"Jch habe in den Schriften des Plato eine "Stelle gefunden, die mich sehr aufmerk- "sam gemacht hat. Jn der Abhandlung "von der Einrichtung seiner neuen Republik ist er "sehr weitläuftig, wenn er auf die Fehler des Ma- "gistrats zu reden kömmt. Bey dieser Gelegen- "heit führt er ein attisches Sprüchwort an, wel- "ches ungefähr so viel sagt, daß einige Raths- "herren in Athen zum Nutzen, andre aber "nur zur Zierde des Vaterlandes zu dieser "Ehrenstelle erhoben worden*. Jch habe die- "sen Gedanken ganz neu gefunden; und ich wun- "dre mich, daß seit so viel Jahrhunderten nie- "mand darauf gefallen ist, durch den Ausspruch "eines so weisen Mannes den verjährten Eigen- "sinn zu besiegen, der sich noch in allen Städten "durchgängig behauptet, und der verhindert, daß "niemand in den Rath kommen kann, als wer die "Geschicklichkeit und den Willen hat, dem Vater- "lande zu nützen. Wie viele wohlgebildete Kin- "der der Stadt, denen es am Verstande fehlt, "würden Brod haben, wenn man wenigstens ei- "ne gewisse Anzahl aufnähme, welche nur zur "Zierde des Vaterlandes ernährt würden. Man
"könn-
*Tous men phasi ergo ophelountas, tous de dia to semnunethai - - kosmon parekhontas.Plato. Rep. l. 2. p. m. 413.
Satyriſche Briefe.
„Jch habe in den Schriften des Plato eine „Stelle gefunden, die mich ſehr aufmerk- „ſam gemacht hat. Jn der Abhandlung „von der Einrichtung ſeiner neuen Republik iſt er „ſehr weitlaͤuftig, wenn er auf die Fehler des Ma- „giſtrats zu reden koͤmmt. Bey dieſer Gelegen- „heit fuͤhrt er ein attiſches Spruͤchwort an, wel- „ches ungefaͤhr ſo viel ſagt, daß einige Raths- „herren in Athen zum Nutzen, andre aber „nur zur Zierde des Vaterlandes zu dieſer „Ehrenſtelle erhoben worden*. Jch habe die- „ſen Gedanken ganz neu gefunden; und ich wun- „dre mich, daß ſeit ſo viel Jahrhunderten nie- „mand darauf gefallen iſt, durch den Ausſpruch „eines ſo weiſen Mannes den verjaͤhrten Eigen- „ſinn zu beſiegen, der ſich noch in allen Staͤdten „durchgaͤngig behauptet, und der verhindert, daß „niemand in den Rath kommen kann, als wer die „Geſchicklichkeit und den Willen hat, dem Vater- „lande zu nuͤtzen. Wie viele wohlgebildete Kin- „der der Stadt, denen es am Verſtande fehlt, „wuͤrden Brod haben, wenn man wenigſtens ei- „ne gewiſſe Anzahl aufnaͤhme, welche nur zur „Zierde des Vaterlandes ernaͤhrt wuͤrden. Man
„koͤnn-
*Τους μεν φασι ἐργῳ ὠφελουντας, τους δε δια το σεμνυνεϑαι ‒ ‒ κοσμον παρεχοντας.Plato. Rep. l. 2. p. m. 413.
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Satyriſche Briefe.
„Jch habe in den Schriften des Plato eine
„Stelle gefunden, die mich ſehr aufmerk-
„ſam gemacht hat. Jn der Abhandlung
„von der Einrichtung ſeiner neuen Republik iſt er
„ſehr weitlaͤuftig, wenn er auf die Fehler des Ma-
„giſtrats zu reden koͤmmt. Bey dieſer Gelegen-
„heit fuͤhrt er ein attiſches Spruͤchwort an, wel-
„ches ungefaͤhr ſo viel ſagt, daß einige Raths-
„herren in Athen zum Nutzen, andre aber
„nur zur Zierde des Vaterlandes zu dieſer
„Ehrenſtelle erhoben worden *. Jch habe die-
„ſen Gedanken ganz neu gefunden; und ich wun-
„dre mich, daß ſeit ſo viel Jahrhunderten nie-
„mand darauf gefallen iſt, durch den Ausſpruch
„eines ſo weiſen Mannes den verjaͤhrten Eigen-
„ſinn zu beſiegen, der ſich noch in allen Staͤdten
„durchgaͤngig behauptet, und der verhindert, daß
„niemand in den Rath kommen kann, als wer die
„Geſchicklichkeit und den Willen hat, dem Vater-
„lande zu nuͤtzen. Wie viele wohlgebildete Kin-
„der der Stadt, denen es am Verſtande fehlt,
„wuͤrden Brod haben, wenn man wenigſtens ei-
„ne gewiſſe Anzahl aufnaͤhme, welche nur zur
„Zierde des Vaterlandes ernaͤhrt wuͤrden. Man
„koͤnn-
* Τους μεν φασι ἐργῳ ὠφελουντας, τους δε δια το
σεμνυνεϑαι ‒ ‒ κοσμον παρεχοντας. Plato.
Rep. l. 2. p. m. 413.
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/160>, abgerufen am 23.11.2024.
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