füllung seiner Einbildungskraft; es ist kalte Beschäff- tigung seines Witzes.
Wie unsicher ist die Rechnung, die der Künstler auf das Maaß von Kenntnissen macht, die der Lieb- haber zu dem Anblick seines Werkes herzubringt! Wie abhängig von unzähligen Nebenumständen und Ver- hältnissen der Erziehung, des Nationalcharakters, der Neigungen, der Beschäfftigungen! In der That die allegorische Schrift, in so fern sie für sich steht, ist die eingeschränkteste von der Welt, kaum einigen Per- sonen aus einer Classe unter einem Volke verständlich!
Schon diese Betrachtung allein sollte dem Künst- ler die Verbindlichkeit auflegen, jenes Interesse, das von der Kenntniß der geheimen Bedeutung abhängt, und nur von wenigen empfunden wird, demjenigen unterzuordnen, das dem Wesen der Kunst angemesse- ner, von jedem wohlerzogenen Menschen getheilt wird. Ich rede von dem Ausdruck der Affekten, die jedem Menschen mit einem Herzen gemein sind, der sichtbare Handlung motivirt, und von dieser wieder motivirt wird.
Bei einzelnen Figuren fällt die Nothwendigkeit weniger auf. Ist es nicht die Gerechtigkeit, die wir sehen, so ist es eine schöne Frau; die Waage in der Hand, selbst der unverständliche Strauß zu ihrer Seite, wird den Eindruck ihrer schönen Gestalt nicht stören. Es ist die körperliche Form, auf die wir bei einzelnen Figuren unsere erste und hauptsächlichste Rücksicht nehmen.
Aber ganz anders verhält es sich mit weitläufti- geren Zusammensetzungen, mit den sogenannten histo-
rischen
Der Vaticaniſche Pallaſt.
fuͤllung ſeiner Einbildungskraft; es iſt kalte Beſchaͤff- tigung ſeines Witzes.
Wie unſicher iſt die Rechnung, die der Kuͤnſtler auf das Maaß von Kenntniſſen macht, die der Lieb- haber zu dem Anblick ſeines Werkes herzubringt! Wie abhaͤngig von unzaͤhligen Nebenumſtaͤnden und Ver- haͤltniſſen der Erziehung, des Nationalcharakters, der Neigungen, der Beſchaͤfftigungen! In der That die allegoriſche Schrift, in ſo fern ſie fuͤr ſich ſteht, iſt die eingeſchraͤnkteſte von der Welt, kaum einigen Per- ſonen aus einer Claſſe unter einem Volke verſtaͤndlich!
Schon dieſe Betrachtung allein ſollte dem Kuͤnſt- ler die Verbindlichkeit auflegen, jenes Intereſſe, das von der Kenntniß der geheimen Bedeutung abhaͤngt, und nur von wenigen empfunden wird, demjenigen unterzuordnen, das dem Weſen der Kunſt angemeſſe- ner, von jedem wohlerzogenen Menſchen getheilt wird. Ich rede von dem Ausdruck der Affekten, die jedem Menſchen mit einem Herzen gemein ſind, der ſichtbare Handlung motivirt, und von dieſer wieder motivirt wird.
Bei einzelnen Figuren faͤllt die Nothwendigkeit weniger auf. Iſt es nicht die Gerechtigkeit, die wir ſehen, ſo iſt es eine ſchoͤne Frau; die Waage in der Hand, ſelbſt der unverſtaͤndliche Strauß zu ihrer Seite, wird den Eindruck ihrer ſchoͤnen Geſtalt nicht ſtoͤren. Es iſt die koͤrperliche Form, auf die wir bei einzelnen Figuren unſere erſte und hauptſaͤchlichſte Ruͤckſicht nehmen.
Aber ganz anders verhaͤlt es ſich mit weitlaͤufti- geren Zuſammenſetzungen, mit den ſogenannten hiſto-
riſchen
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
fuͤllung ſeiner Einbildungskraft; es iſt kalte Beſchaͤff-
tigung ſeines Witzes.
Wie unſicher iſt die Rechnung, die der Kuͤnſtler
auf das Maaß von Kenntniſſen macht, die der Lieb-
haber zu dem Anblick ſeines Werkes herzubringt! Wie
abhaͤngig von unzaͤhligen Nebenumſtaͤnden und Ver-
haͤltniſſen der Erziehung, des Nationalcharakters,
der Neigungen, der Beſchaͤfftigungen! In der That
die allegoriſche Schrift, in ſo fern ſie fuͤr ſich ſteht, iſt
die eingeſchraͤnkteſte von der Welt, kaum einigen Per-
ſonen aus einer Claſſe unter einem Volke verſtaͤndlich!
Schon dieſe Betrachtung allein ſollte dem Kuͤnſt-
ler die Verbindlichkeit auflegen, jenes Intereſſe, das
von der Kenntniß der geheimen Bedeutung abhaͤngt,
und nur von wenigen empfunden wird, demjenigen
unterzuordnen, das dem Weſen der Kunſt angemeſſe-
ner, von jedem wohlerzogenen Menſchen getheilt wird.
Ich rede von dem Ausdruck der Affekten, die jedem
Menſchen mit einem Herzen gemein ſind, der ſichtbare
Handlung motivirt, und von dieſer wieder motivirt
wird.
Bei einzelnen Figuren faͤllt die Nothwendigkeit
weniger auf. Iſt es nicht die Gerechtigkeit, die wir
ſehen, ſo iſt es eine ſchoͤne Frau; die Waage in der
Hand, ſelbſt der unverſtaͤndliche Strauß zu ihrer
Seite, wird den Eindruck ihrer ſchoͤnen Geſtalt nicht
ſtoͤren. Es iſt die koͤrperliche Form, auf die wir bei
einzelnen Figuren unſere erſte und hauptſaͤchlichſte
Ruͤckſicht nehmen.
Aber ganz anders verhaͤlt es ſich mit weitlaͤufti-
geren Zuſammenſetzungen, mit den ſogenannten hiſto-
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/213>, abgerufen am 16.07.2024.
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