[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.Abhandlung von Sprüchwörtern. Welt hat es mir, vornehmlich aber der Geschick-lichkeit seines Advocaten, zu danken, daß sie nun- mehr einen ehrlichen Mann mehr hat. Und wenn, wie die Rechte sagen, derjenige der Ehrlich- ste ist, welcher seine Ehrlichkeit unter den Händen des Scharfrichters, und bey der Tortur behaup- tet hat: so ist niemand ehrlicher, als mein Cava- lier, wider den schon fünf Volumina Acten zeug- ten, daß er ein Betrüger sey, und welcher doch nunmehr, Trotz allen Gesetzen, in Sicherheit ist, daß niemand, ohne einen Jnjurienproceß zu be- kommen, es wagen darf, ihn also zu nennen. Kurz, er gestund es nicht, und darum blieb er der ehrliche Mann, der er vorher gewesen war. Es besteht diese Ehrlichkeit nicht etwan nur in einer bloßen Einbildung. Nein, der ganze benachbarte Adel ist davon überführt. Er behauptet nach, wie vor, einen ganz ansehnlichen Charakter, den er sonst führte. Er heißt noch immer Jhro Gnaden. Selbst diejenigen, die er betrogen hat, wenn ich mich der Sprache des bürgerlichen Pöbels bedie- nen darf, sind genöthigt, zu bekennen, daß sie un- terthänige Diener von ihm sind; sie empfehlen sich seiner hohen Protection Demuthsvoll. Sein Pfarrer bittet alle Sonntage öffentlich Gott für sein kostbares Leben. Man sieht ihn mit Ver- gnügen, wenn er in Gesellschafft kömmt, und räumt ihm eine Stelle ein, welcher sich ein gemei- ner Mann, wenn er auch noch so ehrlich wäre, niemals anmaßen dürfte. Er bleibt der artige Herr, der er sonst gewesen ist. Die gnädigen Fräu-
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Welt hat es mir, vornehmlich aber der Geſchick-lichkeit ſeines Advocaten, zu danken, daß ſie nun- mehr einen ehrlichen Mann mehr hat. Und wenn, wie die Rechte ſagen, derjenige der Ehrlich- ſte iſt, welcher ſeine Ehrlichkeit unter den Haͤnden des Scharfrichters, und bey der Tortur behaup- tet hat: ſo iſt niemand ehrlicher, als mein Cava- lier, wider den ſchon fuͤnf Volumina Acten zeug- ten, daß er ein Betruͤger ſey, und welcher doch nunmehr, Trotz allen Geſetzen, in Sicherheit iſt, daß niemand, ohne einen Jnjurienproceß zu be- kommen, es wagen darf, ihn alſo zu nennen. Kurz, er geſtund es nicht, und darum blieb er der ehrliche Mann, der er vorher geweſen war. Es beſteht dieſe Ehrlichkeit nicht etwan nur in einer bloßen Einbildung. Nein, der ganze benachbarte Adel iſt davon uͤberfuͤhrt. Er behauptet nach, wie vor, einen ganz anſehnlichen Charakter, den er ſonſt fuͤhrte. Er heißt noch immer Jhro Gnaden. Selbſt diejenigen, die er betrogen hat, wenn ich mich der Sprache des buͤrgerlichen Poͤbels bedie- nen darf, ſind genoͤthigt, zu bekennen, daß ſie un- terthaͤnige Diener von ihm ſind; ſie empfehlen ſich ſeiner hohen Protection Demuthsvoll. Sein Pfarrer bittet alle Sonntage oͤffentlich Gott fuͤr ſein koſtbares Leben. Man ſieht ihn mit Ver- gnuͤgen, wenn er in Geſellſchafft koͤmmt, und raͤumt ihm eine Stelle ein, welcher ſich ein gemei- ner Mann, wenn er auch noch ſo ehrlich waͤre, niemals anmaßen duͤrfte. Er bleibt der artige Herr, der er ſonſt geweſen iſt. Die gnaͤdigen Fraͤu-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0099" n="77"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/> Welt hat es mir, vornehmlich aber der Geſchick-<lb/> lichkeit