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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abbitte
als ein Poet von dieser Art? Ungeachtet des zu-
versichtlichen Stolzes, welcher ihn von seiner eig-
nen Größe überzeugt, kriecht er vor den Füßen
eines kargen Wohlthäters herum. Nectar und
Ambrosia ist die tägliche Kost, womit er sich an
der Tafel seiner Götter speist; und doch singt er
um einen Bissen Brodt, vor der Tafel seines Mä-
cenaten. Die Schätze beider Jndien sind in sei-
nen großmüthigen Augen eine verachtungswürdi-
ge Last für den, der sie besitzt; nur die Tugend
macht reich: Das hat er heute früh einem reichen
Wucherer zum Geburtstage vorgereimt; und nun
wartet er vor der Thüre desselben schon vier Stun-
den lang vergebens, und mit hungriger Ungeduld
auf einen Louisdor. Wie empfindlich muß es
diesen unglücklichen Creaturen seyn, die muthig
auf die Unsterblichkeit trotzen, und gleichwohl
schon itzt unbemerkt, und ungelesen sterben! Und
doch habe ich so lieblos seyn können, über derglei-
chen preßhafte Personen zu spotten! Es reut mich,
und die nachdrücklichste Abbitte und Ehrenerklä-
rung wird diese seyn, wenn ich sie versichere, daß
ich den Frevel, mit welchem ich mich an ihrem
Lorber vergriffen, nunmehr eben so ernstlich ver-
abscheue, als sie den Eigennutz, den Hochmuth,
die Wollust, und die bettelnde Niederträchtigkeit
verabscheuen.



Wie ungerecht die Spöttereyen über den Gei-
zigen
sind, das kann man auch daraus abnehmen,

daß

Abbitte
als ein Poet von dieſer Art? Ungeachtet des zu-
verſichtlichen Stolzes, welcher ihn von ſeiner eig-
nen Groͤße uͤberzeugt, kriecht er vor den Fuͤßen
eines kargen Wohlthaͤters herum. Nectar und
Ambroſia iſt die taͤgliche Koſt, womit er ſich an
der Tafel ſeiner Goͤtter ſpeiſt; und doch ſingt er
um einen Biſſen Brodt, vor der Tafel ſeines Maͤ-
cenaten. Die Schaͤtze beider Jndien ſind in ſei-
nen großmuͤthigen Augen eine verachtungswuͤrdi-
ge Laſt fuͤr den, der ſie beſitzt; nur die Tugend
macht reich: Das hat er heute fruͤh einem reichen
Wucherer zum Geburtstage vorgereimt; und nun
wartet er vor der Thuͤre deſſelben ſchon vier Stun-
den lang vergebens, und mit hungriger Ungeduld
auf einen Louisdor. Wie empfindlich muß es
dieſen ungluͤcklichen Creaturen ſeyn, die muthig
auf die Unſterblichkeit trotzen, und gleichwohl
ſchon itzt unbemerkt, und ungeleſen ſterben! Und
doch habe ich ſo lieblos ſeyn koͤnnen, uͤber derglei-
chen preßhafte Perſonen zu ſpotten! Es reut mich,
und die nachdruͤcklichſte Abbitte und Ehrenerklaͤ-
rung wird dieſe ſeyn, wenn ich ſie verſichere, daß
ich den Frevel, mit welchem ich mich an ihrem
Lorber vergriffen, nunmehr eben ſo ernſtlich ver-
abſcheue, als ſie den Eigennutz, den Hochmuth,
die Wolluſt, und die bettelnde Niedertraͤchtigkeit
verabſcheuen.



Wie ungerecht die Spoͤttereyen uͤber den Gei-
zigen
ſind, das kann man auch daraus abnehmen,

daß
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[570[568]/0592] Abbitte als ein Poet von dieſer Art? Ungeachtet des zu- verſichtlichen Stolzes, welcher ihn von ſeiner eig- nen Groͤße uͤberzeugt, kriecht er vor den Fuͤßen eines kargen Wohlthaͤters herum. Nectar und Ambroſia iſt die taͤgliche Koſt, womit er ſich an der Tafel ſeiner Goͤtter ſpeiſt; und doch ſingt er um einen Biſſen Brodt, vor der Tafel ſeines Maͤ- cenaten. Die Schaͤtze beider Jndien ſind in ſei- nen großmuͤthigen Augen eine verachtungswuͤrdi- ge Laſt fuͤr den, der ſie beſitzt; nur die Tugend macht reich: Das hat er heute fruͤh einem reichen Wucherer zum Geburtstage vorgereimt; und nun wartet er vor der Thuͤre deſſelben ſchon vier Stun- den lang vergebens, und mit hungriger Ungeduld auf einen Louisdor. Wie empfindlich muß es dieſen ungluͤcklichen Creaturen ſeyn, die muthig auf die Unſterblichkeit trotzen, und gleichwohl ſchon itzt unbemerkt, und ungeleſen ſterben! Und doch habe ich ſo lieblos ſeyn koͤnnen, uͤber derglei- chen preßhafte Perſonen zu ſpotten! Es reut mich, und die nachdruͤcklichſte Abbitte und Ehrenerklaͤ- rung wird dieſe ſeyn, wenn ich ſie verſichere, daß ich den Frevel, mit welchem ich mich an ihrem Lorber vergriffen, nunmehr eben ſo ernſtlich ver- abſcheue, als ſie den Eigennutz, den Hochmuth, die Wolluſt, und die bettelnde Niedertraͤchtigkeit verabſcheuen. Wie ungerecht die Spoͤttereyen uͤber den Gei- zigen ſind, das kann man auch daraus abnehmen, daß

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 570[568]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/592>, abgerufen am 22.11.2024.