sie uns untersuchen, ob sie in einem gleich hohen Grade der Darstellung interessanter Handlungen fähig sey.
Zu dem Begriff und noch mehr zur Mitempfin- dung einer Handlung gehört zweierlei: eine deutliche Vorstellung des Zustandes, in welchem sich die Seele bei der Bewegung des Körpers befindet, das Wie? Dann der Veranlassung dieses Zustandes, des Grundes der Bewegung: das Warum? In den mehresten Fällen läßt sich die Befriedigung dieses letzten Anspruchs in den bildenden Künsten nicht den- ken, ohne daß ich die Lage zeige, worin sich die handelnde Person zu den Gegenständen befindet, die sie umgeben. Eine Figur mit aufwärts gekehrtem Blick und ausgestreckten Händen giebt noch keine Vorstellung der Freude über den Anblick der Sonne; und selbst bei Affekten, deren tägliche Erscheinung uns unbekümmert über deren gegenwärtigen Ent- stehungsgrund macht, ist die Darstellung der be- stimmten Veranlassung derselben kein für unser Ver- gnügen gleichgültiger Zusatz. Heliodor der vor der Erscheinung des Engels erschrickt, und ein erschrocke- ner Mann überhaupt, werden in Ansehung des Ein- drucks, den sie auf den Zuschauer machen, in keine Vergleichung kommen können.
Beide Erfordernisse zu einer deutlichen und voll- ständigen Erkenntniß einer sichtbaren und coexistiren- den Situation oder Handlung scheint mir die Bild- hauerei in dem nämlichen Grade von Vollkommen- heit, womit sie Schönheit der Formen giebt, nicht liefern zu können. Einmal ist sie nicht im Stande,
den
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Villa Albani.
ſie uns unterſuchen, ob ſie in einem gleich hohen Grade der Darſtellung intereſſanter Handlungen faͤhig ſey.
Zu dem Begriff und noch mehr zur Mitempfin- dung einer Handlung gehoͤrt zweierlei: eine deutliche Vorſtellung des Zuſtandes, in welchem ſich die Seele bei der Bewegung des Koͤrpers befindet, das Wie? Dann der Veranlaſſung dieſes Zuſtandes, des Grundes der Bewegung: das Warum? In den mehreſten Faͤllen laͤßt ſich die Befriedigung dieſes letzten Anſpruchs in den bildenden Kuͤnſten nicht den- ken, ohne daß ich die Lage zeige, worin ſich die handelnde Perſon zu den Gegenſtaͤnden befindet, die ſie umgeben. Eine Figur mit aufwaͤrts gekehrtem Blick und ausgeſtreckten Haͤnden giebt noch keine Vorſtellung der Freude uͤber den Anblick der Sonne; und ſelbſt bei Affekten, deren taͤgliche Erſcheinung uns unbekuͤmmert uͤber deren gegenwaͤrtigen Ent- ſtehungsgrund macht, iſt die Darſtellung der be- ſtimmten Veranlaſſung derſelben kein fuͤr unſer Ver- gnuͤgen gleichguͤltiger Zuſatz. Heliodor der vor der Erſcheinung des Engels erſchrickt, und ein erſchrocke- ner Mann uͤberhaupt, werden in Anſehung des Ein- drucks, den ſie auf den Zuſchauer machen, in keine Vergleichung kommen koͤnnen.
Beide Erforderniſſe zu einer deutlichen und voll- ſtaͤndigen Erkenntniß einer ſichtbaren und coexiſtiren- den Situation oder Handlung ſcheint mir die Bild- hauerei in dem naͤmlichen Grade von Vollkommen- heit, womit ſie Schoͤnheit der Formen giebt, nicht liefern zu koͤnnen. Einmal iſt ſie nicht im Stande,
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Villa Albani.
ſie uns unterſuchen, ob ſie in einem gleich hohen
Grade der Darſtellung intereſſanter Handlungen
faͤhig ſey.
Zu dem Begriff und noch mehr zur Mitempfin-
dung einer Handlung gehoͤrt zweierlei: eine deutliche
Vorſtellung des Zuſtandes, in welchem ſich die
Seele bei der Bewegung des Koͤrpers befindet, das
Wie? Dann der Veranlaſſung dieſes Zuſtandes,
des Grundes der Bewegung: das Warum? In
den mehreſten Faͤllen laͤßt ſich die Befriedigung dieſes
letzten Anſpruchs in den bildenden Kuͤnſten nicht den-
ken, ohne daß ich die Lage zeige, worin ſich die
handelnde Perſon zu den Gegenſtaͤnden befindet, die
ſie umgeben. Eine Figur mit aufwaͤrts gekehrtem
Blick und ausgeſtreckten Haͤnden giebt noch keine
Vorſtellung der Freude uͤber den Anblick der Sonne;
und ſelbſt bei Affekten, deren taͤgliche Erſcheinung
uns unbekuͤmmert uͤber deren gegenwaͤrtigen Ent-
ſtehungsgrund macht, iſt die Darſtellung der be-
ſtimmten Veranlaſſung derſelben kein fuͤr unſer Ver-
gnuͤgen gleichguͤltiger Zuſatz. Heliodor der vor der
Erſcheinung des Engels erſchrickt, und ein erſchrocke-
ner Mann uͤberhaupt, werden in Anſehung des Ein-
drucks, den ſie auf den Zuſchauer machen, in keine
Vergleichung kommen koͤnnen.
Beide Erforderniſſe zu einer deutlichen und voll-
ſtaͤndigen Erkenntniß einer ſichtbaren und coexiſtiren-
den Situation oder Handlung ſcheint mir die Bild-
hauerei in dem naͤmlichen Grade von Vollkommen-
heit, womit ſie Schoͤnheit der Formen giebt, nicht
liefern zu koͤnnen. Einmal iſt ſie nicht im Stande,
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/51>, abgerufen am 16.02.2025.
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