[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.Das Märchen vom ersten April. Secretär zu misfallen. Das ist schon Ursache genugfür ihn, diesen Witz zu bewundern. Er schreibt es in seine Tafel, er fragt nach dem Verfasser: Kalliste erröthet. Ha! Ha! schreyt der Secretär, soll mich der Teufel, das Ding haben sie gemacht! Kalliste muß es gestehen. Der Secretär blökt ihr einige Schmeichelyen vor, und spricht: So eine Frau möchte ich haben, wie sie sind! Gott straf mich, so eine Frau! Er läßt es bey diesem zärtli- chen Sturme nicht bewenden. Weil aber Kalli- ste des Wohlstandes wegen ihn noch diesen Abend in Ungewißheit lassen muß, so wird er morgen von neuem ansetzen, er wird auch morgen noch das Jawort, und in vierzehn Tagen Kallisten zur Frau bekommen: Aber in vier Wochen möchte er sie gern wieder los seyn. Wenn er zu Bette gehen will, so fehlt Kallisten noch ein Reim: Er muß allein schlafen. Wenn er aufsteht, so schläft Kal- liste noch, weil sie gestern den Reim sehr spät fand. Wenn er nach Hause kömmt, und essen will; so hat Kalliste über einer schönen Stelle aus dem Voltaire vergessen, die Küche zu bestellen. Geht er wieder in sein Amt, so versammlet sich eine Men- ge witziger Herren bey seiner Frau, welche sich der schönen Künste und Wissenschaften wegen, allemal in Abwesenheit des Mannes bey seiner Frau ver- sammeln. Er kömmt Abends nach Hause; er findet den Tisch voll Bücher, und wieder kein Essen darauf. Er flucht, und sie erklärt ihm aus dem Seneca eine vortreffliche Stelle vom Zorne. Er fragt: Ob sie ihn ganz wollte verhungern lassen? und
Das Maͤrchen vom erſten April. Secretaͤr zu misfallen. Das iſt ſchon Urſache genugfuͤr ihn, dieſen Witz zu bewundern. Er ſchreibt es in ſeine Tafel, er fragt nach dem Verfaſſer: Kalliſte erroͤthet. Ha! Ha! ſchreyt der Secretaͤr, ſoll mich der Teufel, das Ding haben ſie gemacht! Kalliſte muß es geſtehen. Der Secretaͤr bloͤkt ihr einige Schmeichelyen vor, und ſpricht: So eine Frau moͤchte ich haben, wie ſie ſind! Gott ſtraf mich, ſo eine Frau! Er laͤßt es bey dieſem zaͤrtli- chen Sturme nicht bewenden. Weil aber Kalli- ſte des Wohlſtandes wegen ihn noch dieſen Abend in Ungewißheit laſſen muß, ſo wird er morgen von neuem anſetzen, er wird auch morgen noch das Jawort, und in vierzehn Tagen Kalliſten zur Frau bekommen: Aber in vier Wochen moͤchte er ſie gern wieder los ſeyn. Wenn er zu Bette gehen will, ſo fehlt Kalliſten noch ein Reim: Er muß allein ſchlafen. Wenn er aufſteht, ſo ſchlaͤft Kal- liſte noch, weil ſie geſtern den Reim ſehr ſpaͤt fand. Wenn er nach Hauſe koͤmmt, und eſſen will; ſo hat Kalliſte uͤber einer ſchoͤnen Stelle aus dem Voltaire vergeſſen, die Kuͤche zu beſtellen. Geht er wieder in ſein Amt, ſo verſammlet ſich eine Men- ge witziger Herren bey ſeiner Frau, welche ſich der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften wegen, allemal in Abweſenheit des Mannes bey ſeiner Frau ver- ſammeln. Er koͤmmt Abends nach Hauſe; er findet den Tiſch voll Buͤcher, und wieder kein Eſſen darauf. Er flucht, und ſie erklaͤrt ihm aus dem Seneca eine vortreffliche Stelle vom Zorne. Er fragt: Ob ſie ihn ganz wollte verhungern laſſen? und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0538" n="516[514]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Maͤrchen vom erſten April.