[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.Antons Panßa von Mancha fiel mir in die Augen, weil er mehr gekrochen, alsgegangen kam. Er setzte sich ganz schüchtern auf den ersten Platz, den er ledig fand, und schien die ganze Gesellschaft wegen seiner Gegenwart um Vergebung zu bitten. Nur selten schlug er die Augen auf; die übrige Zeit saß er so ängstlich und gebückt, wie ein Schüler, der sich vor den Strei- chen seines erzürnten Lehrers fürchtet. Eine Tu- gend, die zu sehr in die Augen fällt, ist mir alle- mal verdächtig gewesen: Um deßwillen war es mir auch diese allzugroße Bescheidenheit. Desto- mehr gab ich auf ihn Acht. Jch fieng an, mich seinetwegen zu beruhigen, da ich die Unzufrie- denheit merkte, die er über den abgeschmackten Witz des Weinhändlers äußerte. Beym Gesange der Betschwester war er die einzige Mannsper- son, die mit einstimmte; dieses vergab ich seinem Stande. Er schien bey den Vorwürfen, die der Officier dieser Frau machte, und bey der unge- schickten Vertheidigung der Heuchlerinn sehr em- pfindlich zu seyn, und beide zu misbilligen: Mit einem Worte, ich fieng an, mich zu freuen, daß ich einen jungen Menschen sehen sollte, dessen De- muth, Bescheidenheit, und gute Sitten dem Amte, für das er bestimmt war, viel Ehre und Vortheile zu versprechen schienen. Bey der Un- terredung mit dem jungen Richter hatte ich ihn aus dem Gesichte verloren; ich würde auch viel- leicht nicht weiter an ihn gedacht haben, wenn ich ihn nicht beym Aussteigen aus dem Schiffe in ei- nem mehr entfernten Winkel mit einer unanstän- digen
Antons Panßa von Mancha fiel mir in die Augen, weil er mehr gekrochen, alsgegangen kam. Er ſetzte ſich ganz ſchuͤchtern auf den erſten Platz, den er ledig fand, und ſchien die ganze Geſellſchaft wegen ſeiner Gegenwart um Vergebung zu bitten. Nur ſelten ſchlug er die Augen auf; die uͤbrige Zeit ſaß er ſo aͤngſtlich und gebuͤckt, wie ein Schuͤler, der ſich vor den Strei- chen ſeines erzuͤrnten Lehrers fuͤrchtet. Eine Tu- gend, die zu ſehr in die Augen faͤllt, iſt mir alle- mal verdaͤchtig geweſen: Um deßwillen war es mir auch dieſe allzugroße Beſcheidenheit. Deſto- mehr gab ich auf ihn Acht. Jch fieng an, mich ſeinetwegen zu beruhigen, da ich die Unzufrie- denheit merkte, die er uͤber den abgeſchmackten Witz des Weinhaͤndlers aͤußerte. Beym Geſange der Betſchweſter war er die einzige Mannsper- ſon, die mit einſtimmte; dieſes vergab ich ſeinem Stande. Er ſchien bey den Vorwuͤrfen, die der Officier dieſer Frau machte, und bey der unge- ſchickten Vertheidigung der Heuchlerinn ſehr em- pfindlich zu ſeyn, und beide zu misbilligen: Mit einem Worte, ich fieng an, mich zu freuen, daß ich einen jungen Menſchen ſehen ſollte, deſſen De- muth, Beſcheidenheit, und gute Sitten dem Amte, fuͤr das er beſtimmt war, viel Ehre und Vortheile zu verſprechen ſchienen. Bey der Un- terredung mit dem jungen Richter hatte ich ihn aus dem Geſichte verloren; ich wuͤrde auch viel- leicht nicht weiter an ihn gedacht haben, wenn ich ihn nicht beym Ausſteigen aus dem Schiffe in ei- nem mehr entfernten Winkel mit einer unanſtaͤn- digen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0390" n="368"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Antons Panßa von Mancha</hi></fw><lb/> fiel mir in die Augen, weil er mehr gekrochen, als<lb/> gegangen