Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abbitte
herabsieht, da ich sie mit der unehrerbietigen Wahr-
heit beleidigt habe, daß sie durch ihre Rangstrei-
tigkeiten, auch die freundschaftlichsten Familien in
bittere Feindschaft verwickele? Diesen Ehrgeiz
werde ich nicht besser entschuldigen können, als
wenn ich die Ursachen getreu erzähle, welche Cel-
sen
zu diesen Feindseligkeiten bewegen. Celsa hat
das seltne Glück, sich selbst zu kennen; und dieses
hat sie von ihren Vorzügen dergestalt überzeugt,
daß sie die Pflichten gegen sich selbst verletzen wür-
de, wenn sie nicht diesen Vorzügen ihr Recht wie-
derfahren lassen wollte. Da sie es einmal so weit
gebracht hat, von ihren eignen Vollkommenhei-
ten überführt zu seyn; so ist, wie man leicht glau-
ben kann, dieses eine von ihren angenehmsten Be-
schäfftigungen, daß sie täglich neue Vollkommen-
heiten an sich ausspähet, und ihrem Schöpfer die
Ehre thut, sich zu bewundern. Diese eigne Be-
wunderung würde für sie nur halb so angenehm
und erbaulich seyn, wenn sie nicht mit einer
bittern Aufmerksamkeit die Unvollkommenheiten
anderer untersuchte. Aus dieser Untersuchung
kann nichts anders, als Mitleid, oder Verachtung
kommen; denn alle Personen, die sie noch zur Zeit
hat kennen lernen, stehen so unendlich weit unter
ihr, daß sie es bloß der unerforschlichen Langmuth
des Himmels zuschreibt, daß dergleichen unedle
Geschöpfe mit ihr in die Welt gesetzt sind, und mit
ihr leben. Sie will, so viel möglich, dieses Ver-
sehen der Natur wieder gut machen; sie entzieht
sich daher des Umganges mit diesen verächtlichen

Ge-

Abbitte
herabſieht, da ich ſie mit der unehrerbietigen Wahr-
heit beleidigt habe, daß ſie durch ihre Rangſtrei-
tigkeiten, auch die freundſchaftlichſten Familien in
bittere Feindſchaft verwickele? Dieſen Ehrgeiz
werde ich nicht beſſer entſchuldigen koͤnnen, als
wenn ich die Urſachen getreu erzaͤhle, welche Cel-
ſen
zu dieſen Feindſeligkeiten bewegen. Celſa hat
das ſeltne Gluͤck, ſich ſelbſt zu kennen; und dieſes
hat ſie von ihren Vorzuͤgen dergeſtalt uͤberzeugt,
daß ſie die Pflichten gegen ſich ſelbſt verletzen wuͤr-
de, wenn ſie nicht dieſen Vorzuͤgen ihr Recht wie-
derfahren laſſen wollte. Da ſie es einmal ſo weit
gebracht hat, von ihren eignen Vollkommenhei-
ten uͤberfuͤhrt zu ſeyn; ſo iſt, wie man leicht glau-
ben kann, dieſes eine von ihren angenehmſten Be-
ſchaͤfftigungen, daß ſie taͤglich neue Vollkommen-
heiten an ſich ausſpaͤhet, und ihrem Schoͤpfer die
Ehre thut, ſich zu bewundern. Dieſe eigne Be-
wunderung wuͤrde fuͤr ſie nur halb ſo angenehm
und erbaulich ſeyn, wenn ſie nicht mit einer
bittern Aufmerkſamkeit die Unvollkommenheiten
anderer unterſuchte. Aus dieſer Unterſuchung
kann nichts anders, als Mitleid, oder Verachtung
kommen; denn alle Perſonen, die ſie noch zur Zeit
hat kennen lernen, ſtehen ſo unendlich weit unter
ihr, daß ſie es bloß der unerforſchlichen Langmuth
des Himmels zuſchreibt, daß dergleichen unedle
Geſchoͤpfe mit ihr in die Welt geſetzt ſind, und mit
ihr leben. Sie will, ſo viel moͤglich, dieſes Ver-
ſehen der Natur wieder gut machen; ſie entzieht
ſich daher des Umganges mit dieſen veraͤchtlichen

