einen Zug von seinem Gesichte verlieren; aber bis dahin will ich ihn allein kennen, und nur allein über ihn lachen.
Man hat mir wider diesen Plan den Ein- wurf gemacht, daß vielleicht in zwanzig Jahren, hundert kleine Umstände in den Sitten und Ge- bräuchen meiner heutigen Landsleute geändert, oder gar verloren gegangen seyn könnten, die doch oftmals schlechterdings zu wissen nöthig sind, wenn man das Feine und das Reizende der Satire so empfinden soll, wie ein jeder Ver- fasser wünscht, daß es seine Leser empfinden mö- gen. Dieser Einwurf ist gegründet genug: Aber eben dadurch werde ich desto aufmerksamer gemacht werden, in meinen Satiren auch das zu vermeiden, was das Persönliche der Sitten und Gebräuche genannt werden kann; so wie ich das Persönliche der Charaktere bisher ver- mieden habe. Jch erlange dadurch den großen Vortheil, daß meine Satire auch von dieser Seite allgemein wird. Und kann ich auch die- jenigen Umstände nicht ganz vermeiden, welche so flüchtig und veränderlich sind; wer wird mir es verdenken, wenn ich mein eigner Scholiast werde? Jn diesem Falle, werden selbst meine Anmerkungen Satiren auf meine Mitbürger, wenn ich genöthiget bin, der Vergessenheit durch Noten eine Tracht, ein Spiel, ein Ceremoniell, eine Mode, und andere solche Kleinigkeiten zu entreissen, worauf sie doch itzt so stolz sind, und worinnen vielmals heuer ihr ganzer Werth besteht.
Ein
Vorbericht.
einen Zug von ſeinem Geſichte verlieren; aber bis dahin will ich ihn allein kennen, und nur allein uͤber ihn lachen.
Man hat mir wider dieſen Plan den Ein- wurf gemacht, daß vielleicht in zwanzig Jahren, hundert kleine Umſtaͤnde in den Sitten und Ge- braͤuchen meiner heutigen Landsleute geaͤndert, oder gar verloren gegangen ſeyn koͤnnten, die doch oftmals ſchlechterdings zu wiſſen noͤthig ſind, wenn man das Feine und das Reizende der Satire ſo empfinden ſoll, wie ein jeder Ver- faſſer wuͤnſcht, daß es ſeine Leſer empfinden moͤ- gen. Dieſer Einwurf iſt gegruͤndet genug: Aber eben dadurch werde ich deſto aufmerkſamer gemacht werden, in meinen Satiren auch das zu vermeiden, was das Perſoͤnliche der Sitten und Gebraͤuche genannt werden kann; ſo wie ich das Perſoͤnliche der Charaktere bisher ver- mieden habe. Jch erlange dadurch den großen Vortheil, daß meine Satire auch von dieſer Seite allgemein wird. Und kann ich auch die- jenigen Umſtaͤnde nicht ganz vermeiden, welche ſo fluͤchtig und veraͤnderlich ſind; wer wird mir es verdenken, wenn ich mein eigner Scholiaſt werde? Jn dieſem Falle, werden ſelbſt meine Anmerkungen Satiren auf meine Mitbuͤrger, wenn ich genoͤthiget bin, der Vergeſſenheit durch Noten eine Tracht, ein Spiel, ein Ceremoniell, eine Mode, und andere ſolche Kleinigkeiten zu entreiſſen, worauf ſie doch itzt ſo ſtolz ſind, und worinnen vielmals heuer ihr ganzer Werth beſteht.
Ein
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[0016]
Vorbericht.
einen Zug von ſeinem Geſichte verlieren; aber
bis dahin will ich ihn allein kennen, und nur
allein uͤber ihn lachen.
Man hat mir wider dieſen Plan den Ein-
wurf gemacht, daß vielleicht in zwanzig Jahren,
hundert kleine Umſtaͤnde in den Sitten und Ge-
braͤuchen meiner heutigen Landsleute geaͤndert,
oder gar verloren gegangen ſeyn koͤnnten, die
doch oftmals ſchlechterdings zu wiſſen noͤthig
ſind, wenn man das Feine und das Reizende
der Satire ſo empfinden ſoll, wie ein jeder Ver-
faſſer wuͤnſcht, daß es ſeine Leſer empfinden moͤ-
gen. Dieſer Einwurf iſt gegruͤndet genug:
Aber eben dadurch werde ich deſto aufmerkſamer
gemacht werden, in meinen Satiren auch das
zu vermeiden, was das Perſoͤnliche der Sitten
und Gebraͤuche genannt werden kann; ſo wie
ich das Perſoͤnliche der Charaktere bisher ver-
mieden habe. Jch erlange dadurch den großen
Vortheil, daß meine Satire auch von dieſer
Seite allgemein wird. Und kann ich auch die-
jenigen Umſtaͤnde nicht ganz vermeiden, welche
ſo fluͤchtig und veraͤnderlich ſind; wer wird mir
es verdenken, wenn ich mein eigner Scholiaſt
werde? Jn dieſem Falle, werden ſelbſt meine
Anmerkungen Satiren auf meine Mitbuͤrger,
wenn ich genoͤthiget bin, der Vergeſſenheit durch
Noten eine Tracht, ein Spiel, ein Ceremoniell,
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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