</hi></fw><lb/> Secretaͤr zu misfallen. Das iſt ſchon Urſache genug<lb/> fuͤr ihn, dieſen Witz zu bewundern. Er ſchreibt<lb/> es in ſeine Tafel, er fragt nach dem Verfaſſer:<lb/> Kalliſte erroͤthet. Ha! Ha! ſchreyt der Secretaͤr,<lb/> ſoll mich der Teufel, das Ding haben ſie gemacht!<lb/> Kalliſte muß es geſtehen. Der Secretaͤr bloͤkt ihr<lb/> einige Schmeichelyen vor, und ſpricht: So eine<lb/> Frau moͤchte ich haben, wie ſie ſind! Gott ſtraf<lb/> mich, ſo eine Frau! Er laͤßt es bey dieſem zaͤrtli-<lb/> chen Sturme nicht bewenden. Weil aber Kalli-<lb/> ſte des Wohlſtandes wegen ihn noch dieſen Abend in<lb/> Ungewißheit laſſen muß, ſo wird er morgen von<lb/> neuem anſetzen, er wird auch morgen noch das<lb/> Jawort, und in vierzehn Tagen Kalliſten zur Frau<lb/> bekommen: Aber in vier Wochen moͤchte er ſie<lb/> gern wieder los ſeyn. Wenn er zu Bette gehen<lb/> will, ſo fehlt Kalliſten noch ein Reim: Er muß<lb/> allein ſchlafen. Wenn er aufſteht, ſo ſchlaͤft Kal-<lb/> liſte noch, weil ſie geſtern den Reim ſehr ſpaͤt fand.<lb/> Wenn er nach Hauſe koͤmmt, und eſſen will; ſo<lb/> hat Kalliſte uͤber einer ſchoͤnen Stelle aus dem<lb/> Voltaire vergeſſen, die Kuͤche zu beſtellen. Geht<lb/> er wieder in ſein Amt, ſo verſammlet ſich eine Men-<lb/> ge witziger Herren bey ſeiner Frau, welche ſich der<lb/> ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften wegen, allemal<lb/> in Abweſenheit des Mannes bey ſeiner Frau ver-<lb/> ſammeln. Er koͤmmt Abends nach Hauſe; er<lb/> findet den Tiſch voll Buͤcher, und wieder kein Eſſen<lb/> darauf. Er flucht, und ſie erklaͤrt ihm aus dem<lb/> Seneca eine vortreffliche Stelle vom Zorne. Er<lb/> fragt: Ob ſie ihn ganz wollte verhungern laſſen?<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [516[514]/0538]
Das Maͤrchen vom erſten April.
Secretaͤr zu misfallen. Das iſt ſchon Urſache genug
fuͤr ihn, dieſen Witz zu bewundern. Er ſchreibt
es in ſeine Tafel, er fragt nach dem Verfaſſer:
Kalliſte erroͤthet. Ha! Ha! ſchreyt der Secretaͤr,
ſoll mich der Teufel, das Ding haben ſie gemacht!
Kalliſte muß es geſtehen. Der Secretaͤr bloͤkt ihr
einige Schmeichelyen vor, und ſpricht: So eine
Frau moͤchte ich haben, wie ſie ſind! Gott ſtraf
mich, ſo eine Frau! Er laͤßt es bey dieſem zaͤrtli-
chen Sturme nicht bewenden. Weil aber Kalli-
ſte des Wohlſtandes wegen ihn noch dieſen Abend in
Ungewißheit laſſen muß, ſo wird er morgen von
neuem anſetzen, er wird auch morgen noch das
Jawort, und in vierzehn Tagen Kalliſten zur Frau
bekommen: Aber in vier Wochen moͤchte er ſie
gern wieder los ſeyn. Wenn er zu Bette gehen
will, ſo fehlt Kalliſten noch ein Reim: Er muß
allein ſchlafen. Wenn er aufſteht, ſo ſchlaͤft Kal-
liſte noch, weil ſie geſtern den Reim ſehr ſpaͤt fand.
Wenn er nach Hauſe koͤmmt, und eſſen will; ſo
hat Kalliſte uͤber einer ſchoͤnen Stelle aus dem
Voltaire vergeſſen, die Kuͤche zu beſtellen. Geht
er wieder in ſein Amt, ſo verſammlet ſich eine Men-
ge witziger Herren bey ſeiner Frau, welche ſich der
ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften wegen, allemal
in Abweſenheit des Mannes bey ſeiner Frau ver-
ſammeln. Er koͤmmt Abends nach Hauſe; er
findet den Tiſch voll Buͤcher, und wieder kein Eſſen
darauf. Er flucht, und ſie erklaͤrt ihm aus dem
Seneca eine vortreffliche Stelle vom Zorne. Er
fragt: Ob ſie ihn ganz wollte verhungern laſſen?
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |