[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.Satyrische Briefe. als Frau im Namen Gottes mit Jhnen zu hun-gern. Glauben Sie mir, es geschieht nicht aus Leichtsinn, daß ich so schreibe. Sie kennen mich. So lebhaft ich bin, so ernsthaft bin ich auch, wenn ich an eine Verbindung denke, deren Folgen so wichtig sind. Jch bin überzeugt, daß Sie der rechtschaffenste Mann von der Welt sind, daß Sie mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen würden, mich glücklich zu machen; daß unser Eh- stand ein wahres Muster einer vernünftigen Ehe seyn würde. Das alles weiß ich. Aber, mein Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer Freundschaft, verstehn Sie mich wohl, aus bloßer Liebe zu Jhnen, mag ich Sie nicht zum Manne ha- ben. Glauben Sie denn, daß unser Ehstand nur vier und zwanzig Stunden dauern soll? Und glauben Sie denn, wenn man vier und zwanzig Stunden Wasser und Brod gegessen hat, daß man sich nicht ein wenig Fleisch und Zukost wünscht. Bey einem leeren Magen kann sichs unmöglich lan- ge zärtlich lieben. Stellen Sie Sich einmal vor, daß wir in christlichem Vertrauen auf die Vorsorge des Himmels Mann und Weib sind; daß Sie an diesem Ende der Stube sitzen, und ich an dem an- dern; daß Sie nichts zu essen haben, und daß mich hungert; daß ich aus Liebe zu Jhnen recht satt thue, und daß Sie aus zärtlicher Gegenliebe den Kopf traurig stützen, und unruhig nachdenken, wo Sie etwas zu essen für Jhre verhungerte Hälfte, für Jhr anders Jch hernehmen sollen: was für ein Himmel der Z 4
Satyriſche Briefe. als Frau im Namen Gottes mit Jhnen zu hun-gern. Glauben Sie mir, es geſchieht nicht aus Leichtſinn, daß ich ſo ſchreibe. Sie kennen mich. So lebhaft ich bin, ſo ernſthaft bin ich auch, wenn ich an eine Verbindung denke, deren Folgen ſo wichtig ſind. Jch bin uͤberzeugt, daß Sie der rechtſchaffenſte Mann von der Welt ſind, daß Sie mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen wuͤrden, mich gluͤcklich zu machen; daß unſer Eh- ſtand ein wahres Muſter einer vernuͤnftigen Ehe ſeyn wuͤrde. Das alles weiß ich. Aber, mein Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer Freundſchaft, verſtehn Sie mich wohl, aus bloßer Liebe zu Jhnen, mag ich Sie nicht zum Manne ha- ben. Glauben Sie denn, daß unſer Ehſtand nur vier und zwanzig Stunden dauern ſoll? Und glauben Sie denn, wenn man vier und zwanzig Stunden Waſſer und Brod gegeſſen hat, daß man ſich nicht ein wenig Fleiſch und Zukoſt wuͤnſcht. Bey einem leeren Magen kann ſichs unmoͤglich lan- ge zaͤrtlich lieben. Stellen Sie Sich einmal vor, daß wir in chriſtlichem Vertrauen auf die Vorſorge des Himmels Mann und Weib ſind; daß Sie an dieſem Ende der Stube ſitzen, und ich an dem an- dern; daß Sie nichts zu eſſen haben, und daß mich hungert; daß ich aus Liebe zu Jhnen recht ſatt thue, und daß Sie aus zaͤrtlicher Gegenliebe den Kopf traurig ſtuͤtzen, und unruhig nachdenken, wo Sie etwas zu eſſen fuͤr Jhre verhungerte Haͤlfte, fuͤr Jhr anders Jch hernehmen ſollen: was fuͤr ein Himmel der Z 4
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Satyriſche Briefe.
als Frau im Namen Gottes mit Jhnen zu hun-
gern. Glauben Sie mir, es geſchieht nicht aus
Leichtſinn, daß ich ſo ſchreibe. Sie kennen mich.
So lebhaft ich bin, ſo ernſthaft bin ich auch, wenn
ich an eine Verbindung denke, deren Folgen ſo
wichtig ſind. Jch bin uͤberzeugt, daß Sie der
rechtſchaffenſte Mann von der Welt ſind, daß Sie
mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen
wuͤrden, mich gluͤcklich zu machen; daß unſer Eh-
ſtand ein wahres Muſter einer vernuͤnftigen Ehe
ſeyn wuͤrde. Das alles weiß ich. Aber, mein
Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer
Freundſchaft, verſtehn Sie mich wohl, aus bloßer
Liebe zu Jhnen, mag ich Sie nicht zum Manne ha-
ben. Glauben Sie denn, daß unſer Ehſtand
nur vier und zwanzig Stunden dauern ſoll? Und
glauben Sie denn, wenn man vier und zwanzig
Stunden Waſſer und Brod gegeſſen hat, daß
man ſich nicht ein wenig Fleiſch und Zukoſt wuͤnſcht.
Bey einem leeren Magen kann ſichs unmoͤglich lan-
ge zaͤrtlich lieben. Stellen Sie Sich einmal vor,
daß wir in chriſtlichem Vertrauen auf die Vorſorge
des Himmels Mann und Weib ſind; daß Sie an
dieſem Ende der Stube ſitzen, und ich an dem an-
dern; daß Sie nichts zu eſſen haben, und daß mich
hungert; daß ich aus Liebe zu Jhnen recht ſatt thue,
und daß Sie aus zaͤrtlicher Gegenliebe den Kopf
traurig ſtuͤtzen, und unruhig nachdenken, wo Sie
etwas zu eſſen fuͤr Jhre verhungerte Haͤlfte, fuͤr Jhr
anders Jch hernehmen ſollen: was fuͤr ein Himmel
der
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