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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.

Auf der Börse, (man wird mich vielleicht aus-
lachen, daß ich so etwas behaupte, aber es sey
drum!) auf der Börse, sage ich, ist die Ehrlichkeit
beynahe unentbehrlicher, als irgendswo. - - -
Was ich hier sage, ist freylich kein allgemeiner
Satz. - - - - - - - - - - - - -

Man darf nur eine Stunde lang in einer sol-
chen Gesellschaft seyn, so wird man von dem, was
ich behaupte, überzeugt werden. Mir ist es so
gegangen. Jch war vor einiger Zeit an einem
Orte, wo verschiedne zusammen kamen, von de-
nen man mich versicherte, daß sie angesehene
Kaufleute wären. Sie traten mit einer rechnen-
den Miene und einem so zerstreueten Gesichte in
das Zimmer, daß ich mir, ehe ich wußte, wer
sie wären, nichts gutes zu ihnen versahe. Jch
nahm meine Börse in Acht, und verbarg meine
Uhr, weil ich sie für Leute hielt, welche auf der-
gleichen Sachen ihre Absicht haben. Jch fand
mich, zu meinem Vergnügen, in meiner Furcht
betrogen. Ein Glas Wein machte sie offenher-
zig. Der eine erzählte, wie viel er bey einem
unmündigen Verschwender gewonnen habe, dem
er auf die Versicherung, daß sein reicher Vater
nicht lange mehr leben könne, ein ansehnliches
Capital zu seinem nothdürftigen Plaisir, wie er
es nennte, theils im baaren Gelde, theils an
verschiednen Waaren, und theils an altem doch
ganz brauchbarem Hausgeräthe vorgeschossen
habe. Ein andrer zog eine Bilance vor, nach

wel-
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.

Auf der Boͤrſe, (man wird mich vielleicht aus-
lachen, daß ich ſo etwas behaupte, aber es ſey
drum!) auf der Boͤrſe, ſage ich, iſt die Ehrlichkeit
beynahe unentbehrlicher, als irgendswo. ‒ ‒ ‒
Was ich hier ſage, iſt freylich kein allgemeiner
Satz. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

Man darf nur eine Stunde lang in einer ſol-
chen Geſellſchaft ſeyn, ſo wird man von dem, was
ich behaupte, uͤberzeugt werden. Mir iſt es ſo
gegangen. Jch war vor einiger Zeit an einem
Orte, wo verſchiedne zuſammen kamen, von de-
nen man mich verſicherte, daß ſie angeſehene
Kaufleute waͤren. Sie traten mit einer rechnen-
den Miene und einem ſo zerſtreueten Geſichte in
das Zimmer, daß ich mir, ehe ich wußte, wer
ſie waͤren, nichts gutes zu ihnen verſahe. Jch
nahm meine Boͤrſe in Acht, und verbarg meine
Uhr, weil ich ſie fuͤr Leute hielt, welche auf der-
gleichen Sachen ihre Abſicht haben. Jch fand
mich, zu meinem Vergnuͤgen, in meiner Furcht
betrogen. Ein Glas Wein machte ſie offenher-
zig. Der eine erzaͤhlte, wie viel er bey einem
unmuͤndigen Verſchwender gewonnen habe, dem
er auf die Verſicherung, daß ſein reicher Vater
nicht lange mehr leben koͤnne, ein anſehnliches
Capital zu ſeinem nothduͤrftigen Plaiſir, wie er
es nennte, theils im baaren Gelde, theils an
verſchiednen Waaren, und theils an altem doch
ganz brauchbarem Hausgeraͤthe vorgeſchoſſen
habe. Ein andrer zog eine Bilance vor, nach

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[95/0117] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Auf der Boͤrſe, (man wird mich vielleicht aus- lachen, daß ich ſo etwas behaupte, aber es ſey drum!) auf der Boͤrſe, ſage ich, iſt die Ehrlichkeit beynahe unentbehrlicher, als irgendswo. ‒ ‒ ‒ Was ich hier ſage, iſt freylich kein allgemeiner Satz. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Man darf nur eine Stunde lang in einer ſol- chen Geſellſchaft ſeyn, ſo wird man von dem, was ich behaupte, uͤberzeugt werden. Mir iſt es ſo gegangen. Jch war vor einiger Zeit an einem Orte, wo verſchiedne zuſammen kamen, von de- nen man mich verſicherte, daß ſie angeſehene Kaufleute waͤren. Sie traten mit einer rechnen- den Miene und einem ſo zerſtreueten Geſichte in das Zimmer, daß ich mir, ehe ich wußte, wer ſie waͤren, nichts gutes zu ihnen verſahe. Jch nahm meine Boͤrſe in Acht, und verbarg meine Uhr, weil ich ſie fuͤr Leute hielt, welche auf der- gleichen Sachen ihre Abſicht haben. Jch fand mich, zu meinem Vergnuͤgen, in meiner Furcht betrogen. Ein Glas Wein machte ſie offenher- zig. Der eine erzaͤhlte, wie viel er bey einem unmuͤndigen Verſchwender gewonnen habe, dem er auf die Verſicherung, daß ſein reicher Vater nicht lange mehr leben koͤnne, ein anſehnliches Capital zu ſeinem nothduͤrftigen Plaiſir, wie er es nennte, theils im baaren Gelde, theils an verſchiednen Waaren, und theils an altem doch ganz brauchbarem Hausgeraͤthe vorgeſchoſſen habe. Ein andrer zog eine Bilance vor, nach wel-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/117>, abgerufen am 27.11.2024.