ſeines Advocaten, zu danken, daß ſie nun-<lb/> mehr einen ehrlichen Mann mehr hat. Und<lb/> wenn, wie die Rechte ſagen, derjenige der Ehrlich-<lb/> ſte iſt, welcher ſeine Ehrlichkeit unter den Haͤnden<lb/> des Scharfrichters, und bey der Tortur behaup-<lb/> tet hat: ſo iſt niemand ehrlicher, als mein Cava-<lb/> lier, wider den ſchon fuͤnf Volumina Acten zeug-<lb/> ten, daß er ein Betruͤger ſey, und welcher doch<lb/> nunmehr, Trotz allen Geſetzen, in Sicherheit iſt,<lb/> daß niemand, ohne einen Jnjurienproceß zu be-<lb/> kommen, es wagen darf, ihn alſo zu nennen.<lb/> Kurz, er geſtund es nicht, und darum blieb er der<lb/> ehrliche Mann, der er vorher geweſen war. Es<lb/> beſteht dieſe Ehrlichkeit nicht etwan nur in einer<lb/> bloßen Einbildung. Nein, der ganze benachbarte<lb/> Adel iſt davon uͤberfuͤhrt. Er behauptet nach, wie<lb/> vor, einen ganz anſehnlichen Charakter, den er ſonſt<lb/> fuͤhrte. Er heißt noch immer Jhro Gnaden.<lb/> Selbſt diejenigen, die er betrogen hat, wenn ich<lb/> mich der Sprache des buͤrgerlichen Poͤbels bedie-<lb/> nen darf, ſind genoͤthigt, zu bekennen, daß ſie un-<lb/> terthaͤnige Diener von ihm ſind; ſie empfehlen<lb/> ſich ſeiner hohen Protection Demuthsvoll. Sein<lb/> Pfarrer bittet alle Sonntage oͤffentlich Gott fuͤr<lb/> ſein koſtbares Leben. Man ſieht ihn mit Ver-<lb/> gnuͤgen, wenn er in Geſellſchafft koͤmmt, und<lb/> raͤumt ihm eine Stelle ein, welcher ſich ein gemei-<lb/> ner Mann, wenn er auch noch ſo ehrlich waͤre,<lb/> niemals anmaßen duͤrfte. Er bleibt der artige<lb/> Herr, der er ſonſt geweſen iſt. Die gnaͤdigen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Fraͤu-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0099]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Welt hat es mir, vornehmlich aber der Geſchick-
lichkeit ſeines Advocaten, zu danken, daß ſie nun-
mehr einen ehrlichen Mann mehr hat. Und
wenn, wie die Rechte ſagen, derjenige der Ehrlich-
ſte iſt, welcher ſeine Ehrlichkeit unter den Haͤnden
des Scharfrichters, und bey der Tortur behaup-
tet hat: ſo iſt niemand ehrlicher, als mein Cava-
lier, wider den ſchon fuͤnf Volumina Acten zeug-
ten, daß er ein Betruͤger ſey, und welcher doch
nunmehr, Trotz allen Geſetzen, in Sicherheit iſt,
daß niemand, ohne einen Jnjurienproceß zu be-
kommen, es wagen darf, ihn alſo zu nennen.
Kurz, er geſtund es nicht, und darum blieb er der
ehrliche Mann, der er vorher geweſen war. Es
beſteht dieſe Ehrlichkeit nicht etwan nur in einer
bloßen Einbildung. Nein, der ganze benachbarte
Adel iſt davon uͤberfuͤhrt. Er behauptet nach, wie
vor, einen ganz anſehnlichen Charakter, den er ſonſt
fuͤhrte. Er heißt noch immer Jhro Gnaden.
Selbſt diejenigen, die er betrogen hat, wenn ich
mich der Sprache des buͤrgerlichen Poͤbels bedie-
nen darf, ſind genoͤthigt, zu bekennen, daß ſie un-
terthaͤnige Diener von ihm ſind; ſie empfehlen
ſich ſeiner hohen Protection Demuthsvoll. Sein
Pfarrer bittet alle Sonntage oͤffentlich Gott fuͤr
ſein koſtbares Leben. Man ſieht ihn mit Ver-
gnuͤgen, wenn er in Geſellſchafft koͤmmt, und
raͤumt ihm eine Stelle ein, welcher ſich ein gemei-
ner Mann, wenn er auch noch ſo ehrlich waͤre,
niemals anmaßen duͤrfte. Er bleibt der artige
Herr, der er ſonſt geweſen iſt. Die gnaͤdigen
Fraͤu-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |