Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweytes-Buch.
ich es ihnen verbot: so schlichen sie sich ganz in
der Stille auf die Seite, nahmen mein Märchen
vom ersten April, suchten begierig die achte Wahr-
sagung, und lasen unermüdet, bis hieher. Und
nunmehr ärgern sie sich, daß ich das alles voraus
gewußt habe. Werden sie nun bald glauben, daß
meine Wahrsagungen vom ersten April gegründet
genug sind? Stecken sie nur das Buch ein, gehen
sie wieder zur Gesellschaft, ich will sie nicht ver-
rathen.

20.

Wie vielerley Wege sucht sich der Mensch aus,
zu seinem Glücke zu kommen, und wie selten trifft
er die rechten Wege! Jch sehe, daß Frontin (27)
mit einem kleinen Blättchen Papier sehr vergnügt
aus dem Zimmer eines Großen (28) des Hofs zu-
rücke kömmt, von dem er sein Glück gehofft hat,
und von dem er es nunmehro desto gewisser er-
wartet, da er ihm itzo 6000 Fl. gegen einen
Wechsel geliehen hat. Frontin ist ganz außer
sich über die gnädige und vertraute Art, mit wel-
cher ihm sein Mäzenat ein Amt, und seine ganze
Gnade versprochen hat. Aber er wird es ihm
noch oft versprechen, und wenn Frontin es sich
iemals einfallen läßt, die Jnteressen, oder das
Capital wieder zu fodern, so ist er ohne Hülfe ver-
loren. Er hätte wissen sollen, daß die Wechsel-

briefe
(27) Sein Vater, der reiche E - -, hätte sein Geld vorsichti-
ger ausgelehnt.
(28) Man wird auf verschiedene rathen, aber es ist niemand,
als Jhro Excellenz der Graf M - -.
K k 5

Zweytes-Buch.
ich es ihnen verbot: ſo ſchlichen ſie ſich ganz in
der Stille auf die Seite, nahmen mein Maͤrchen
vom erſten April, ſuchten begierig die achte Wahr-
ſagung, und laſen unermuͤdet, bis hieher. Und
nunmehr aͤrgern ſie ſich, daß ich das alles voraus
gewußt habe. Werden ſie nun bald glauben, daß
meine Wahrſagungen vom erſten April gegruͤndet
genug ſind? Stecken ſie nur das Buch ein, gehen
ſie wieder zur Geſellſchaft, ich will ſie nicht ver-
rathen.

20.

Wie vielerley Wege ſucht ſich der Menſch aus,
zu ſeinem Gluͤcke zu kommen, und wie ſelten trifft
er die rechten Wege! Jch ſehe, daß Frontin (27)
mit einem kleinen Blaͤttchen Papier ſehr vergnuͤgt
aus dem Zimmer eines Großen (28) des Hofs zu-
ruͤcke koͤmmt, von dem er ſein Gluͤck gehofft hat,
und von dem er es nunmehro deſto gewiſſer er-
wartet, da er ihm itzo 6000 Fl. gegen einen
Wechſel geliehen hat. Frontin iſt ganz außer
ſich uͤber die gnaͤdige und vertraute Art, mit wel-
cher ihm ſein Maͤzenat ein Amt, und ſeine ganze
Gnade verſprochen hat. Aber er wird es ihm
noch oft verſprechen, und wenn Frontin es ſich
iemals einfallen laͤßt, die Jntereſſen, oder das
Capital wieder zu fodern, ſo iſt er ohne Huͤlfe ver-
loren. Er haͤtte wiſſen ſollen, daß die Wechſel-

briefe
(27) Sein Vater, der reiche E ‒ ‒, haͤtte ſein Geld vorſichti-
ger ausgelehnt.
(28) Man wird auf verſchiedene rathen, aber es iſt niemand,
als Jhro Excellenz der Graf M ‒ ‒.
K k 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0543" n="521[519]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweytes-Buch.</hi></fw><lb/>
ich es ihnen verbot: &#x017F;o &#x017F;chlichen &#x017F;ie &#x017F;ich ganz in<lb/>
der Stille auf die Seite, nahmen mein Ma&#x0364;rchen<lb/>
vom er&#x017F;ten April, &#x017F;uchten begierig die achte Wahr-<lb/>
&#x017F;agung, und la&#x017F;en unermu&#x0364;det, bis hieher. Und<lb/>
nunmehr a&#x0364;rgern &#x017F;ie &#x017F;ich, daß ich das alles voraus<lb/>
gewußt habe. Werden &#x017F;ie nun bald glauben, daß<lb/>
meine Wahr&#x017F;agungen vom er&#x017F;ten April gegru&#x0364;ndet<lb/>
genug &#x017F;ind? Stecken &#x017F;ie nur das Buch ein, gehen<lb/>
&#x017F;ie wieder zur Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, ich will &#x017F;ie nicht ver-<lb/>
rathen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>20.</head><lb/>
              <p>Wie vielerley Wege &#x017F;ucht &#x017F;ich der Men&#x017F;ch aus,<lb/>
zu &#x017F;einem Glu&#x0364;cke zu kommen, und wie &#x017F;elten trifft<lb/>
er die rechten Wege! Jch &#x017F;ehe, daß <hi rendition="#fr">Frontin</hi> <note place="foot" n="(27)">Sein Vater, der reiche <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">E</hi></hi> &#x2012; &#x2012;, ha&#x0364;tte &#x017F;ein Geld vor&#x017F;ichti-<lb/>
ger ausgelehnt.</note><lb/>
mit einem kleinen Bla&#x0364;ttchen Papier &#x017F;ehr vergnu&#x0364;gt<lb/>
aus dem Zimmer eines Großen <note place="foot" n="(28)">Man wird auf ver&#x017F;chiedene rathen, aber es i&#x017F;t niemand,<lb/>
als Jhro Excellenz der Graf <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">M</hi></hi> &#x2012; &#x2012;.</note> des Hofs zu-<lb/>
ru&#x0364;cke ko&#x0364;mmt, von dem er &#x017F;ein Glu&#x0364;ck gehofft hat,<lb/>
und von dem er es nunmehro de&#x017F;to gewi&#x017F;&#x017F;er er-<lb/>
wartet, da er ihm itzo 6000 Fl. gegen einen<lb/>
Wech&#x017F;el geliehen hat. Frontin i&#x017F;t ganz außer<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber die gna&#x0364;dige und vertraute Art, mit wel-<lb/>
cher ihm &#x017F;ein Ma&#x0364;zenat ein Amt, und &#x017F;eine ganze<lb/>
Gnade ver&#x017F;prochen hat. Aber er wird es ihm<lb/>
noch oft ver&#x017F;prechen, und wenn Frontin es &#x017F;ich<lb/>
iemals einfallen la&#x0364;ßt, die Jntere&#x017F;&#x017F;en, oder das<lb/>
Capital wieder zu fodern, &#x017F;o i&#x017F;t er ohne Hu&#x0364;lfe ver-<lb/>
loren. Er ha&#x0364;tte wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen, daß die Wech&#x017F;el-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k 5</fw><fw place="bottom" type="catch">briefe</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[521[519]/0543] Zweytes-Buch. ich es ihnen verbot: ſo ſchlichen ſie ſich ganz in der Stille auf die Seite, nahmen mein Maͤrchen vom erſten April, ſuchten begierig die achte Wahr- ſagung, und laſen unermuͤdet, bis hieher. Und nunmehr aͤrgern ſie ſich, daß ich das alles voraus gewußt habe. Werden ſie nun bald glauben, daß meine Wahrſagungen vom erſten April gegruͤndet genug ſind? Stecken ſie nur das Buch ein, gehen ſie wieder zur Geſellſchaft, ich will ſie nicht ver- rathen. 20. Wie vielerley Wege ſucht ſich der Menſch aus, zu ſeinem Gluͤcke zu kommen, und wie ſelten trifft er die rechten Wege! Jch ſehe, daß Frontin (27) mit einem kleinen Blaͤttchen Papier ſehr vergnuͤgt aus dem Zimmer eines Großen (28) des Hofs zu- ruͤcke koͤmmt, von dem er ſein Gluͤck gehofft hat, und von dem er es nunmehro deſto gewiſſer er- wartet, da er ihm itzo 6000 Fl. gegen einen Wechſel geliehen hat. Frontin iſt ganz außer ſich uͤber die gnaͤdige und vertraute Art, mit wel- cher ihm ſein Maͤzenat ein Amt, und ſeine ganze Gnade verſprochen hat. Aber er wird es ihm noch oft verſprechen, und wenn Frontin es ſich iemals einfallen laͤßt, die Jntereſſen, oder das Capital wieder zu fodern, ſo iſt er ohne Huͤlfe ver- loren. Er haͤtte wiſſen ſollen, daß die Wechſel- briefe (27) Sein Vater, der reiche E ‒ ‒, haͤtte ſein Geld vorſichti- ger ausgelehnt. (28) Man wird auf verſchiedene rathen, aber es iſt niemand, als Jhro Excellenz der Graf M ‒ ‒. K k 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/543
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 521[519]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/543>, abgerufen am 22.11.2024.