[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.von Buchdruckerstöcken. barn zu Schanden machen können, welche glauben,daß wir Deutschen zu wenig Witz, und zu viel Ernst- haftigkeit besitzen. Unsre muntern Jünglinge bre- chen uns die Bahn. Voll edler Verwegenheit un- ternehmen sie Beweise der schwersten und ernsthaf- testen Materien aus der Metaphysik, und dennoch alles mit einer spaßhaften Miene, und mit einer sehr merkwürdigen Lebhaftigkeit. Wenn sie von den ewigen Wahrheiten der besten Welt zu reden verspre- chen; so werden sie uns mit lachendem Munde er- zählen, daß die Augen ihrer Chloris reizend, und ihr Mund so bezaubernd sey, daß sie von ihrer besten Welt erst alsdann recht überführt werden könnten, wenn sie diesen Mund küssen dürften. "Das erste "Wesen aller Dinge legte mit weiser Vorsicht die "Kräfte in den Menschen, die Mittel zu wählen, wel- "che zu Beförderung seiner Glückseligkeit dienlich "sind, und dasjenige zu meiden, was ihm an Erlan- "gung derselben hinderlich seyn konnte." So präch- tig klingt ihr Satz. Fragt man nach dem Beweise? Der Beweis folgt unmittelbar drauf. "Jch wähle die "Chloe, weil ich bey ihrer Liebe der glückseligste bin; "Aber mit der größten Kaltsinnigkeit begegne ich "Selinden, denn ihre Sprödigkeit will keine Schäfer, "sondern Sklaven, haben." Jst dieser Beweis nicht ganz unerwartet? Jst er nicht eben um deswillen vortrefflich? Unser großer Philosoph liebt Chloen, und flieht Selinden! Warum? Denn das erste Wesen aller Dinge (§. 1.) legte mit weiser Vorsicht (§. 4.) die Kräfte in denselben (§. §. 9. 10.), durch eine freye Wahl (§. praeced.) sein Glück und sein Unglück
von Buchdruckerſtoͤcken. barn zu Schanden machen koͤnnen, welche glauben,daß wir Deutſchen zu wenig Witz, und zu viel Ernſt- haftigkeit beſitzen. Unſre muntern Juͤnglinge bre- chen uns die Bahn. Voll edler Verwegenheit un- ternehmen ſie Beweiſe der ſchwerſten und ernſthaf- teſten Materien aus der Metaphyſik, und dennoch alles mit einer ſpaßhaften Miene, und mit einer ſehr merkwuͤrdigen Lebhaftigkeit. Wenn ſie von den ewigen Wahrheiten der beſten Welt zu reden verſpre- chen; ſo werden ſie uns mit lachendem Munde er- zaͤhlen, daß die Augen ihrer Chloris reizend, und ihr Mund ſo bezaubernd ſey, daß ſie von ihrer beſten Welt erſt alsdann recht uͤberfuͤhrt werden koͤnnten, wenn ſie dieſen Mund kuͤſſen duͤrften. „Das erſte „Weſen aller Dinge legte mit weiſer Vorſicht die „Kraͤfte in den Menſchen, die Mittel zu waͤhlen, wel- „che zu Befoͤrderung ſeiner Gluͤckſeligkeit dienlich „ſind, und dasjenige zu meiden, was ihm an Erlan- „gung derſelben hinderlich ſeyn konnte.„ So praͤch- tig klingt ihr Satz. Fragt man nach dem Beweiſe? Der Beweis folgt unmittelbar drauf. „Jch waͤhle die „Chloe, weil ich bey ihrer Liebe der gluͤckſeligſte bin; „Aber mit der groͤßten Kaltſinnigkeit begegne ich „Selinden, denn ihre Sproͤdigkeit will keine Schaͤfer, „ſondern Sklaven, haben.„ Jſt dieſer Beweis nicht ganz unerwartet? Jſt er nicht eben um deswillen vortrefflich? Unſer großer Philoſoph liebt Chloen, und flieht Selinden! Warum? Denn das erſte Weſen aller Dinge (§. 1.) legte mit weiſer Vorſicht (§. 4.) die Kraͤfte in denſelben (§. §. 9. 10.), durch eine freye Wahl (§. praeced.) ſein Gluͤck und ſein Ungluͤck
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von Buchdruckerſtoͤcken.
barn zu Schanden machen koͤnnen, welche glauben,
daß wir Deutſchen zu wenig Witz, und zu viel Ernſt-
haftigkeit beſitzen. Unſre muntern Juͤnglinge bre-
chen uns die Bahn. Voll edler Verwegenheit un-
ternehmen ſie Beweiſe der ſchwerſten und ernſthaf-
teſten Materien aus der Metaphyſik, und dennoch
alles mit einer ſpaßhaften Miene, und mit einer ſehr
merkwuͤrdigen Lebhaftigkeit. Wenn ſie von den
ewigen Wahrheiten der beſten Welt zu reden verſpre-
chen; ſo werden ſie uns mit lachendem Munde er-
zaͤhlen, daß die Augen ihrer Chloris reizend, und ihr
Mund ſo bezaubernd ſey, daß ſie von ihrer beſten
Welt erſt alsdann recht uͤberfuͤhrt werden koͤnnten,
wenn ſie dieſen Mund kuͤſſen duͤrften. „Das erſte
„Weſen aller Dinge legte mit weiſer Vorſicht die
„Kraͤfte in den Menſchen, die Mittel zu waͤhlen, wel-
„che zu Befoͤrderung ſeiner Gluͤckſeligkeit dienlich
„ſind, und dasjenige zu meiden, was ihm an Erlan-
„gung derſelben hinderlich ſeyn konnte.„ So praͤch-
tig klingt ihr Satz. Fragt man nach dem Beweiſe?
Der Beweis folgt unmittelbar drauf. „Jch waͤhle die
„Chloe, weil ich bey ihrer Liebe der gluͤckſeligſte bin;
„Aber mit der groͤßten Kaltſinnigkeit begegne ich
„Selinden, denn ihre Sproͤdigkeit will keine Schaͤfer,
„ſondern Sklaven, haben.„ Jſt dieſer Beweis nicht
ganz unerwartet? Jſt er nicht eben um deswillen
vortrefflich? Unſer großer Philoſoph liebt Chloen,
und flieht Selinden! Warum? Denn das erſte
Weſen aller Dinge (§. 1.) legte mit weiſer Vorſicht
(§. 4.) die Kraͤfte in denſelben (§. §. 9. 10.), durch
eine freye Wahl (§. praeced.) ſein Gluͤck und ſein
Ungluͤck
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