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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Ludovisi.
Charakter, 2) kömmt der Marmor des Vorder-
theils des Kopfs mit dem Marmor des Hintertheils
und der übrigen Figur, so viel man bei der äußern
Politur urtheilen kann, nicht überein. 3) Sieht
man deutlich die Fugen der Ansetzung. Wenn man
nun diese Maske der Mutter, diese Arme der Mut-
ter und des Sohns absondert, so bleibt eine weibliche
Figur größer als die männliche, die sie mit der noch
alten Hand umarmt. Wahrscheinlich dürften diese
Umstände das Interesse einer jüngern Mannsperson
an ein älteres Frauenzimmer anzeigen. Auf dem
Gesichte des jungen Mannes, welches unstreitig antik
ist, sieht man unverkennbar einen traurigen Zug, der
mit Zärtlichkeit vermischt scheint. Ich folgere da-
her mit ziemlicher Gewißheit, daß dieses nicht das
Verhältniß zweier Liebenden andeute, sondern daß
der Ausdruck brüderlicher oder kindlicher Zärtlichkeit
die Absicht des Künstlers gewesen sey. Und daher
finde ich die Erklärung Winkelmanns, daß dies
Werk den Orest und die Elektra vorstelle, nicht un-
passend, jedoch nicht ausschließend. Denn diese
Gruppe kann eben so wohl ihre Erklärung aus jedem
andern Sujet der Mythologie finden, wobei kindliche
oder brüderliche Liebe zum Grunde liegt. 3)

Die Formen des jungen Mannes sind sehr schön;
die Drapperie der Frau ist vortrefflich; ob diese aber
einen nicht ganz griechischen Charakter an sich trage,
mögen andere entscheiden, welche die Gewänder

römischer
3) Z. E. Merope und ihr Sohn. Iphigenia und
Orestes etc.

Villa Ludoviſi.
Charakter, 2) koͤmmt der Marmor des Vorder-
theils des Kopfs mit dem Marmor des Hintertheils
und der uͤbrigen Figur, ſo viel man bei der aͤußern
Politur urtheilen kann, nicht uͤberein. 3) Sieht
man deutlich die Fugen der Anſetzung. Wenn man
nun dieſe Maske der Mutter, dieſe Arme der Mut-
ter und des Sohns abſondert, ſo bleibt eine weibliche
Figur groͤßer als die maͤnnliche, die ſie mit der noch
alten Hand umarmt. Wahrſcheinlich duͤrften dieſe
Umſtaͤnde das Intereſſe einer juͤngern Mannsperſon
an ein aͤlteres Frauenzimmer anzeigen. Auf dem
Geſichte des jungen Mannes, welches unſtreitig antik
iſt, ſieht man unverkennbar einen traurigen Zug, der
mit Zaͤrtlichkeit vermiſcht ſcheint. Ich folgere da-
her mit ziemlicher Gewißheit, daß dieſes nicht das
Verhaͤltniß zweier Liebenden andeute, ſondern daß
der Ausdruck bruͤderlicher oder kindlicher Zaͤrtlichkeit
die Abſicht des Kuͤnſtlers geweſen ſey. Und daher
finde ich die Erklaͤrung Winkelmanns, daß dies
Werk den Oreſt und die Elektra vorſtelle, nicht un-
paſſend, jedoch nicht ausſchließend. Denn dieſe
Gruppe kann eben ſo wohl ihre Erklaͤrung aus jedem
andern Sujet der Mythologie finden, wobei kindliche
oder bruͤderliche Liebe zum Grunde liegt. 3)

Die Formen des jungen Mannes ſind ſehr ſchoͤn;
die Drapperie der Frau iſt vortrefflich; ob dieſe aber
einen nicht ganz griechiſchen Charakter an ſich trage,
moͤgen andere entſcheiden, welche die Gewaͤnder

roͤmiſcher
3) Z. E. Merope und ihr Sohn. Iphigenia und
Oreſtes ꝛc.
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[205/0219] Villa Ludoviſi. Charakter, 2) koͤmmt der Marmor des Vorder- theils des Kopfs mit dem Marmor des Hintertheils und der uͤbrigen Figur, ſo viel man bei der aͤußern Politur urtheilen kann, nicht uͤberein. 3) Sieht man deutlich die Fugen der Anſetzung. Wenn man nun dieſe Maske der Mutter, dieſe Arme der Mut- ter und des Sohns abſondert, ſo bleibt eine weibliche Figur groͤßer als die maͤnnliche, die ſie mit der noch alten Hand umarmt. Wahrſcheinlich duͤrften dieſe Umſtaͤnde das Intereſſe einer juͤngern Mannsperſon an ein aͤlteres Frauenzimmer anzeigen. Auf dem Geſichte des jungen Mannes, welches unſtreitig antik iſt, ſieht man unverkennbar einen traurigen Zug, der mit Zaͤrtlichkeit vermiſcht ſcheint. Ich folgere da- her mit ziemlicher Gewißheit, daß dieſes nicht das Verhaͤltniß zweier Liebenden andeute, ſondern daß der Ausdruck bruͤderlicher oder kindlicher Zaͤrtlichkeit die Abſicht des Kuͤnſtlers geweſen ſey. Und daher finde ich die Erklaͤrung Winkelmanns, daß dies Werk den Oreſt und die Elektra vorſtelle, nicht un- paſſend, jedoch nicht ausſchließend. Denn dieſe Gruppe kann eben ſo wohl ihre Erklaͤrung aus jedem andern Sujet der Mythologie finden, wobei kindliche oder bruͤderliche Liebe zum Grunde liegt. 3) Die Formen des jungen Mannes ſind ſehr ſchoͤn; die Drapperie der Frau iſt vortrefflich; ob dieſe aber einen nicht ganz griechiſchen Charakter an ſich trage, moͤgen andere entſcheiden, welche die Gewaͤnder roͤmiſcher 3) Z. E. Merope und ihr Sohn. Iphigenia und Oreſtes ꝛc.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/219>, abgerufen am 26.11.2024.