Ge-
<TEI>
  <text>
    <back>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0610" n="588[586]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abbitte</hi></fw><lb/>
herab&#x017F;ieht, da ich &#x017F;ie mit der unehrerbietigen Wahr-<lb/>
heit beleidigt habe, daß &#x017F;ie durch ihre Rang&#x017F;trei-<lb/>
tigkeiten, auch die freund&#x017F;chaftlich&#x017F;ten Familien in<lb/>
bittere Feind&#x017F;chaft verwickele? Die&#x017F;en Ehrgeiz<lb/>
werde ich nicht be&#x017F;&#x017F;er ent&#x017F;chuldigen ko&#x0364;nnen, als<lb/>
wenn ich die Ur&#x017F;achen getreu erza&#x0364;hle, welche <hi rendition="#fr">Cel-<lb/>
&#x017F;en</hi> zu die&#x017F;en Feind&#x017F;eligkeiten bewegen. <hi rendition="#fr">Cel&#x017F;a</hi> hat<lb/>
das &#x017F;eltne Glu&#x0364;ck, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu kennen; und die&#x017F;es<lb/>
hat &#x017F;ie von ihren Vorzu&#x0364;gen derge&#x017F;talt u&#x0364;berzeugt,<lb/>
daß &#x017F;ie die Pflichten gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verletzen wu&#x0364;r-<lb/>
de, wenn &#x017F;ie nicht die&#x017F;en Vorzu&#x0364;gen ihr Recht wie-<lb/>
derfahren la&#x017F;&#x017F;en wollte. Da &#x017F;ie es einmal &#x017F;o weit<lb/>
gebracht hat, von ihren eignen Vollkommenhei-<lb/>
ten u&#x0364;berfu&#x0364;hrt zu &#x017F;eyn; &#x017F;o i&#x017F;t, wie man leicht glau-<lb/>
ben kann, die&#x017F;es eine von ihren angenehm&#x017F;ten Be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fftigungen, daß &#x017F;ie ta&#x0364;glich neue Vollkommen-<lb/>
heiten an &#x017F;ich aus&#x017F;pa&#x0364;het, und ihrem Scho&#x0364;pfer die<lb/>
Ehre thut, &#x017F;ich zu bewundern. Die&#x017F;e eigne Be-<lb/>
wunderung wu&#x0364;rde fu&#x0364;r &#x017F;ie nur halb &#x017F;o angenehm<lb/>
und erbaulich &#x017F;eyn, wenn &#x017F;ie nicht mit einer<lb/>
bittern Aufmerk&#x017F;amkeit die Unvollkommenheiten<lb/>
anderer unter&#x017F;uchte. Aus die&#x017F;er Unter&#x017F;uchung<lb/>
kann nichts anders, als Mitleid, oder Verachtung<lb/>
kommen; denn alle Per&#x017F;onen, die &#x017F;ie noch zur Zeit<lb/>
hat kennen lernen, &#x017F;tehen &#x017F;o unendlich weit unter<lb/>
ihr, daß &#x017F;ie es bloß der unerfor&#x017F;chlichen Langmuth<lb/>
des Himmels zu&#x017F;chreibt, daß dergleichen unedle<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe mit ihr in die Welt ge&#x017F;etzt &#x017F;ind, und mit<lb/>
ihr leben. Sie will, &#x017F;o viel mo&#x0364;glich, die&#x017F;es Ver-<lb/>
&#x017F;ehen der Natur wieder gut machen; &#x017F;ie entzieht<lb/>
&#x017F;ich daher des Umganges mit die&#x017F;en vera&#x0364;chtlichen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[588[586]/0610] Abbitte herabſieht, da ich ſie mit der unehrerbietigen Wahr- heit beleidigt habe, daß ſie durch ihre Rangſtrei- tigkeiten, auch die freundſchaftlichſten Familien in bittere Feindſchaft verwickele? Dieſen Ehrgeiz werde ich nicht beſſer entſchuldigen koͤnnen, als wenn ich die Urſachen getreu erzaͤhle, welche Cel- ſen zu dieſen Feindſeligkeiten bewegen. Celſa hat das ſeltne Gluͤck, ſich ſelbſt zu kennen; und dieſes hat ſie von ihren Vorzuͤgen dergeſtalt uͤberzeugt, daß ſie die Pflichten gegen ſich ſelbſt verletzen wuͤr- de, wenn ſie nicht dieſen Vorzuͤgen ihr Recht wie- derfahren laſſen wollte. Da ſie es einmal ſo weit gebracht hat, von ihren eignen Vollkommenhei- ten uͤberfuͤhrt zu ſeyn; ſo iſt, wie man leicht glau- ben kann, dieſes eine von ihren angenehmſten Be- ſchaͤfftigungen, daß ſie taͤglich neue Vollkommen- heiten an ſich ausſpaͤhet, und ihrem Schoͤpfer die Ehre thut, ſich zu bewundern. Dieſe eigne Be- wunderung wuͤrde fuͤr ſie nur halb ſo angenehm und erbaulich ſeyn, wenn ſie nicht mit einer bittern Aufmerkſamkeit die Unvollkommenheiten anderer unterſuchte. Aus dieſer Unterſuchung kann nichts anders, als Mitleid, oder Verachtung kommen; denn alle Perſonen, die ſie noch zur Zeit hat kennen lernen, ſtehen ſo unendlich weit unter ihr, daß ſie es bloß der unerforſchlichen Langmuth des Himmels zuſchreibt, daß dergleichen unedle Geſchoͤpfe mit ihr in die Welt geſetzt ſind, und mit ihr leben. Sie will, ſo viel moͤglich, dieſes Ver- ſehen der Natur wieder gut machen; ſie entzieht ſich daher des Umganges mit dieſen veraͤchtlichen Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/610
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 588[586]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/610>, abgerufen am 23.11.2024.