Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Villa Medicis.

dieser Vorstellung in Rom die Zahl von sieben
Töchtern und sieben Söhnen nicht beobachtet, und
man sieht nicht ein, was den Künstler zu deren
arithmetischen Aufstellung hätte bewegen sollen.
Er zeigte ihrer so viele als die Einbildungskraft
des Zuschauers zur Vollständigkeit des Ausdrucks
der verschiedenen Gemüthsbewegungen verlangt,
die durch diese Catastrophe in den handelnden Per-
sonen hervorgebracht werden konnten: Er zeigte
ihrer so viel, als dieser Ausdruck Abwechselung in
Stellungen, und Schönheit der Bewegungen mo-
tivirt.
Vielleicht dürfte jetzt auch die Beantwortung der
Frage: wie diese Figuren zu einer Gruppe hätten
angeordnet seyn können? so schwer nicht fallen.
Ich rede aber nur von der Anordnung des ersten
Urhebers.
Sind von den anfänglich zusammengehörenden
Figuren keine abgekommen, so haben die Mutter,
vier Söhne und vier Töchter die ursprüngliche
Gruppe ausgemacht. Von diesen sind einige so
ausgearbeitet, als wenn sie frei gestanden hätten,
andere, als wenn sie an eine Wand gelehnt gewesen
wären: einige, als hätte der Vordertheil ihres
Körpers, andere, als hätte der Hintertheil des-
selben gesehen werden sollen. Weitere Merkmahle
des Ineinandergreifens, des Zusammenhangs der
Figuren bemerken wir nicht.
Nun stelle ich mir vor, daß diese Figuren eine
Wand ausgefüllet haben. Die Mutter mit der
Tochter, die in ihrem Schooße Schutz sucht, stand
in der Mitte: Vor ihr lag der sterbende Sohn:
Auf der einen Seite frei, von der Wand ab, stand
die Tochter, die ihn zu betrauren scheint, auf der
andern die Tochter, die zum Himmel blickt, gleich-
falls

Villa Medicis.

