"ten Antwort bin ich mit der größten Hochach- "tung,
Mademoiselle, Dero [Spaltenumbruch]
den 22 May 1736. [Spaltenumbruch]
ergebenster Diener R. - - -
Wie meynen Sie, mein Herr, daß ich diesen Brief aufnahm? Jtzt, da ich Zeit habe, ihn ge- laßner zu überdenken, finde ich in der That alles drinnen, was man von einem vernünftigen Lieb- haber fodern kann. Damals aber dachte ich ganz anders. Er kam mir frostig und altvätrisch vor, und ich glaubte nichts, als die letzten Flam- men eines verliebten Wittwers wahrzunehmen, wel- cher aus Liebe zu seinen armen Waysen zu guter letzt noch einmal zärtlich thut, um für sie eine gute Wärterinn zu erfreyen. Unendlich reizender und schätzbarer waren mir die Schmeicheleyen ei- nes jungen von Adel aus der Nachbarschaft, der mich seit fünf Jahren versicherte, daß ich schön, und seine Göttinn sey. Sagte der Herr Hofrath wohl so etwas, und hat er wohl mit einem Worte an meine Schönheit
gedacht,
M 5
Satyriſche Briefe.
„ten Antwort bin ich mit der groͤßten Hochach- „tung,
Mademoiſelle, Dero [Spaltenumbruch]
den 22 May 1736. [Spaltenumbruch]
ergebenſter Diener R. ‒ ‒ ‒
Wie meynen Sie, mein Herr, daß ich dieſen Brief aufnahm? Jtzt, da ich Zeit habe, ihn ge- laßner zu uͤberdenken, finde ich in der That alles drinnen, was man von einem vernuͤnftigen Lieb- haber fodern kann. Damals aber dachte ich ganz anders. Er kam mir froſtig und altvaͤtriſch vor, und ich glaubte nichts, als die letzten Flam- men eines verliebten Wittwers wahrzunehmen, wel- cher aus Liebe zu ſeinen armen Wayſen zu guter letzt noch einmal zaͤrtlich thut, um fuͤr ſie eine gute Waͤrterinn zu erfreyen. Unendlich reizender und ſchaͤtzbarer waren mir die Schmeicheleyen ei- nes jungen von Adel aus der Nachbarſchaft, der mich ſeit fuͤnf Jahren verſicherte, daß ich ſchoͤn, und ſeine Goͤttinn ſey. Sagte der Herr Hofrath wohl ſo etwas, und hat er wohl mit einem Worte an meine Schoͤnheit
gedacht,
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Satyriſche Briefe.
„ten Antwort bin ich mit der groͤßten Hochach-
„tung,
Mademoiſelle,
Dero
den 22 May
1736.
ergebenſter Diener
R. ‒ ‒ ‒
Wie meynen Sie, mein Herr, daß ich dieſen
Brief aufnahm? Jtzt, da ich Zeit habe, ihn ge-
laßner zu uͤberdenken, finde ich in der That alles
drinnen, was man von einem vernuͤnftigen Lieb-
haber fodern kann. Damals aber dachte ich
ganz anders. Er kam mir froſtig und altvaͤtriſch
vor, und ich glaubte nichts, als die letzten Flam-
men eines verliebten Wittwers wahrzunehmen, wel-
cher aus Liebe zu ſeinen armen Wayſen zu guter
letzt noch einmal zaͤrtlich thut, um fuͤr ſie eine gute
Waͤrterinn zu erfreyen. Unendlich reizender und
ſchaͤtzbarer waren mir die Schmeicheleyen ei-
nes jungen von Adel aus der Nachbarſchaft,
der mich ſeit fuͤnf Jahren verſicherte, daß
ich ſchoͤn, und ſeine Goͤttinn ſey. Sagte der
Herr Hofrath wohl ſo etwas, und hat er
wohl mit einem Worte an meine Schoͤnheit
gedacht,
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/213>, abgerufen am 27.11.2024.
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