kam. Er ſetzte ſich ganz ſchuͤchtern auf<lb/> den erſten Platz, den er ledig fand, und ſchien die<lb/> ganze Geſellſchaft wegen ſeiner Gegenwart um<lb/> Vergebung zu bitten. Nur ſelten ſchlug er die<lb/> Augen auf; die uͤbrige Zeit ſaß er ſo aͤngſtlich und<lb/> gebuͤckt, wie ein Schuͤler, der ſich vor den Strei-<lb/> chen ſeines erzuͤrnten Lehrers fuͤrchtet. Eine Tu-<lb/> gend, die zu ſehr in die Augen faͤllt, iſt mir alle-<lb/> mal verdaͤchtig geweſen: Um deßwillen war es<lb/> mir auch dieſe allzugroße Beſcheidenheit. Deſto-<lb/> mehr gab ich auf ihn Acht. Jch fieng an, mich<lb/> ſeinetwegen zu beruhigen, da ich die Unzufrie-<lb/> denheit merkte, die er uͤber den abgeſchmackten<lb/> Witz des Weinhaͤndlers aͤußerte. Beym Geſange<lb/> der Betſchweſter war er die einzige Mannsper-<lb/> ſon, die mit einſtimmte; dieſes vergab ich ſeinem<lb/> Stande. Er ſchien bey den Vorwuͤrfen, die der<lb/> Officier dieſer Frau machte, und bey der unge-<lb/> ſchickten Vertheidigung der Heuchlerinn ſehr em-<lb/> pfindlich zu ſeyn, und beide zu misbilligen: Mit<lb/> einem Worte, ich fieng an, mich zu freuen, daß<lb/> ich einen jungen Menſchen ſehen ſollte, deſſen De-<lb/> muth, Beſcheidenheit, und gute Sitten dem<lb/> Amte, fuͤr das er beſtimmt war, viel Ehre und<lb/> Vortheile zu verſprechen ſchienen. Bey der Un-<lb/> terredung mit dem jungen Richter hatte ich ihn<lb/> aus dem Geſichte verloren; ich wuͤrde auch viel-<lb/> leicht nicht weiter an ihn gedacht haben, wenn ich<lb/> ihn nicht beym Ausſteigen aus dem Schiffe in ei-<lb/> nem mehr entfernten Winkel mit einer unanſtaͤn-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">digen</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [368/0390]
Antons Panßa von Mancha
fiel mir in die Augen, weil er mehr gekrochen, als
gegangen kam. Er ſetzte ſich ganz ſchuͤchtern auf
den erſten Platz, den er ledig fand, und ſchien die
ganze Geſellſchaft wegen ſeiner Gegenwart um
Vergebung zu bitten. Nur ſelten ſchlug er die
Augen auf; die uͤbrige Zeit ſaß er ſo aͤngſtlich und
gebuͤckt, wie ein Schuͤler, der ſich vor den Strei-
chen ſeines erzuͤrnten Lehrers fuͤrchtet. Eine Tu-
gend, die zu ſehr in die Augen faͤllt, iſt mir alle-
mal verdaͤchtig geweſen: Um deßwillen war es
mir auch dieſe allzugroße Beſcheidenheit. Deſto-
mehr gab ich auf ihn Acht. Jch fieng an, mich
ſeinetwegen zu beruhigen, da ich die Unzufrie-
denheit merkte, die er uͤber den abgeſchmackten
Witz des Weinhaͤndlers aͤußerte. Beym Geſange
der Betſchweſter war er die einzige Mannsper-
ſon, die mit einſtimmte; dieſes vergab ich ſeinem
Stande. Er ſchien bey den Vorwuͤrfen, die der
Officier dieſer Frau machte, und bey der unge-
ſchickten Vertheidigung der Heuchlerinn ſehr em-
pfindlich zu ſeyn, und beide zu misbilligen: Mit
einem Worte, ich fieng an, mich zu freuen, daß
ich einen jungen Menſchen ſehen ſollte, deſſen De-
muth, Beſcheidenheit, und gute Sitten dem
Amte, fuͤr das er beſtimmt war, viel Ehre und
Vortheile zu verſprechen ſchienen. Bey der Un-
terredung mit dem jungen Richter hatte ich ihn
aus dem Geſichte verloren; ich wuͤrde auch viel-
leicht nicht weiter an ihn gedacht haben, wenn ich
ihn nicht beym Ausſteigen aus dem Schiffe in ei-
nem mehr entfernten Winkel mit einer unanſtaͤn-
digen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |