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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Albani.
und stumpft die Spitze des Gefühles ab; wie viel
größer ist diese Gefahr, wenn wir Geschöpfen einer
fremden Erfindung einen der selbst gedachten Situa-
tion angemessenen Ausdruck geben sollen. Geschö-
pfen, die wir in einem Zustande der Ruhe vorgestellt
sehen, welcher für die Würkung, die sie hervorbrin-
gen sollten, vollkommen paßte, und die wir nun
erst in einen leidenschaftlichen versetzen müssen!

Aber wie soll es denn der Künstler machen?
Soll er dem bärtigen Bettler die Rolle eines Apostels
geben, der Buhlerin die Rolle einer Diana? Ich
billige so wenig das Modell aufgerafft von der
Straße, als das Meisterstück hergeholt aus den
Sälen des Vaticans: obgleich in Rücksicht auf
Wahrheit, die Bequemlichkeit das lebende Modell
in die passende Stellung zu setzen, diesem einen un-
streitigen Vorzug vor dem unbeweglichen Steine
anweiset.

Aber o! junger Mahler! wenn du Genie hast
zur Darstellung handelnder Menschen unterstützt von
einer wohlgeleiteten Ausbildung, du wirst nicht fra-
gen, woher du deine Gestalten nehmen sollst! Du
hast den Keim zu Affekten in dir selbst, du hast dir
selbst und andern ihre Aeußerungen abgestohlen! Du
wirst begeistert von einem heiligen Feuer, mit der
Vorstellung einer Situation, die einer wohlgefälligen
sichtbaren Darstellung fähig ist, zugleich die Gestal-
ten in deiner Seele aufsteigen sehen, die sie verlangt!
Sie werden die ergreifende Wahrheit haben, die ein
langes Studium der Natur deiner Erinnerung ein-
geprägt hat; Sie werden den Zusatz von Schönheit

haben,
Zweiter Theil. D

Villa Albani.
und ſtumpft die Spitze des Gefuͤhles ab; wie viel
groͤßer iſt dieſe Gefahr, wenn wir Geſchoͤpfen einer
fremden Erfindung einen der ſelbſt gedachten Situa-
tion angemeſſenen Ausdruck geben ſollen. Geſchoͤ-
pfen, die wir in einem Zuſtande der Ruhe vorgeſtellt
ſehen, welcher fuͤr die Wuͤrkung, die ſie hervorbrin-
gen ſollten, vollkommen paßte, und die wir nun
erſt in einen leidenſchaftlichen verſetzen muͤſſen!

Aber wie ſoll es denn der Kuͤnſtler machen?
Soll er dem baͤrtigen Bettler die Rolle eines Apoſtels
geben, der Buhlerin die Rolle einer Diana? Ich
billige ſo wenig das Modell aufgerafft von der
Straße, als das Meiſterſtuͤck hergeholt aus den
Saͤlen des Vaticans: obgleich in Ruͤckſicht auf
Wahrheit, die Bequemlichkeit das lebende Modell
in die paſſende Stellung zu ſetzen, dieſem einen un-
ſtreitigen Vorzug vor dem unbeweglichen Steine
anweiſet.

Aber o! junger Mahler! wenn du Genie haſt
zur Darſtellung handelnder Menſchen unterſtuͤtzt von
einer wohlgeleiteten Ausbildung, du wirſt nicht fra-
gen, woher du deine Geſtalten nehmen ſollſt! Du
haſt den Keim zu Affekten in dir ſelbſt, du haſt dir
ſelbſt und andern ihre Aeußerungen abgeſtohlen! Du
wirſt begeiſtert von einem heiligen Feuer, mit der
Vorſtellung einer Situation, die einer wohlgefaͤlligen
ſichtbaren Darſtellung faͤhig iſt, zugleich die Geſtal-
ten in deiner Seele aufſteigen ſehen, die ſie verlangt!
Sie werden die ergreifende Wahrheit haben, die ein
langes Studium der Natur deiner Erinnerung ein-
gepraͤgt hat; Sie werden den Zuſatz von Schoͤnheit

haben,
Zweiter Theil. D
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[49/0063] Villa Albani. und ſtumpft die Spitze des Gefuͤhles ab; wie viel groͤßer iſt dieſe Gefahr, wenn wir Geſchoͤpfen einer fremden Erfindung einen der ſelbſt gedachten Situa- tion angemeſſenen Ausdruck geben ſollen. Geſchoͤ- pfen, die wir in einem Zuſtande der Ruhe vorgeſtellt ſehen, welcher fuͤr die Wuͤrkung, die ſie hervorbrin- gen ſollten, vollkommen paßte, und die wir nun erſt in einen leidenſchaftlichen verſetzen muͤſſen! Aber wie ſoll es denn der Kuͤnſtler machen? Soll er dem baͤrtigen Bettler die Rolle eines Apoſtels geben, der Buhlerin die Rolle einer Diana? Ich billige ſo wenig das Modell aufgerafft von der Straße, als das Meiſterſtuͤck hergeholt aus den Saͤlen des Vaticans: obgleich in Ruͤckſicht auf Wahrheit, die Bequemlichkeit das lebende Modell in die paſſende Stellung zu ſetzen, dieſem einen un- ſtreitigen Vorzug vor dem unbeweglichen Steine anweiſet. Aber o! junger Mahler! wenn du Genie haſt zur Darſtellung handelnder Menſchen unterſtuͤtzt von einer wohlgeleiteten Ausbildung, du wirſt nicht fra- gen, woher du deine Geſtalten nehmen ſollſt! Du haſt den Keim zu Affekten in dir ſelbſt, du haſt dir ſelbſt und andern ihre Aeußerungen abgeſtohlen! Du wirſt begeiſtert von einem heiligen Feuer, mit der Vorſtellung einer Situation, die einer wohlgefaͤlligen ſichtbaren Darſtellung faͤhig iſt, zugleich die Geſtal- ten in deiner Seele aufſteigen ſehen, die ſie verlangt! Sie werden die ergreifende Wahrheit haben, die ein langes Studium der Natur deiner Erinnerung ein- gepraͤgt hat; Sie werden den Zuſatz von Schoͤnheit haben, Zweiter Theil. D

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/63>, abgerufen am 09.11.2024.