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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
Tausend Redensarten wollte ich anführen, wo
das Wort Liebe nur von unverheiratheten, nie-
mals von verehlichten Personen, oder in diesem
Falle nur poetisch und metaphorisch gebraucht
wird. Wenn man dieses einräumt, so ist unser
Sprüchwort gerettet, und es bleibt allemal wahr,
daß alte Liebe gegen Personen, die sich nicht ver-
heirathet haben, niemals rostet.

Aber auch bey verehlichten Personen findet es
seinen Platz, wenn die Liebe von andern Sachen,
als von der Frau oder dem Manne verstanden
wird. Mein reicher Nachbar, ein Mann, der
niemals denkt, als wenn er Geld zählt, hat seine
Frau nur aus Liebe zu ihrem Vermögen geheira-
thet. Diese Liebe dauert nunmehr ins vierzigste
Jahr, und rostet nicht, so alt sie auch ist. Er
liebäugelt gegen das Geld seiner Frau noch eben
so zärtlich, als er es im ersten Jahre that. Seine
Frau ist vergessen; schon vor neun und dreyßig
Jahren vergessen. Er würde sich gar nicht mehr
darauf besinnen, daß sie seine Frau wäre, wofern
sie ihn nicht alle Tage durch ihr eigensinniges Zan-
ken daran erinnerte.

Macht es Climene besser? Sie liebt. Jhren
Mann? Nichts weniger. Sie liebt die Pracht,
welche sie, in Ansehung des Ranges, führen darf,
den ihr Mann bekleidet. Sie heirathete; nicht
ihn, denn sie hatte bey aller Eitelkeit doch zu viel
Geschmack, einen Mann zu heirathen, den die

vor-
G 3

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Tauſend Redensarten wollte ich anfuͤhren, wo
das Wort Liebe nur von unverheiratheten, nie-
mals von verehlichten Perſonen, oder in dieſem
Falle nur poetiſch und metaphoriſch gebraucht
wird. Wenn man dieſes einraͤumt, ſo iſt unſer
Spruͤchwort gerettet, und es bleibt allemal wahr,
daß alte Liebe gegen Perſonen, die ſich nicht ver-
heirathet haben, niemals roſtet.

Aber auch bey verehlichten Perſonen findet es
ſeinen Platz, wenn die Liebe von andern Sachen,
als von der Frau oder dem Manne verſtanden
wird. Mein reicher Nachbar, ein Mann, der
niemals denkt, als wenn er Geld zaͤhlt, hat ſeine
Frau nur aus Liebe zu ihrem Vermoͤgen geheira-
thet. Dieſe Liebe dauert nunmehr ins vierzigſte
Jahr, und roſtet nicht, ſo alt ſie auch iſt. Er
liebaͤugelt gegen das Geld ſeiner Frau noch eben
ſo zaͤrtlich, als er es im erſten Jahre that. Seine
Frau iſt vergeſſen; ſchon vor neun und dreyßig
Jahren vergeſſen. Er wuͤrde ſich gar nicht mehr
darauf beſinnen, daß ſie ſeine Frau waͤre, wofern
ſie ihn nicht alle Tage durch ihr eigenſinniges Zan-
ken daran erinnerte.

Macht es Climene beſſer? Sie liebt. Jhren
Mann? Nichts weniger. Sie liebt die Pracht,
welche ſie, in Anſehung des Ranges, fuͤhren darf,
den ihr Mann bekleidet. Sie heirathete; nicht
ihn, denn ſie hatte bey aller Eitelkeit doch zu viel
Geſchmack, einen Mann zu heirathen, den die

vor-
G 3
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[101/0123] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Tauſend Redensarten wollte ich anfuͤhren, wo das Wort Liebe nur von unverheiratheten, nie- mals von verehlichten Perſonen, oder in dieſem Falle nur poetiſch und metaphoriſch gebraucht wird. Wenn man dieſes einraͤumt, ſo iſt unſer Spruͤchwort gerettet, und es bleibt allemal wahr, daß alte Liebe gegen Perſonen, die ſich nicht ver- heirathet haben, niemals roſtet. Aber auch bey verehlichten Perſonen findet es ſeinen Platz, wenn die Liebe von andern Sachen, als von der Frau oder dem Manne verſtanden wird. Mein reicher Nachbar, ein Mann, der niemals denkt, als wenn er Geld zaͤhlt, hat ſeine Frau nur aus Liebe zu ihrem Vermoͤgen geheira- thet. Dieſe Liebe dauert nunmehr ins vierzigſte Jahr, und roſtet nicht, ſo alt ſie auch iſt. Er liebaͤugelt gegen das Geld ſeiner Frau noch eben ſo zaͤrtlich, als er es im erſten Jahre that. Seine Frau iſt vergeſſen; ſchon vor neun und dreyßig Jahren vergeſſen. Er wuͤrde ſich gar nicht mehr darauf beſinnen, daß ſie ſeine Frau waͤre, wofern ſie ihn nicht alle Tage durch ihr eigenſinniges Zan- ken daran erinnerte. Macht es Climene beſſer? Sie liebt. Jhren Mann? Nichts weniger. Sie liebt die Pracht, welche ſie, in Anſehung des Ranges, fuͤhren darf, den ihr Mann bekleidet. Sie heirathete; nicht ihn, denn ſie hatte bey aller Eitelkeit doch zu viel Geſchmack, einen Mann zu heirathen, den die vor- G 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/123>, abgerufen am 23.11.2024.