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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
gen Schritten in dem Zimmer auf und ab gieng,
sieht seine schöne Hälfte in einem Winkel bittre
Thränen vergießen. Er ist zwar das Haupt, und
hat ein Recht zur Herrschaft, welches ihm Schrift
und Gesetze geben; aber ein paar weibliche Thrä-
nen schwemmen dieses ganze prächtige Gebäude
der Herrschaft vom Grunde weg. Er bleibt vor
ihr stehen; mein Kind, sagt er: aber sie bleibt
stumm, und nunmehr verdoppeln sich ihre Thrä-
nen, da sie die Reue ihres Mannes merkt. Er
naht sich ihr, und nimmt ihre beleidigte Hand, die
sich trotzig zurücke zieht. - - - - Aber mein
Engel! und er bemächtigt sich mit einer zärtlichen
Gewalt dieser rebellischen Hand. Nun verdop-
pelt sich das Schluchzen. Der Mann soll es em-
pfinden, wie sehr seine unschuldige Frau beleidigt
worden ist; denn eine Frau, die sich mit ihrem
Manne zankt, ist allemal unschuldig. Er setzt sich
neben sie; sie weint noch. Er schlägt seinen Arm
ganz bußfertig um ihren Hals; sie sieht ihn mit
einem Blicke an, der Vergebung hoffen läßt. Er
küßt ihre Hand, und sie seufzet. Er küßt ihren
Mund, und die Thränen vertrocknen. Sie küßt
ihn wieder; doch, mitten unter dem Küssen, murrt
sie noch zärtlich über das erlittene Unrecht. Er
weis sie ganz zu beruhigen. Und nun wundern
sie sich beide, wie es möglich gewesen, daß sie sich
über eine solche Kleinigkeit haben zanken können.
Sie lieben sich beide so empfindlich, als in den er-
sten vier und zwanzig Stunden ihrer Ehe. Nun
schwören sie einander zu, sich ewig und ohne Ver-

druß
G 4

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
gen Schritten in dem Zimmer auf und ab gieng,
ſieht ſeine ſchoͤne Haͤlfte in einem Winkel bittre
Thraͤnen vergießen. Er iſt zwar das Haupt, und
hat ein Recht zur Herrſchaft, welches ihm Schrift
und Geſetze geben; aber ein paar weibliche Thraͤ-
nen ſchwemmen dieſes ganze praͤchtige Gebaͤude
der Herrſchaft vom Grunde weg. Er bleibt vor
ihr ſtehen; mein Kind, ſagt er: aber ſie bleibt
ſtumm, und nunmehr verdoppeln ſich ihre Thraͤ-
nen, da ſie die Reue ihres Mannes merkt. Er
naht ſich ihr, und nimmt ihre beleidigte Hand, die
ſich trotzig zuruͤcke zieht. ‒ ‒ ‒ ‒ Aber mein
Engel! und er bemaͤchtigt ſich mit einer zaͤrtlichen
Gewalt dieſer rebelliſchen Hand. Nun verdop-
pelt ſich das Schluchzen. Der Mann ſoll es em-
pfinden, wie ſehr ſeine unſchuldige Frau beleidigt
worden iſt; denn eine Frau, die ſich mit ihrem
Manne zankt, iſt allemal unſchuldig. Er ſetzt ſich
neben ſie; ſie weint noch. Er ſchlaͤgt ſeinen Arm
ganz bußfertig um ihren Hals; ſie ſieht ihn mit
einem Blicke an, der Vergebung hoffen laͤßt. Er
kuͤßt ihre Hand, und ſie ſeufzet. Er kuͤßt ihren
Mund, und die Thraͤnen vertrocknen. Sie kuͤßt
ihn wieder; doch, mitten unter dem Kuͤſſen, murrt
ſie noch zaͤrtlich uͤber das erlittene Unrecht. Er
weis ſie ganz zu beruhigen. Und nun wundern
ſie ſich beide, wie es moͤglich geweſen, daß ſie ſich
uͤber eine ſolche Kleinigkeit haben zanken koͤnnen.
Sie lieben ſich beide ſo empfindlich, als in den er-
ſten vier und zwanzig Stunden ihrer Ehe. Nun
ſchwoͤren ſie einander zu, ſich ewig und ohne Ver-

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G 4
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[103/0125] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. gen Schritten in dem Zimmer auf und ab gieng, ſieht ſeine ſchoͤne Haͤlfte in einem Winkel bittre Thraͤnen vergießen. Er iſt zwar das Haupt, und hat ein Recht zur Herrſchaft, welches ihm Schrift und Geſetze geben; aber ein paar weibliche Thraͤ- nen ſchwemmen dieſes ganze praͤchtige Gebaͤude der Herrſchaft vom Grunde weg. Er bleibt vor ihr ſtehen; mein Kind, ſagt er: aber ſie bleibt ſtumm, und nunmehr verdoppeln ſich ihre Thraͤ- nen, da ſie die Reue ihres Mannes merkt. Er naht ſich ihr, und nimmt ihre beleidigte Hand, die ſich trotzig zuruͤcke zieht. ‒ ‒ ‒ ‒ Aber mein Engel! und er bemaͤchtigt ſich mit einer zaͤrtlichen Gewalt dieſer rebelliſchen Hand. Nun verdop- pelt ſich das Schluchzen. Der Mann ſoll es em- pfinden, wie ſehr ſeine unſchuldige Frau beleidigt worden iſt; denn eine Frau, die ſich mit ihrem Manne zankt, iſt allemal unſchuldig. Er ſetzt ſich neben ſie; ſie weint noch. Er ſchlaͤgt ſeinen Arm ganz bußfertig um ihren Hals; ſie ſieht ihn mit einem Blicke an, der Vergebung hoffen laͤßt. Er kuͤßt ihre Hand, und ſie ſeufzet. Er kuͤßt ihren Mund, und die Thraͤnen vertrocknen. Sie kuͤßt ihn wieder; doch, mitten unter dem Kuͤſſen, murrt ſie noch zaͤrtlich uͤber das erlittene Unrecht. Er weis ſie ganz zu beruhigen. Und nun wundern ſie ſich beide, wie es moͤglich geweſen, daß ſie ſich uͤber eine ſolche Kleinigkeit haben zanken koͤnnen. Sie lieben ſich beide ſo empfindlich, als in den er- ſten vier und zwanzig Stunden ihrer Ehe. Nun ſchwoͤren ſie einander zu, ſich ewig und ohne Ver- druß G 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/125>, abgerufen am 27.11.2024.