dieſer Vorſtellung in Rom die Zahl von ſieben
Toͤchtern und ſieben Soͤhnen nicht beobachtet, und
man ſieht nicht ein, was den Kuͤnſtler zu deren
arithmetiſchen Aufſtellung haͤtte bewegen ſollen.
Er zeigte ihrer ſo viele als die Einbildungskraft
des Zuſchauers zur Vollſtaͤndigkeit des Ausdrucks
der verſchiedenen Gemuͤthsbewegungen verlangt,
die durch dieſe Cataſtrophe in den handelnden Per-
ſonen hervorgebracht werden konnten: Er zeigte
ihrer ſo viel, als dieſer Ausdruck Abwechſelung in
Stellungen, und Schoͤnheit der Bewegungen mo-
tivirt.
Vielleicht duͤrfte jetzt auch die Beantwortung der
Frage: wie dieſe Figuren zu einer Gruppe haͤtten
angeordnet ſeyn koͤnnen? ſo ſchwer nicht fallen.
Ich rede aber nur von der Anordnung des erſten
Urhebers.
Sind von den anfaͤnglich zuſammengehoͤrenden
Figuren keine abgekommen, ſo haben die Mutter,
vier Soͤhne und vier Toͤchter die urſpruͤngliche
Gruppe ausgemacht. Von dieſen ſind einige ſo
ausgearbeitet, als wenn ſie frei geſtanden haͤtten,
andere, als wenn ſie an eine Wand gelehnt geweſen
waͤren: einige, als haͤtte der Vordertheil ihres
Koͤrpers, andere, als haͤtte der Hintertheil deſ-
ſelben geſehen werden ſollen. Weitere Merkmahle
des Ineinandergreifens, des Zuſammenhangs der
Figuren bemerken wir nicht.
Nun ſtelle ich mir vor, daß dieſe Figuren eine
Wand ausgefuͤllet haben. Die Mutter mit der
Tochter, die in ihrem Schooße Schutz ſucht, ſtand
in der Mitte: Vor ihr lag der ſterbende Sohn:
Auf der einen Seite frei, von der Wand ab, ſtand
die Tochter, die ihn zu betrauren ſcheint, auf der
andern die Tochter, die zum Himmel blickt, gleich-
falls
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0160" n="146"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Villa Medicis.</hi> </fw><lb/>
          <note next="#note-0161" xml:id="note-0160" prev="#seg2pn_5_9" place="foot" n="1)">die&#x017F;er Vor&#x017F;tellung in Rom die Zahl von &#x017F;ieben<lb/>
To&#x0364;chtern und &#x017F;ieben So&#x0364;hnen nicht beobachtet, und<lb/>
man &#x017F;ieht nicht ein, was den Ku&#x0364;n&#x017F;tler zu deren<lb/>
arithmeti&#x017F;chen Auf&#x017F;tellung ha&#x0364;tte bewegen &#x017F;ollen.<lb/>
Er zeigte ihrer &#x017F;o viele als die Einbildungskraft<lb/>
des Zu&#x017F;chauers zur Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit des Ausdrucks<lb/>
der ver&#x017F;chiedenen Gemu&#x0364;thsbewegungen verlangt,<lb/>
die durch die&#x017F;e Cata&#x017F;trophe in den handelnden Per-<lb/>
&#x017F;onen hervorgebracht werden konnten: Er zeigte<lb/>
ihrer &#x017F;o viel, als die&#x017F;er Ausdruck Abwech&#x017F;elung in<lb/>
Stellungen, und Scho&#x0364;nheit der Bewegungen mo-<lb/>
tivirt.<lb/>
Vielleicht du&#x0364;rfte jetzt auch die Beantwortung der<lb/>
Frage: wie die&#x017F;e Figuren zu einer Gruppe ha&#x0364;tten<lb/>
angeordnet &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen? &#x017F;o &#x017F;chwer nicht fallen.<lb/>
Ich rede aber nur von der Anordnung des er&#x017F;ten<lb/>
Urhebers.<lb/>
Sind von den anfa&#x0364;nglich zu&#x017F;ammengeho&#x0364;renden<lb/>
Figuren keine abgekommen, &#x017F;o haben die Mutter,<lb/>
vier So&#x0364;hne und vier To&#x0364;chter die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche<lb/>
Gruppe ausgemacht. Von die&#x017F;en &#x017F;ind einige &#x017F;o<lb/>
ausgearbeitet, als wenn &#x017F;ie frei ge&#x017F;tanden ha&#x0364;tten,<lb/>
andere, als wenn &#x017F;ie an eine Wand gelehnt gewe&#x017F;en<lb/>
wa&#x0364;ren: einige, als ha&#x0364;tte der Vordertheil ihres<lb/>
Ko&#x0364;rpers, andere, als ha&#x0364;tte der Hintertheil de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben ge&#x017F;ehen werden &#x017F;ollen. Weitere Merkmahle<lb/>
des Ineinandergreifens, des Zu&#x017F;ammenhangs der<lb/>
Figuren bemerken wir nicht.<lb/>
Nun &#x017F;telle ich mir vor, daß die&#x017F;e Figuren eine<lb/>
Wand ausgefu&#x0364;llet haben. Die Mutter mit der<lb/>
Tochter, die in ihrem Schooße Schutz &#x017F;ucht, &#x017F;tand<lb/>
in der Mitte: Vor ihr lag der &#x017F;terbende Sohn:<lb/>
Auf der einen Seite frei, von der Wand ab, &#x017F;tand<lb/>
die Tochter, die ihn zu betrauren &#x017F;cheint, auf der<lb/>
andern die Tochter, die zum Himmel blickt, gleich-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">falls</fw></note>
        </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0160] Villa Medicis. 1) 1) dieſer Vorſtellung in Rom die Zahl von ſieben Toͤchtern und ſieben Soͤhnen nicht beobachtet, und man ſieht nicht ein, was den Kuͤnſtler zu deren arithmetiſchen Aufſtellung haͤtte bewegen ſollen. Er zeigte ihrer ſo viele als die Einbildungskraft des Zuſchauers zur Vollſtaͤndigkeit des Ausdrucks der verſchiedenen Gemuͤthsbewegungen verlangt, die durch dieſe Cataſtrophe in den handelnden Per- ſonen hervorgebracht werden konnten: Er zeigte ihrer ſo viel, als dieſer Ausdruck Abwechſelung in Stellungen, und Schoͤnheit der Bewegungen mo- tivirt. Vielleicht duͤrfte jetzt auch die Beantwortung der Frage: wie dieſe Figuren zu einer Gruppe haͤtten angeordnet ſeyn koͤnnen? ſo ſchwer nicht fallen. Ich rede aber nur von der Anordnung des erſten Urhebers. Sind von den anfaͤnglich zuſammengehoͤrenden Figuren keine abgekommen, ſo haben die Mutter, vier Soͤhne und vier Toͤchter die urſpruͤngliche Gruppe ausgemacht. Von dieſen ſind einige ſo ausgearbeitet, als wenn ſie frei geſtanden haͤtten, andere, als wenn ſie an eine Wand gelehnt geweſen waͤren: einige, als haͤtte der Vordertheil ihres Koͤrpers, andere, als haͤtte der Hintertheil deſ- ſelben geſehen werden ſollen. Weitere Merkmahle des Ineinandergreifens, des Zuſammenhangs der Figuren bemerken wir nicht. Nun ſtelle ich mir vor, daß dieſe Figuren eine Wand ausgefuͤllet haben. Die Mutter mit der Tochter, die in ihrem Schooße Schutz ſucht, ſtand in der Mitte: Vor ihr lag der ſterbende Sohn: Auf der einen Seite frei, von der Wand ab, ſtand die Tochter, die ihn zu betrauren ſcheint, auf der andern die Tochter, die zum Himmel blickt, gleich- falls

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/160
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/160>, abgerufen am 21.05.2024.