nennen, durch dessen Liebe du glücklich werden sollst: Die Tochter gieng, und kehrte traurig zurück, weil sie diesen Mann nicht erfuhr. Der Weltweise sagte zu seinen Schülern: Gehet hinaus, und suchet den T' Siamma, er wird euch eine Weisheit lehren, gegen welche die meinige nur Thorheit ist: Sie giengen, und such- ten ihn, und klagten es ihrem Lehrer, daß sie keine Weisheit gefunden hätten.
Dieses war die Art, mit welcher die Jnn- wohner das Andenken ihres unvergeßlichen T' Siamma feyerten. Sie fasteten an diesem Tage, und das ganze Land war traurig.
Nach tausend Jahren ward die Religion in Chiekock verächtlich, da das Land einen König bekam, der sich der Religion seiner Väter schämte. Die Großen des Volks waren starke Geister, und nur der arme Pöbel betete noch. Um diese Zeit fiel auch die Hochachtung, die man für das Andenken des T' Siamma hatte. Sein Got- tesdienst verkehrte sich in Völlerey, und pöbel- hafte Ausschweifungen. Sie sandten einander noch immer zu dem T' Siamma, aber nicht tugendhaft, nicht weise zu werden, nein, nur ihren Muthwillen zu kützeln. Und fanden sie noch einen, welcher fromm und treuherzig genug war, sich zu dem T' Siamma schicken zu las- sen, den hielten sie für einen Narren. Dem
Pöbel
Erſtes Buch.
nennen, durch deſſen Liebe du gluͤcklich werden ſollſt: Die Tochter gieng, und kehrte traurig zuruͤck, weil ſie dieſen Mann nicht erfuhr. Der Weltweiſe ſagte zu ſeinen Schuͤlern: Gehet hinaus, und ſuchet den T’ Siamma, er wird euch eine Weisheit lehren, gegen welche die meinige nur Thorheit iſt: Sie giengen, und ſuch- ten ihn, und klagten es ihrem Lehrer, daß ſie keine Weisheit gefunden haͤtten.
Dieſes war die Art, mit welcher die Jnn- wohner das Andenken ihres unvergeßlichen T’ Siamma feyerten. Sie faſteten an dieſem Tage, und das ganze Land war traurig.
Nach tauſend Jahren ward die Religion in Chiekock veraͤchtlich, da das Land einen Koͤnig bekam, der ſich der Religion ſeiner Vaͤter ſchaͤmte. Die Großen des Volks waren ſtarke Geiſter, und nur der arme Poͤbel betete noch. Um dieſe Zeit fiel auch die Hochachtung, die man fuͤr das Andenken des T’ Siamma hatte. Sein Got- tesdienſt verkehrte ſich in Voͤllerey, und poͤbel- hafte Ausſchweifungen. Sie ſandten einander noch immer zu dem T’ Siamma, aber nicht tugendhaft, nicht weiſe zu werden, nein, nur ihren Muthwillen zu kuͤtzeln. Und fanden ſie noch einen, welcher fromm und treuherzig genug war, ſich zu dem T’ Siamma ſchicken zu laſ- ſen, den hielten ſie fuͤr einen Narren. Dem
Poͤbel
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0515"n="493[491]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Erſtes Buch.</hi></fw><lb/>
nennen, durch deſſen Liebe du gluͤcklich werden<lb/>ſollſt: Die Tochter gieng, und kehrte traurig<lb/>
zuruͤck, weil ſie dieſen Mann nicht erfuhr. Der<lb/>
Weltweiſe ſagte zu ſeinen Schuͤlern: Gehet<lb/>
hinaus, und ſuchet den <hirendition="#fr">T’ Siamma,</hi> er wird<lb/>
euch eine Weisheit lehren, gegen welche die<lb/>
meinige nur Thorheit iſt: Sie giengen, und ſuch-<lb/>
ten ihn, und klagten es ihrem Lehrer, daß ſie<lb/>
keine Weisheit gefunden haͤtten.</p><lb/><p>Dieſes war die Art, mit welcher die Jnn-<lb/>
wohner das Andenken ihres unvergeßlichen<lb/><hirendition="#fr">T’ Siamma</hi> feyerten. Sie faſteten an dieſem<lb/>
Tage, und das ganze Land war traurig.</p><lb/><p>Nach tauſend Jahren ward die Religion in<lb/><hirendition="#fr">Chiekock</hi> veraͤchtlich, da das Land einen Koͤnig<lb/>
bekam, der ſich der Religion ſeiner Vaͤter ſchaͤmte.<lb/>
Die Großen des Volks waren ſtarke Geiſter,<lb/>
und nur der arme Poͤbel betete noch. Um dieſe<lb/>
Zeit fiel auch die Hochachtung, die man fuͤr das<lb/>
Andenken des <hirendition="#fr">T’ Siamma</hi> hatte. Sein Got-<lb/>
tesdienſt verkehrte ſich in Voͤllerey, und poͤbel-<lb/>
hafte Ausſchweifungen. Sie ſandten einander<lb/>
noch immer zu dem <hirendition="#fr">T’ Siamma,</hi> aber nicht<lb/>
tugendhaft, nicht weiſe zu werden, nein, nur<lb/>
ihren Muthwillen zu kuͤtzeln. Und fanden ſie<lb/>
noch einen, welcher fromm und treuherzig genug<lb/>
war, ſich zu dem <hirendition="#fr">T’ Siamma</hi>ſchicken zu laſ-<lb/>ſen, den hielten ſie fuͤr einen Narren. Dem<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Poͤbel</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[493[491]/0515]
Erſtes Buch.
nennen, durch deſſen Liebe du gluͤcklich werden
ſollſt: Die Tochter gieng, und kehrte traurig
zuruͤck, weil ſie dieſen Mann nicht erfuhr. Der
Weltweiſe ſagte zu ſeinen Schuͤlern: Gehet
hinaus, und ſuchet den T’ Siamma, er wird
euch eine Weisheit lehren, gegen welche die
meinige nur Thorheit iſt: Sie giengen, und ſuch-
ten ihn, und klagten es ihrem Lehrer, daß ſie
keine Weisheit gefunden haͤtten.
Dieſes war die Art, mit welcher die Jnn-
wohner das Andenken ihres unvergeßlichen
T’ Siamma feyerten. Sie faſteten an dieſem
Tage, und das ganze Land war traurig.
Nach tauſend Jahren ward die Religion in
Chiekock veraͤchtlich, da das Land einen Koͤnig
bekam, der ſich der Religion ſeiner Vaͤter ſchaͤmte.
Die Großen des Volks waren ſtarke Geiſter,
und nur der arme Poͤbel betete noch. Um dieſe
Zeit fiel auch die Hochachtung, die man fuͤr das
Andenken des T’ Siamma hatte. Sein Got-
tesdienſt verkehrte ſich in Voͤllerey, und poͤbel-
hafte Ausſchweifungen. Sie ſandten einander
noch immer zu dem T’ Siamma, aber nicht
tugendhaft, nicht weiſe zu werden, nein, nur
ihren Muthwillen zu kuͤtzeln. Und fanden ſie
noch einen, welcher fromm und treuherzig genug
war, ſich zu dem T’ Siamma ſchicken zu laſ-
ſen, den hielten ſie fuͤr einen Narren. Dem
Poͤbel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 493[491]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/515>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.