Dieser Brief brach meinem Vater das Herz. Der Herr Professor hatte ihn auf der schwachen Seite angegriffen; denn er war wider die Ge- wohnheit der meisten Männer so schwach, daß er niemals ohne zärtliche Empfindlichkeit an den Tod seiner Frau denken konnte. Die Person des Herrn Professors, seine Gelehrsamkeit, seine gu- ten Einkünfte waren ihm bekannt. Vielleicht kam auch dieses dazu, daß er sich die Last, eine erwachsne Tochter zu hüten, vom Halse schaffen wollte. Er redete mir sehr ernstlich zu, ich sollte den Vorschlag annehmen. Sein hohes Alter, seine übrigen Umstände mußten ihm dazu dienen, mich zu bereden. Jch wußte auf alles eine Ant- wort, und wenn ich nicht weiter konnte: so gab ich ihm zu verstehn, daß ich mich entschlossen hät- te, gar nicht zu heirathen. Ein närrischer Ent- schluß, meynte mein Vater; er war aber auch nicht so ernstlich gemeynt. Vierzehn Tage brachte er zu, mich zu bekehren; immer war seine redliche Mühe vergebens. Endlich bat ich mir vier Wo- chen Bedenkzeit aus. Jch erhielt sie, und wen- dete diese Zeit dazu an, ohne Vorwissen meines Vaters dem Herrn Professor folgende Antwort zu überschicken.
Mein Herr,
"Auf Befehl meines Vaters habe ich die Ehre, "Jhnen für die wohlgemeynte Condolenz we-
"gen
Satyriſche Briefe.
Dieſer Brief brach meinem Vater das Herz. Der Herr Profeſſor hatte ihn auf der ſchwachen Seite angegriffen; denn er war wider die Ge- wohnheit der meiſten Maͤnner ſo ſchwach, daß er niemals ohne zaͤrtliche Empfindlichkeit an den Tod ſeiner Frau denken konnte. Die Perſon des Herrn Profeſſors, ſeine Gelehrſamkeit, ſeine gu- ten Einkuͤnfte waren ihm bekannt. Vielleicht kam auch dieſes dazu, daß er ſich die Laſt, eine erwachſne Tochter zu huͤten, vom Halſe ſchaffen wollte. Er redete mir ſehr ernſtlich zu, ich ſollte den Vorſchlag annehmen. Sein hohes Alter, ſeine uͤbrigen Umſtaͤnde mußten ihm dazu dienen, mich zu bereden. Jch wußte auf alles eine Ant- wort, und wenn ich nicht weiter konnte: ſo gab ich ihm zu verſtehn, daß ich mich entſchloſſen haͤt- te, gar nicht zu heirathen. Ein naͤrriſcher Ent- ſchluß, meynte mein Vater; er war aber auch nicht ſo ernſtlich gemeynt. Vierzehn Tage brachte er zu, mich zu bekehren; immer war ſeine redliche Muͤhe vergebens. Endlich bat ich mir vier Wo- chen Bedenkzeit aus. Jch erhielt ſie, und wen- dete dieſe Zeit dazu an, ohne Vorwiſſen meines Vaters dem Herrn Profeſſor folgende Antwort zu uͤberſchicken.
Mein Herr,
„Auf Befehl meines Vaters habe ich die Ehre, „Jhnen fuͤr die wohlgemeynte Condolenz we-
„gen
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Satyriſche Briefe.
Dieſer Brief brach meinem Vater das Herz.
Der Herr Profeſſor hatte ihn auf der ſchwachen
Seite angegriffen; denn er war wider die Ge-
wohnheit der meiſten Maͤnner ſo ſchwach, daß er
niemals ohne zaͤrtliche Empfindlichkeit an den Tod
ſeiner Frau denken konnte. Die Perſon des
Herrn Profeſſors, ſeine Gelehrſamkeit, ſeine gu-
ten Einkuͤnfte waren ihm bekannt. Vielleicht
kam auch dieſes dazu, daß er ſich die Laſt, eine
erwachſne Tochter zu huͤten, vom Halſe ſchaffen
wollte. Er redete mir ſehr ernſtlich zu, ich ſollte
den Vorſchlag annehmen. Sein hohes Alter,
ſeine uͤbrigen Umſtaͤnde mußten ihm dazu dienen,
mich zu bereden. Jch wußte auf alles eine Ant-
wort, und wenn ich nicht weiter konnte: ſo gab
ich ihm zu verſtehn, daß ich mich entſchloſſen haͤt-
te, gar nicht zu heirathen. Ein naͤrriſcher Ent-
ſchluß, meynte mein Vater; er war aber auch nicht
ſo ernſtlich gemeynt. Vierzehn Tage brachte er
zu, mich zu bekehren; immer war ſeine redliche
Muͤhe vergebens. Endlich bat ich mir vier Wo-
chen Bedenkzeit aus. Jch erhielt ſie, und wen-
dete dieſe Zeit dazu an, ohne Vorwiſſen meines
Vaters dem Herrn Profeſſor folgende Antwort
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„Jhnen fuͤr die wohlgemeynte Condolenz we-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/230>, abgerufen am 23.11.2024.
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