Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Pallast Barberini.

Wenn diese Grundsätze auf das Bild des Todes
des Germanicus angewandt werden, so finden wir,
daß Poussin sie genau beobachtet, daß er gut gewäh-
let hat.

Germanicus hat eben seine Rede geendigt, und
noch zeigt seine Gebärde den Eindruck an, den er
durch seine letzten Worte auf seine Freunde hat her-
vorbringen wollen. Sie sollten dem römischen Volke
sein Weib und seine Kinder zeigen: Dieser Anblick
würde das Mitleiden über jede Besorgniß vor höhern
Schutz der Bosheit siegen lassen. Den Ausdruck,
den er einst von seinen Freunden bei ihren Klagen vor
dem Volke verlangt, den nimmt er schon jetzt in
Mine und Stellung an, und verstärkt dadurch die
Bewegungsgründe, mit denen er die Aufforderung
zur Rache an seine Freunde unterstützt. Ja! er
braucht vielmehr die einzigen, die eine stumme Spra-
che zuläßt. Denn wie wird er sie mit bloßen Ge-
bärden an die Pflichten der Freundschaft erinnern
können; und wenn er es kann, etwa durch die An-
deutung eines Gemähldes des Achilles, der um seinen
Freund Patroclus zu rächen den Leichnam des Hek-
tors schleift, wird dies Bild im Bilde so rühren wie
diese lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art?
Sehet diese Kinder, ruft er, diese Mutter! man hat
ihnen ihren Vater genommen!

Richardson 15b) sagt, man lese in der Mine des
Germanicus mehr wehmüthiges Bitten an seine

Freun-
15b) Description des Statues, Tableaux etc. T. III.
p.
270.
Zweiter Theil. U
Pallaſt Barberini.

Wenn dieſe Grundſaͤtze auf das Bild des Todes
des Germanicus angewandt werden, ſo finden wir,
daß Pouſſin ſie genau beobachtet, daß er gut gewaͤh-
let hat.

Germanicus hat eben ſeine Rede geendigt, und
noch zeigt ſeine Gebaͤrde den Eindruck an, den er
durch ſeine letzten Worte auf ſeine Freunde hat her-
vorbringen wollen. Sie ſollten dem roͤmiſchen Volke
ſein Weib und ſeine Kinder zeigen: Dieſer Anblick
wuͤrde das Mitleiden uͤber jede Beſorgniß vor hoͤhern
Schutz der Bosheit ſiegen laſſen. Den Ausdruck,
den er einſt von ſeinen Freunden bei ihren Klagen vor
dem Volke verlangt, den nimmt er ſchon jetzt in
Mine und Stellung an, und verſtaͤrkt dadurch die
Bewegungsgruͤnde, mit denen er die Aufforderung
zur Rache an ſeine Freunde unterſtuͤtzt. Ja! er
braucht vielmehr die einzigen, die eine ſtumme Spra-
che zulaͤßt. Denn wie wird er ſie mit bloßen Ge-
baͤrden an die Pflichten der Freundſchaft erinnern
koͤnnen; und wenn er es kann, etwa durch die An-
deutung eines Gemaͤhldes des Achilles, der um ſeinen
Freund Patroclus zu raͤchen den Leichnam des Hek-
tors ſchleift, wird dies Bild im Bilde ſo ruͤhren wie
dieſe lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art?
Sehet dieſe Kinder, ruft er, dieſe Mutter! man hat
ihnen ihren Vater genommen!

Richardſon 15b) ſagt, man leſe in der Mine des
Germanicus mehr wehmuͤthiges Bitten an ſeine

