln ſchmiedet,
Das Feuer ‒ ‒ ‒ Frevler, ſchweig! Des Zwanges Muͤhſamkeit
Bringt gegen ihn dich auf, und was du ſprichſt, iſt Neid.
Wie ſollte wohl der Reim Verſtand und Ordnung hindern,
Der Wahrheit Abbruch thun, und Geiſt und Feuer mindern?
Geh! Zaͤhle ſelber nach! Sieh, viele reimen nicht,
Von denen alle Welt aus einem Munde ſpricht,
Daß
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[6/0006] Die Unentbehrlichkeit der Reime So bald man euch den Reim, den Witz der Verſe, nimmt! Daß unſer großer Bav noch ſeine Saiten ſtimmt, So manchen Namenstag in Demuth feſtlich feyert, Und mit geſchickter Hand die Mahlzeit ſich erleyert; Daß Maͤv, der unſre Stadt durch ſeinen Ruhm erhebt, Er, ſeiner Bruͤder Schmuck, im Ueberfluſſe lebt: Daß Clelia nicht ſtolz den Dorimen verachtet, Und er nicht ganz umſonſt nach ihren Kuͤſſen ſchmachtet; Daß Stentor ſich mit Luſt im Kupferſtich erblickt, Und ſich die halbe Welt vor ſeinem Lorbeer buͤckt; Daß itzt mein Pegaſus nicht darf ſo aͤngſtlich ſchaͤumen; Dieß alles macht allein die Kunſt, geſchickt zu reimen. Die Wahrheit ſchuͤtzt den Satz. Nehmt einen Todtenfluch, Ein buntes Quodlibet, das ſchoͤnſte Liederbuch, Das zierlichſte Sonnet, das laͤngſte Hochzeitcarmen; Und ſtreicht die Reime weg. Was bleibt? Nicht ohn Erbarmen Hoͤrt ihr, ſo lieblich es erſt in die Ohren fiel, Nur Scherze ſonder Kraft, ein froſtigs Woͤrterſpiel, Ein abgenutztes Nichts, das immer wiederkehret, Und ein Geſchwaͤtz, das man beym Poͤbel beſſer hoͤret. Bewundert ehrfurchtsvoll des Reimes Zauberkraft, Der Buͤcher voller Schall aus einem Nichts erſchafft! Der Reim? Wie? Dieſer Zwang, der das Gedicht entſeelet? So wirft ein Tadler ein. Der Henker, der uns quaͤlet, Der Ordnung und Verſtand auf ſeine Folter ſtreckt, Die Woͤrter radebrecht, dem Dichter Angſt erweckt, Selbſt den geduldigſten der Leſer oft ermuͤdet, Der Wahrheit und Natur in ſchwere Feſſeln ſchmiedet, Das Feuer ‒ ‒ ‒ Frevler, ſchweig! Des Zwanges Muͤhſamkeit Bringt gegen ihn dich auf, und was du ſprichſt, iſt Neid. Wie ſollte wohl der Reim Verſtand und Ordnung hindern, Der Wahrheit Abbruch thun, und Geiſt und Feuer mindern? Geh! Zaͤhle ſelber nach! Sieh, viele reimen nicht, Von denen alle Welt aus einem Munde ſpricht, Daß

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/6>, abgerufen am 29.04.2024.