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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
seinem hohen Alter verliebt zu seyn, so gab er sich
Mühe, sich zu bereden, daß ihm Gott dieses Mäd-
chen zugewiesen habe, um sie glücklich zu machen.
Er hatte es so oft gehört, und vielleicht selbst er-
fahren, daß eigennützige Ehen gemeiniglich misver-
gnügt ausschlagen; nun wollte er einmal ganz un-
eigennützig, und, nach seiner großmüthigen Spra-
che zu reden, ein nackicht Mädchen heirathen. Er
ließ der alten Muhme seine christlichen Absichten
entdecken. Man freuete sich, und dankte Gott,
der für arme Waisen so sichtbarlich sorgt. Das
fromme Mädchen ward seine Frau. Wie geschäff-
tig ist nicht der böse Feind! Kaum hatte sich die
junge Frau vier Wochen lang ausgefüttert, präch-
tig gekleidet, und ihre vorige Noth vergessen; So
blies ihr der Teufel, (denn wer sollte es sonst ge-
wesen seyn?) boshaft ein, daß zur Ehe noch etwas
mehr, als Essen, Trinken, Kleider, und ein from-
mer ruhiger Greis von sechzig Jahren gehöre! Jn
ihrer Handlung war ein Ladendiener, welcher der
Frau Würzkrämerinn so zu schmeicheln wußte,
daß sie sich und Pflicht vergaß, einen ziemlichen
Theil des Vermögens mit ihm verschwendete, ih-
ren Mann auf die empfindlichste Art verachtete,
und so unvorsichtig buhlte, daß die ganze Stadt
darüber lachte. Diese Ehe war im Himmel, und
wenigstens in der Kirche geschlossen; das gestun-
den alle Leute: allein, wo kam der Hahnrey her?
Das weis ich nicht; aber das weis ich wohl, daß
seine Frau einige Monate drauf im Kindbette
starb. Mein rechtschaffener Alter hat mir mit der

zufrie-
P 5

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſeinem hohen Alter verliebt zu ſeyn, ſo gab er ſich
Muͤhe, ſich zu bereden, daß ihm Gott dieſes Maͤd-
chen zugewieſen habe, um ſie gluͤcklich zu machen.
Er hatte es ſo oft gehoͤrt, und vielleicht ſelbſt er-
fahren, daß eigennuͤtzige Ehen gemeiniglich misver-
gnuͤgt ausſchlagen; nun wollte er einmal ganz un-
eigennuͤtzig, und, nach ſeiner großmuͤthigen Spra-
che zu reden, ein nackicht Maͤdchen heirathen. Er
ließ der alten Muhme ſeine chriſtlichen Abſichten
entdecken. Man freuete ſich, und dankte Gott,
der fuͤr arme Waiſen ſo ſichtbarlich ſorgt. Das
fromme Maͤdchen ward ſeine Frau. Wie geſchaͤff-
tig iſt nicht der boͤſe Feind! Kaum hatte ſich die
junge Frau vier Wochen lang ausgefuͤttert, praͤch-
tig gekleidet, und ihre vorige Noth vergeſſen; So
blies ihr der Teufel, (denn wer ſollte es ſonſt ge-
weſen ſeyn?) boshaft ein, daß zur Ehe noch etwas
mehr, als Eſſen, Trinken, Kleider, und ein from-
mer ruhiger Greis von ſechzig Jahren gehoͤre! Jn
ihrer Handlung war ein Ladendiener, welcher der
Frau Wuͤrzkraͤmerinn ſo zu ſchmeicheln wußte,
daß ſie ſich und Pflicht vergaß, einen ziemlichen
Theil des Vermoͤgens mit ihm verſchwendete, ih-
ren Mann auf die empfindlichſte Art verachtete,
und ſo unvorſichtig buhlte, daß die ganze Stadt
daruͤber lachte. Dieſe Ehe war im Himmel, und
wenigſtens in der Kirche geſchloſſen; das geſtun-
den alle Leute: allein, wo kam der Hahnrey her?
Das weis ich nicht; aber das weis ich wohl, daß
ſeine Frau einige Monate drauf im Kindbette
ſtarb. Mein rechtſchaffener Alter hat mir mit der

zufrie-
P 5
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[233/0255] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſeinem hohen Alter verliebt zu ſeyn, ſo gab er ſich Muͤhe, ſich zu bereden, daß ihm Gott dieſes Maͤd- chen zugewieſen habe, um ſie gluͤcklich zu machen. Er hatte es ſo oft gehoͤrt, und vielleicht ſelbſt er- fahren, daß eigennuͤtzige Ehen gemeiniglich misver- gnuͤgt ausſchlagen; nun wollte er einmal ganz un- eigennuͤtzig, und, nach ſeiner großmuͤthigen Spra- che zu reden, ein nackicht Maͤdchen heirathen. Er ließ der alten Muhme ſeine chriſtlichen Abſichten entdecken. Man freuete ſich, und dankte Gott, der fuͤr arme Waiſen ſo ſichtbarlich ſorgt. Das fromme Maͤdchen ward ſeine Frau. Wie geſchaͤff- tig iſt nicht der boͤſe Feind! Kaum hatte ſich die junge Frau vier Wochen lang ausgefuͤttert, praͤch- tig gekleidet, und ihre vorige Noth vergeſſen; So blies ihr der Teufel, (denn wer ſollte es ſonſt ge- weſen ſeyn?) boshaft ein, daß zur Ehe noch etwas mehr, als Eſſen, Trinken, Kleider, und ein from- mer ruhiger Greis von ſechzig Jahren gehoͤre! Jn ihrer Handlung war ein Ladendiener, welcher der Frau Wuͤrzkraͤmerinn ſo zu ſchmeicheln wußte, daß ſie ſich und Pflicht vergaß, einen ziemlichen Theil des Vermoͤgens mit ihm verſchwendete, ih- ren Mann auf die empfindlichſte Art verachtete, und ſo unvorſichtig buhlte, daß die ganze Stadt daruͤber lachte. Dieſe Ehe war im Himmel, und wenigſtens in der Kirche geſchloſſen; das geſtun- den alle Leute: allein, wo kam der Hahnrey her? Das weis ich nicht; aber das weis ich wohl, daß ſeine Frau einige Monate drauf im Kindbette ſtarb. Mein rechtſchaffener Alter hat mir mit der zufrie- P 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/255>, abgerufen am 22.11.2024.