Freun-
15b) Deſcription des Statues, Tableaux etc. T. III.
p.
270.
Zweiter Theil. U
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0319" n="305"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Palla&#x017F;t Barberini.</hi> </fw><lb/>
          <p>Wenn die&#x017F;e Grund&#x017F;a&#x0364;tze auf das Bild des Todes<lb/>
des Germanicus angewandt werden, &#x017F;o finden wir,<lb/>
daß Pou&#x017F;&#x017F;in &#x017F;ie genau beobachtet, daß er gut gewa&#x0364;h-<lb/>
let hat.</p><lb/>
          <p>Germanicus hat eben &#x017F;eine Rede geendigt, und<lb/>
noch zeigt &#x017F;eine Geba&#x0364;rde den Eindruck an, den er<lb/>
durch &#x017F;eine letzten Worte auf &#x017F;eine Freunde hat her-<lb/>
vorbringen wollen. Sie &#x017F;ollten dem ro&#x0364;mi&#x017F;chen Volke<lb/>
&#x017F;ein Weib und &#x017F;eine Kinder zeigen: Die&#x017F;er Anblick<lb/>
wu&#x0364;rde das Mitleiden u&#x0364;ber jede Be&#x017F;orgniß vor ho&#x0364;hern<lb/>
Schutz der Bosheit &#x017F;iegen la&#x017F;&#x017F;en. Den Ausdruck,<lb/>
den er ein&#x017F;t von &#x017F;einen Freunden bei ihren Klagen vor<lb/>
dem Volke verlangt, den nimmt er &#x017F;chon jetzt in<lb/>
Mine und Stellung an, und ver&#x017F;ta&#x0364;rkt dadurch die<lb/>
Bewegungsgru&#x0364;nde, mit denen er die Aufforderung<lb/>
zur Rache an &#x017F;eine Freunde unter&#x017F;tu&#x0364;tzt. Ja! er<lb/>
braucht vielmehr die einzigen, die eine &#x017F;tumme Spra-<lb/>
che zula&#x0364;ßt. Denn wie wird er &#x017F;ie mit bloßen Ge-<lb/>
ba&#x0364;rden an die Pflichten der Freund&#x017F;chaft erinnern<lb/>
ko&#x0364;nnen; und wenn er es kann, etwa durch die An-<lb/>
deutung eines Gema&#x0364;hldes des Achilles, der um &#x017F;einen<lb/>
Freund Patroclus zu ra&#x0364;chen den Leichnam des Hek-<lb/>
tors &#x017F;chleift, wird dies Bild im Bilde &#x017F;o ru&#x0364;hren wie<lb/>
die&#x017F;e lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art?<lb/>
Sehet die&#x017F;e Kinder, ruft er, die&#x017F;e Mutter! man hat<lb/>
ihnen ihren Vater genommen!</p><lb/>
          <p>Richard&#x017F;on <note place="foot" n="15b)"><hi rendition="#aq">De&#x017F;cription des Statues, Tableaux etc. T. III.<lb/>
p.</hi> 270.</note> &#x017F;agt, man le&#x017F;e in der Mine des<lb/>
Germanicus mehr wehmu&#x0364;thiges Bitten an &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Freun-</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Zweiter Theil.</hi> U</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0319] Pallaſt Barberini. Wenn dieſe Grundſaͤtze auf das Bild des Todes des Germanicus angewandt werden, ſo finden wir, daß Pouſſin ſie genau beobachtet, daß er gut gewaͤh- let hat. Germanicus hat eben ſeine Rede geendigt, und noch zeigt ſeine Gebaͤrde den Eindruck an, den er durch ſeine letzten Worte auf ſeine Freunde hat her- vorbringen wollen. Sie ſollten dem roͤmiſchen Volke ſein Weib und ſeine Kinder zeigen: Dieſer Anblick wuͤrde das Mitleiden uͤber jede Beſorgniß vor hoͤhern Schutz der Bosheit ſiegen laſſen. Den Ausdruck, den er einſt von ſeinen Freunden bei ihren Klagen vor dem Volke verlangt, den nimmt er ſchon jetzt in Mine und Stellung an, und verſtaͤrkt dadurch die Bewegungsgruͤnde, mit denen er die Aufforderung zur Rache an ſeine Freunde unterſtuͤtzt. Ja! er braucht vielmehr die einzigen, die eine ſtumme Spra- che zulaͤßt. Denn wie wird er ſie mit bloßen Ge- baͤrden an die Pflichten der Freundſchaft erinnern koͤnnen; und wenn er es kann, etwa durch die An- deutung eines Gemaͤhldes des Achilles, der um ſeinen Freund Patroclus zu raͤchen den Leichnam des Hek- tors ſchleift, wird dies Bild im Bilde ſo ruͤhren wie dieſe lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art? Sehet dieſe Kinder, ruft er, dieſe Mutter! man hat ihnen ihren Vater genommen! Richardſon 15b) ſagt, man leſe in der Mine des Germanicus mehr wehmuͤthiges Bitten an ſeine Freun- 15b) Deſcription des Statues, Tableaux etc. T. III. p. 270. Zweiter Theil. U

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/319
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/319>, abgerufen am 21.05.2024.