[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.Satyrische Briefe. das gut genug, und wenn ich ein Bauer wäre, solebte ich vielleicht auch fromm, weil ich sonst nichts zu thun hätte; aber für Männer vom Stande, und für uns, die wir alte Landedelleute sind, sieht das andächtige Kopfhängen sehr albern aus. Wä- re es nach deinem alten Murrkopfe gegangen, so würdest du ein erbarer, frommer, christlicher Bür- ger, und dem ganzen Adel lächerlich geworden seyn. Was meynst du, Brüderchen, was ist rühmlicher, über der Postille, oder beym Deckelglase einzu- schlafen? Laß die Pfaffen für uns beten, wir wol- len für sie saufen. Jeder nach seinem Berufe! Aber auf diese Art fahrt ihr dahin, wie das Vieh, sagte dein Alter. Gut! Wer weiß denn auch, obs wahr ist. Fahren wir, wie unsere Alten, so wol- len wir auch leben, wie unsere Alten. Es waren doch beym Henker ganze Leute, die auf ihren alten Adel hielten. Ländlich, sittlich! Ein rechtschaff- ner Deutscher müßte sein Vaterland wenig lieben, wenn er deswegen nach Frankreich reisen wollte, daß er Wasser trinken lernte. Aber zum Haupt- werke zu kommen. Du brauchst einen neuen Pfar- rer. Jch will dir einen vorschlagen, das ist ein gan- zer Kerl. Er ist zehn Jahre als Feldprediger bey mei- nem Regimente mit herum gelaufen, und er ist recht, wie ich mir ihn wünsche. Er hat an mich geschrieben, und gebeten, dir ihn vorzuschlagen. Da, lies den Brief selbst. Jch verliere ihn un- gern. Der ist recht nach deinem Herzen. Und wenn du gar nicht in die Kirche kämst, so wird er nicht C 4
Satyriſche Briefe. das gut genug, und wenn ich ein Bauer waͤre, ſolebte ich vielleicht auch fromm, weil ich ſonſt nichts zu thun haͤtte; aber fuͤr Maͤnner vom Stande, und fuͤr uns, die wir alte Landedelleute ſind, ſieht das andaͤchtige Kopfhaͤngen ſehr albern aus. Waͤ- re es nach deinem alten Murrkopfe gegangen, ſo wuͤrdeſt du ein erbarer, frommer, chriſtlicher Buͤr- ger, und dem ganzen Adel laͤcherlich geworden ſeyn. Was meynſt du, Bruͤderchen, was iſt ruͤhmlicher, uͤber der Poſtille, oder beym Deckelglaſe einzu- ſchlafen? Laß die Pfaffen fuͤr uns beten, wir wol- len fuͤr ſie ſaufen. Jeder nach ſeinem Berufe! Aber auf dieſe Art fahrt ihr dahin, wie das Vieh, ſagte dein Alter. Gut! Wer weiß denn auch, obs wahr iſt. Fahren wir, wie unſere Alten, ſo wol- len wir auch leben, wie unſere Alten. Es waren doch beym Henker ganze Leute, die auf ihren alten Adel hielten. Laͤndlich, ſittlich! Ein rechtſchaff- ner Deutſcher muͤßte ſein Vaterland wenig lieben, wenn er deswegen nach Frankreich reiſen wollte, daß er Waſſer trinken lernte. Aber zum Haupt- werke zu kommen. Du brauchſt einen neuen Pfar- rer. Jch will dir einen vorſchlagen, das iſt ein gan- zer Kerl. Er iſt zehn Jahre als Feldprediger bey mei- nem Regimente mit herum gelaufen, und er iſt recht, wie ich mir ihn wuͤnſche. Er hat an mich geſchrieben, und gebeten, dir ihn vorzuſchlagen. Da, lies den Brief ſelbſt. Jch verliere ihn un- gern. Der iſt recht nach deinem Herzen. Und wenn du gar nicht in die Kirche kaͤmſt, ſo wird er nicht C 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0067" n="39"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/> das gut genug, und wenn ich ein Bauer waͤre, ſo<lb/> lebte ich vielleicht auch fromm, weil ich ſonſt nichts<lb/> zu thun haͤtte; aber fuͤr Maͤnner vom Stande,<lb/> und fuͤr uns, die wir alte Landedelleute ſind, ſieht<lb/> das andaͤchtige Kopfhaͤngen ſehr albern aus. Waͤ-<lb/> re es nach deinem alten Murrkopfe gegangen, ſo<lb/> wuͤrdeſt du ein erbarer, frommer, chriſtlicher Buͤr-<lb/> ger, und dem ganzen Adel laͤcherlich geworden ſeyn.<lb/> Was meynſt du, Bruͤderchen, was iſt ruͤhmlicher,<lb/> uͤber der Poſtille, oder beym Deckelglaſe einzu-<lb/> ſchlafen? Laß die Pfaffen fuͤr uns beten, wir wol-<lb/> len fuͤr ſie ſaufen. Jeder nach ſeinem Berufe!<lb/> Aber auf dieſe Art fahrt ihr dahin, wie das Vieh,<lb/> ſagte dein Alter. Gut! Wer weiß denn auch, obs<lb/> wahr iſt. Fahren wir, wie unſere Alten, ſo wol-<lb/> len wir auch leben, wie unſere Alten. Es waren<lb/> doch beym Henker ganze Leute, die auf ihren alten<lb/> Adel hielten. Laͤndlich, ſittlich! Ein rechtſchaff-<lb/> ner Deutſcher muͤßte ſein Vaterland wenig lieben,<lb/> wenn er deswegen nach Frankreich reiſen wollte,<lb/> daß er Waſſer trinken lernte. Aber zum Haupt-<lb/> werke zu kommen. Du brauchſt einen neuen Pfar-<lb/> rer. Jch will dir einen vorſchlagen, das iſt ein gan-<lb/> zer Kerl. Er iſt zehn Jahre als Feldprediger bey mei-<lb/> nem Regimente mit herum gelaufen, und er iſt<lb/> recht, wie ich mir ihn wuͤnſche. Er hat an mich<lb/> geſchrieben, und gebeten, dir ihn vorzuſchlagen.<lb/> Da, lies den Brief ſelbſt. Jch verliere ihn un-<lb/> gern. Der iſt recht nach deinem Herzen. Und<lb/> wenn du gar nicht in die Kirche kaͤmſt, ſo wird er<lb/> <fw place="bottom" type="sig">C 4</fw><fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [39/0067]
Satyriſche Briefe.
das gut genug, und wenn ich ein Bauer waͤre, ſo
lebte ich vielleicht auch fromm, weil ich ſonſt nichts
zu thun haͤtte; aber fuͤr Maͤnner vom Stande,
und fuͤr uns, die wir alte Landedelleute ſind, ſieht
das andaͤchtige Kopfhaͤngen ſehr albern aus. Waͤ-
re es nach deinem alten Murrkopfe gegangen, ſo
wuͤrdeſt du ein erbarer, frommer, chriſtlicher Buͤr-
ger, und dem ganzen Adel laͤcherlich geworden ſeyn.
Was meynſt du, Bruͤderchen, was iſt ruͤhmlicher,
uͤber der Poſtille, oder beym Deckelglaſe einzu-
ſchlafen? Laß die Pfaffen fuͤr uns beten, wir wol-
len fuͤr ſie ſaufen. Jeder nach ſeinem Berufe!
Aber auf dieſe Art fahrt ihr dahin, wie das Vieh,
ſagte dein Alter. Gut! Wer weiß denn auch, obs
wahr iſt. Fahren wir, wie unſere Alten, ſo wol-
len wir auch leben, wie unſere Alten. Es waren
doch beym Henker ganze Leute, die auf ihren alten
Adel hielten. Laͤndlich, ſittlich! Ein rechtſchaff-
ner Deutſcher muͤßte ſein Vaterland wenig lieben,
wenn er deswegen nach Frankreich reiſen wollte,
daß er Waſſer trinken lernte. Aber zum Haupt-
werke zu kommen. Du brauchſt einen neuen Pfar-
rer. Jch will dir einen vorſchlagen, das iſt ein gan-
zer Kerl. Er iſt zehn Jahre als Feldprediger bey mei-
nem Regimente mit herum gelaufen, und er iſt
recht, wie ich mir ihn wuͤnſche. Er hat an mich
geſchrieben, und gebeten, dir ihn vorzuſchlagen.
Da, lies den Brief ſelbſt. Jch verliere ihn un-
gern. Der iſt recht nach deinem Herzen. Und
wenn du gar nicht in die Kirche kaͤmſt, ſo wird er
nicht
C 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |