Landleben verhaßt machen können. Aber werden sie in der Stadt vergnügter seyn? Man wird sie auslachen, wenn sie gestiefelt in Spielgesellschaf- ten gehen wollen. Wenn man von Operarien spricht, so werden sie zeigen, wie der Hirsch auf der Brunst schreyt. Man wird ihnen sagen, daß morgen ein Gallatag ist, und sie werden antwor- ten, daß morgen auch die Jagd aufgeht. Man wird sie fragen, ob sie morgen auf den Abend den Tamerlan mit ansehen wollen; und sie werden sehr neugierig fragen, ob er schon eingehetzt ist? Die ganze Stadt wird über sie spotten, und sie wer- den glauben, daß die ganze Stadt närrisch sey. Tauschen sie noch heute mit Cölestinen. Ziehn sie wieder aufs Land, und bereden sie Cölestinen, daß sie bey uns bleibt: so ist jedes an seinem Orte.
39.
Timoleon(48) wird heute sein Testament bey den Stadtgerichten niederlegen. Er vermuthet wohl nicht, daß es seine Kinder umstoßen werden. Er ist immer ein strenger Vater gegen seine Kin- der gewesen; und diese haben mit Zittern seine Befehle befolgt. Aber Timoleon hat vergessen, ihre Liebe zu erwerben: und das ist die Ursache, daß sie nach seinem Tode über keine von seinem Ver- ordnungen halten werden, weil sie weiter nicht Ursache haben, sich vor seiner Strenge zu fürch- ten. Bey der Unfreundlichkeit, mit welcher er seine Kinder regierte, haben sie keine Gelegenheit
gehabt
(48) Mein Nachbar T - -.
Das Maͤrchen vom erſten April.
Landleben verhaßt machen koͤnnen. Aber werden ſie in der Stadt vergnuͤgter ſeyn? Man wird ſie auslachen, wenn ſie geſtiefelt in Spielgeſellſchaf- ten gehen wollen. Wenn man von Operarien ſpricht, ſo werden ſie zeigen, wie der Hirſch auf der Brunſt ſchreyt. Man wird ihnen ſagen, daß morgen ein Gallatag iſt, und ſie werden antwor- ten, daß morgen auch die Jagd aufgeht. Man wird ſie fragen, ob ſie morgen auf den Abend den Tamerlan mit anſehen wollen; und ſie werden ſehr neugierig fragen, ob er ſchon eingehetzt iſt? Die ganze Stadt wird uͤber ſie ſpotten, und ſie wer- den glauben, daß die ganze Stadt naͤrriſch ſey. Tauſchen ſie noch heute mit Coͤleſtinen. Ziehn ſie wieder aufs Land, und bereden ſie Coͤleſtinen, daß ſie bey uns bleibt: ſo iſt jedes an ſeinem Orte.
39.
Timoleon(48) wird heute ſein Teſtament bey den Stadtgerichten niederlegen. Er vermuthet wohl nicht, daß es ſeine Kinder umſtoßen werden. Er iſt immer ein ſtrenger Vater gegen ſeine Kin- der geweſen; und dieſe haben mit Zittern ſeine Befehle befolgt. Aber Timoleon hat vergeſſen, ihre Liebe zu erwerben: und das iſt die Urſache, daß ſie nach ſeinem Tode uͤber keine von ſeinem Ver- ordnungen halten werden, weil ſie weiter nicht Urſache haben, ſich vor ſeiner Strenge zu fuͤrch- ten. Bey der Unfreundlichkeit, mit welcher er ſeine Kinder regierte, haben ſie keine Gelegenheit
gehabt
(48) Mein Nachbar T ‒ ‒.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0560"n="538[536]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Maͤrchen vom erſten April.</hi></fw><lb/>
Landleben verhaßt machen koͤnnen. Aber werden<lb/>ſie in der Stadt vergnuͤgter ſeyn? Man wird ſie<lb/>
auslachen, wenn ſie geſtiefelt in Spielgeſellſchaf-<lb/>
ten gehen wollen. Wenn man von Operarien<lb/>ſpricht, ſo werden ſie zeigen, wie der Hirſch auf<lb/>
der Brunſt ſchreyt. Man wird ihnen ſagen, daß<lb/>
morgen ein Gallatag iſt, und ſie werden antwor-<lb/>
ten, daß morgen auch die Jagd aufgeht. Man<lb/>
wird ſie fragen, ob ſie morgen auf den Abend den<lb/>
Tamerlan mit anſehen wollen; und ſie werden<lb/>ſehr neugierig fragen, ob er ſchon eingehetzt iſt?<lb/>
Die ganze Stadt wird uͤber ſie ſpotten, und ſie wer-<lb/>
den glauben, daß die ganze Stadt naͤrriſch ſey.<lb/>
Tauſchen ſie noch heute mit Coͤleſtinen. Ziehn ſie<lb/>
wieder aufs Land, und bereden ſie Coͤleſtinen, daß<lb/>ſie bey uns bleibt: ſo iſt jedes an ſeinem Orte.</p></div><lb/><divn="4"><head>39.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Timoleon</hi><noteplace="foot"n="(48)">Mein Nachbar <hirendition="#aq"><hirendition="#i">T</hi></hi>‒‒.</note> wird heute ſein Teſtament bey<lb/>
den Stadtgerichten niederlegen. Er vermuthet<lb/>
wohl nicht, daß es ſeine Kinder umſtoßen werden.<lb/>
Er iſt immer ein ſtrenger Vater gegen ſeine Kin-<lb/>
der geweſen; und dieſe haben mit Zittern ſeine<lb/>
Befehle befolgt. Aber Timoleon hat vergeſſen,<lb/>
ihre Liebe zu erwerben: und das iſt die Urſache,<lb/>
daß ſie nach ſeinem Tode uͤber keine von ſeinem Ver-<lb/>
ordnungen halten werden, weil ſie weiter nicht<lb/>
Urſache haben, ſich vor ſeiner Strenge zu fuͤrch-<lb/>
ten. Bey der Unfreundlichkeit, mit welcher er<lb/>ſeine Kinder regierte, haben ſie keine Gelegenheit<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gehabt</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[538[536]/0560]
Das Maͤrchen vom erſten April.
Landleben verhaßt machen koͤnnen. Aber werden
ſie in der Stadt vergnuͤgter ſeyn? Man wird ſie
auslachen, wenn ſie geſtiefelt in Spielgeſellſchaf-
ten gehen wollen. Wenn man von Operarien
ſpricht, ſo werden ſie zeigen, wie der Hirſch auf
der Brunſt ſchreyt. Man wird ihnen ſagen, daß
morgen ein Gallatag iſt, und ſie werden antwor-
ten, daß morgen auch die Jagd aufgeht. Man
wird ſie fragen, ob ſie morgen auf den Abend den
Tamerlan mit anſehen wollen; und ſie werden
ſehr neugierig fragen, ob er ſchon eingehetzt iſt?
Die ganze Stadt wird uͤber ſie ſpotten, und ſie wer-
den glauben, daß die ganze Stadt naͤrriſch ſey.
Tauſchen ſie noch heute mit Coͤleſtinen. Ziehn ſie
wieder aufs Land, und bereden ſie Coͤleſtinen, daß
ſie bey uns bleibt: ſo iſt jedes an ſeinem Orte.
39.
Timoleon (48) wird heute ſein Teſtament bey
den Stadtgerichten niederlegen. Er vermuthet
wohl nicht, daß es ſeine Kinder umſtoßen werden.
Er iſt immer ein ſtrenger Vater gegen ſeine Kin-
der geweſen; und dieſe haben mit Zittern ſeine
Befehle befolgt. Aber Timoleon hat vergeſſen,
ihre Liebe zu erwerben: und das iſt die Urſache,
daß ſie nach ſeinem Tode uͤber keine von ſeinem Ver-
ordnungen halten werden, weil ſie weiter nicht
Urſache haben, ſich vor ſeiner Strenge zu fuͤrch-
ten. Bey der Unfreundlichkeit, mit welcher er
ſeine Kinder regierte, haben ſie keine Gelegenheit
gehabt
(48) Mein Nachbar T ‒ ‒.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 538[536]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/560>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.