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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.

Um also dem Ausdruck gewaltsamer Anstrengung
der Seele die gehörige Deutlichkeit zu geben, treibt
der Bildhauer die Muskeln auf, läßt die Adern an-
schwellen, und höhlt die Seiten aus. Dies geschieht
nicht ohne eine merkliche Menge von Erhöhungen und
Vertiefungen hervorzubringen, die das Licht auffan-
gen, und viele kleine Abtheilungen bald hell bald dun-
kel bilden. Was ist aber hiervon die Folge? Daß
diese auf dem weißen Marmor grell gegen einander
abstechenden Flecken, eine Härte hervorbringen, die
dem Auge keinesweges gefällig ist. Die Bildhauer-
kunst entbehrt jenen Zauber der Färbung und des Hell-
dunkeln, durch den in der Mahlerei, mehrere ange-
schwollene Muskeln in eine lichte Masse zusammen ver-
einigt werden, und durch welche Vertiefung nebst Er-
höhung selbst im Hellen sichtbar werden.

Sollte wohl der Bildhauer bei der Wahl der
Geschichte des Laocoon die Gränzen überschritten haben,
die ihm die Materie, die er bearbeitete, vorschrieb? 12)
Sollte nicht jede Leidenschaft deren Aeußerungen schnell
entstehen, und schnell verschwinden, unsere Betrach-

tung
tour, qui le rend si facile a parcourir aux yeux.
und ich möchte hinzusetzen: die uns in der Bild-
hauerkunst, deren Hauptvorzug Harmonie der
Schönheit ist, wichtiger seyn muß, als Ausdruck
einer Leidenschaft.
12) Derselbe p. 24. le Laocoon appartient beaucoup
plus a la Peinture qu' a la Sculpture.
Seine
Gründe sind metaphysischer gedacht und ausgedrückt.
Ich citire ihn blos um die Uebereinstimmung der
Empfindung zu beweisen.
Der Vaticaniſche Pallaſt.

Um alſo dem Ausdruck gewaltſamer Anſtrengung
der Seele die gehoͤrige Deutlichkeit zu geben, treibt
der Bildhauer die Muſkeln auf, laͤßt die Adern an-
ſchwellen, und hoͤhlt die Seiten aus. Dies geſchieht
nicht ohne eine merkliche Menge von Erhoͤhungen und
Vertiefungen hervorzubringen, die das Licht auffan-
gen, und viele kleine Abtheilungen bald hell bald dun-
kel bilden. Was iſt aber hiervon die Folge? Daß
dieſe auf dem weißen Marmor grell gegen einander
abſtechenden Flecken, eine Haͤrte hervorbringen, die
dem Auge keinesweges gefaͤllig iſt. Die Bildhauer-
kunſt entbehrt jenen Zauber der Faͤrbung und des Hell-
dunkeln, durch den in der Mahlerei, mehrere ange-
ſchwollene Muſkeln in eine lichte Maſſe zuſammen ver-
einigt werden, und durch welche Vertiefung nebſt Er-
hoͤhung ſelbſt im Hellen ſichtbar werden.

Sollte wohl der Bildhauer bei der Wahl der
Geſchichte des Laocoon die Graͤnzen uͤberſchritten haben,
die ihm die Materie, die er bearbeitete, vorſchrieb? 12)
Sollte nicht jede Leidenſchaft deren Aeußerungen ſchnell
entſtehen, und ſchnell verſchwinden, unſere Betrach-

tung
tour, qui le rend ſi facile à parcourir aux yeux.
und ich moͤchte hinzuſetzen: die uns in der Bild-
hauerkunſt, deren Hauptvorzug Harmonie der
Schoͤnheit iſt, wichtiger ſeyn muß, als Ausdruck
einer Leidenſchaft.
12) Derſelbe p. 24. le Laocoon appartient beaucoup
plus à la Peinture qu’ à la Sculpture.
Seine
Gruͤnde ſind metaphyſiſcher gedacht und ausgedruͤckt.
Ich citire ihn blos um die Uebereinſtimmung der
Empfindung zu beweiſen.
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[66/0088] Der Vaticaniſche Pallaſt. Um alſo dem Ausdruck gewaltſamer Anſtrengung der Seele die gehoͤrige Deutlichkeit zu geben, treibt der Bildhauer die Muſkeln auf, laͤßt die Adern an- ſchwellen, und hoͤhlt die Seiten aus. Dies geſchieht nicht ohne eine merkliche Menge von Erhoͤhungen und Vertiefungen hervorzubringen, die das Licht auffan- gen, und viele kleine Abtheilungen bald hell bald dun- kel bilden. Was iſt aber hiervon die Folge? Daß dieſe auf dem weißen Marmor grell gegen einander abſtechenden Flecken, eine Haͤrte hervorbringen, die dem Auge keinesweges gefaͤllig iſt. Die Bildhauer- kunſt entbehrt jenen Zauber der Faͤrbung und des Hell- dunkeln, durch den in der Mahlerei, mehrere ange- ſchwollene Muſkeln in eine lichte Maſſe zuſammen ver- einigt werden, und durch welche Vertiefung nebſt Er- hoͤhung ſelbſt im Hellen ſichtbar werden. Sollte wohl der Bildhauer bei der Wahl der Geſchichte des Laocoon die Graͤnzen uͤberſchritten haben, die ihm die Materie, die er bearbeitete, vorſchrieb? 12) Sollte nicht jede Leidenſchaft deren Aeußerungen ſchnell entſtehen, und ſchnell verſchwinden, unſere Betrach- tung 11) 12) Derſelbe p. 24. le Laocoon appartient beaucoup plus à la Peinture qu’ à la Sculpture. Seine Gruͤnde ſind metaphyſiſcher gedacht und ausgedruͤckt. Ich citire ihn blos um die Uebereinſtimmung der Empfindung zu beweiſen. 11) tour, qui le rend ſi facile à parcourir aux yeux. und ich moͤchte hinzuſetzen: die uns in der Bild- hauerkunſt, deren Hauptvorzug Harmonie der Schoͤnheit iſt, wichtiger ſeyn muß, als Ausdruck einer Leidenſchaft.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/88>, abgerufen am 21.11.2024.