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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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und Ehrenerklärung.
men pflegen. Sie steht mit einer kunstrichterli-
chen Miene am Fenster, und läßt alle Westen und
Manschetten, alle Andriennen und Kopfputze die
Musterung passiren. Der junge Herr, welcher
dort die Allee herunter getanzt kömmt, hat eine
reiche Weste, und dergleichen Aufschläge, von
einem ganz neuen und sehr guten Geschmacke. Sie
kann gar nicht begreifen, warum der Hof diesem
liebenswürdigen Menschen die Präsidentenstelle
abgeschlagen hat. Wer ist der finstre Mann in
dem abgetragnen Sammetkleide, und der altvä-
terisch gestickten Weste, welcher dort in der Haus-
thüre mit zween armen Bürgern, so gelassen und
freundschaftlich spricht? - - Jst das möglich!
Also ist dieser der würdige Präsident, an welchem
der Hof so viele Verdienste gefunden hat? Was
ist das für eine Perucke! Unfehlbar muß er diese
Perucke auch an statt der Nachtmütze brauchen;
denn sonst könnte sie unmöglich so verwirrt ausse-
hen. Und die Manschetten! Ganz gewiß sind
das noch Erbstücken von seinem seligen Vater.
Sehe ich recht? Unmöglich! Doch wahrhaftig,
ja! Zwey Löcher hat er in den schwarzen Strümp-
fen! Gerechter Himmel! Und einen solchen
Mann macht der Hof zum Präsidenten! Das arme
Land! Auf diese Art beurtheilt Orimene die Ver-
dienste der Menschen, wenn sie in ihrem Erker Ge-
richt hält; auf diese Art theilt sie Aemter aus,
und setzt andere von ihren Aemtern ab; auf dies
Art prüft sie ihre Freunde und Freundinnen; s[ie]
lobt und tadelt auf diese Art. Aber thut Ori-

mene
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und Ehrenerklaͤrung.
men pflegen. Sie ſteht mit einer kunſtrichterli-
chen Miene am Fenſter, und laͤßt alle Weſten und
Manſchetten, alle Andriennen und Kopfputze die
Muſterung paſſiren. Der junge Herr, welcher
dort die Allee herunter getanzt koͤmmt, hat eine
reiche Weſte, und dergleichen Aufſchlaͤge, von
einem ganz neuen und ſehr guten Geſchmacke. Sie
kann gar nicht begreifen, warum der Hof dieſem
liebenswuͤrdigen Menſchen die Praͤſidentenſtelle
abgeſchlagen hat. Wer iſt der finſtre Mann in
dem abgetragnen Sammetkleide, und der altvaͤ-
teriſch geſtickten Weſte, welcher dort in der Haus-
thuͤre mit zween armen Buͤrgern, ſo gelaſſen und
freundſchaftlich ſpricht? ‒ ‒ Jſt das moͤglich!
Alſo iſt dieſer der wuͤrdige Praͤſident, an welchem
der Hof ſo viele Verdienſte gefunden hat? Was
iſt das fuͤr eine Perucke! Unfehlbar muß er dieſe
Perucke auch an ſtatt der Nachtmuͤtze brauchen;
denn ſonſt koͤnnte ſie unmoͤglich ſo verwirrt ausſe-
hen. Und die Manſchetten! Ganz gewiß ſind
das noch Erbſtuͤcken von ſeinem ſeligen Vater.
Sehe ich recht? Unmoͤglich! Doch wahrhaftig,
ja! Zwey Loͤcher hat er in den ſchwarzen Struͤmp-
fen! Gerechter Himmel! Und einen ſolchen
Mann macht der Hof zum Praͤſidenten! Das arme
Land! Auf dieſe Art beurtheilt Orimene die Ver-
dienſte der Menſchen, wenn ſie in ihrem Erker Ge-
richt haͤlt; auf dieſe Art theilt ſie Aemter aus,
und ſetzt andere von ihren Aemtern ab; auf dieſ
Art pruͤft ſie ihre Freunde und Freundinnen; ſ[ie]
lobt und tadelt auf dieſe Art. Aber thut Ori-

mene
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[583[581]/0605] und Ehrenerklaͤrung. men pflegen. Sie ſteht mit einer kunſtrichterli- chen Miene am Fenſter, und laͤßt alle Weſten und Manſchetten, alle Andriennen und Kopfputze die Muſterung paſſiren. Der junge Herr, welcher dort die Allee herunter getanzt koͤmmt, hat eine reiche Weſte, und dergleichen Aufſchlaͤge, von einem ganz neuen und ſehr guten Geſchmacke. Sie kann gar nicht begreifen, warum der Hof dieſem liebenswuͤrdigen Menſchen die Praͤſidentenſtelle abgeſchlagen hat. Wer iſt der finſtre Mann in dem abgetragnen Sammetkleide, und der altvaͤ- teriſch geſtickten Weſte, welcher dort in der Haus- thuͤre mit zween armen Buͤrgern, ſo gelaſſen und freundſchaftlich ſpricht? ‒ ‒ Jſt das moͤglich! Alſo iſt dieſer der wuͤrdige Praͤſident, an welchem der Hof ſo viele Verdienſte gefunden hat? Was iſt das fuͤr eine Perucke! Unfehlbar muß er dieſe Perucke auch an ſtatt der Nachtmuͤtze brauchen; denn ſonſt koͤnnte ſie unmoͤglich ſo verwirrt ausſe- hen. Und die Manſchetten! Ganz gewiß ſind das noch Erbſtuͤcken von ſeinem ſeligen Vater. Sehe ich recht? Unmoͤglich! Doch wahrhaftig, ja! Zwey Loͤcher hat er in den ſchwarzen Struͤmp- fen! Gerechter Himmel! Und einen ſolchen Mann macht der Hof zum Praͤſidenten! Das arme Land! Auf dieſe Art beurtheilt Orimene die Ver- dienſte der Menſchen, wenn ſie in ihrem Erker Ge- richt haͤlt; auf dieſe Art theilt ſie Aemter aus, und ſetzt andere von ihren Aemtern ab; auf dieſ Art pruͤft ſie ihre Freunde und Freundinnen; ſie lobt und tadelt auf dieſe Art. Aber thut Ori- mene O o 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 583[581]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/605>, abgerufen am 23.11.2024.