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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Ueber die Kennz. des Kirchenstils
zwar versteckt, nicht aber ganz aus den Augen gesetzt
worden: und hierbei ist man stehen geblieben.

Diese Erziehung der Idee von Schönheit scheint
nun mehrere glückliche Folgen gehabt zu haben. Ein-
mal hat man nie das Nothwendige dem Ueberflüssi-
gen, nie Treue und Wahrheit, am wenigsten aber den
leichten Begriff des Wohlgeordneten und schnell zu
Fassenden der Sucht aufgeopfert, eine Menge von
unbestimmten Gefühlen durch Abwechselung ungewis-
ser Formen in dem Beschauer zu erwecken. Sim-
plicität in Mine und Stellung, Simplicität und
Ebenmaaß in den Verhältnissen der Theile zum Gan-
zen, jene Grundpfeiler der Schönheit, und hoher Be-
deutung, sind stets mit äußerster Gewissenhaftigkeit
beobachtet worden.

Ferner: Da die alten Künstler die Schönheit
immer auf einer und derselben Straße verfolgt ha-
ben, so haben sie auch alles was darauf lag, viel voll-
ständiger aufsammeln können, als unsere neueren, wel-
che, bald auf diesem, bald auf jenem Wege, Vergnü-
gen und Unterhaltung für uns aufzusuchen bemüht
gewesen sind.

Dies scheinen mir die hauptsächlichsten Ursachen
der Höhe zu seyn, auf der die Alten gegen die Neueren
in Rücksicht auf idealische Form, und auf Bedeutung
idealischer Geistesgröße stehen. Physische Anlage und
moralische Verfeinerung des Gefühls für Schönheit:
ein erhabener, mit der Religion und politischen Ver-
fassung in genauer Verbindung stehender Zweck der
Kunst: die davon abhängende Achtung des Künst-
lers: und endlich der einfache Gang der Künste, die

aus

Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
zwar verſteckt, nicht aber ganz aus den Augen geſetzt
worden: und hierbei iſt man ſtehen geblieben.

Dieſe Erziehung der Idee von Schoͤnheit ſcheint
nun mehrere gluͤckliche Folgen gehabt zu haben. Ein-
mal hat man nie das Nothwendige dem Ueberfluͤſſi-
gen, nie Treue und Wahrheit, am wenigſten aber den
leichten Begriff des Wohlgeordneten und ſchnell zu
Faſſenden der Sucht aufgeopfert, eine Menge von
unbeſtimmten Gefuͤhlen durch Abwechſelung ungewiſ-
ſer Formen in dem Beſchauer zu erwecken. Sim-
plicitaͤt in Mine und Stellung, Simplicitaͤt und
Ebenmaaß in den Verhaͤltniſſen der Theile zum Gan-
zen, jene Grundpfeiler der Schoͤnheit, und hoher Be-
deutung, ſind ſtets mit aͤußerſter Gewiſſenhaftigkeit
beobachtet worden.

Ferner: Da die alten Kuͤnſtler die Schoͤnheit
immer auf einer und derſelben Straße verfolgt ha-
ben, ſo haben ſie auch alles was darauf lag, viel voll-
ſtaͤndiger aufſammeln koͤnnen, als unſere neueren, wel-
che, bald auf dieſem, bald auf jenem Wege, Vergnuͤ-
gen und Unterhaltung fuͤr uns aufzuſuchen bemuͤht
geweſen ſind.

Dies ſcheinen mir die hauptſaͤchlichſten Urſachen
der Hoͤhe zu ſeyn, auf der die Alten gegen die Neueren
in Ruͤckſicht auf idealiſche Form, und auf Bedeutung
idealiſcher Geiſtesgroͤße ſtehen. Phyſiſche Anlage und
moraliſche Verfeinerung des Gefuͤhls fuͤr Schoͤnheit:
ein erhabener, mit der Religion und politiſchen Ver-
faſſung in genauer Verbindung ſtehender Zweck der
Kunſt: die davon abhaͤngende Achtung des Kuͤnſt-
lers: und endlich der einfache Gang der Kuͤnſte, die

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[186/0210] Ueber die Kennz. des Kirchenſtils zwar verſteckt, nicht aber ganz aus den Augen geſetzt worden: und hierbei iſt man ſtehen geblieben. Dieſe Erziehung der Idee von Schoͤnheit ſcheint nun mehrere gluͤckliche Folgen gehabt zu haben. Ein- mal hat man nie das Nothwendige dem Ueberfluͤſſi- gen, nie Treue und Wahrheit, am wenigſten aber den leichten Begriff des Wohlgeordneten und ſchnell zu Faſſenden der Sucht aufgeopfert, eine Menge von unbeſtimmten Gefuͤhlen durch Abwechſelung ungewiſ- ſer Formen in dem Beſchauer zu erwecken. Sim- plicitaͤt in Mine und Stellung, Simplicitaͤt und Ebenmaaß in den Verhaͤltniſſen der Theile zum Gan- zen, jene Grundpfeiler der Schoͤnheit, und hoher Be- deutung, ſind ſtets mit aͤußerſter Gewiſſenhaftigkeit beobachtet worden. Ferner: Da die alten Kuͤnſtler die Schoͤnheit immer auf einer und derſelben Straße verfolgt ha- ben, ſo haben ſie auch alles was darauf lag, viel voll- ſtaͤndiger aufſammeln koͤnnen, als unſere neueren, wel- che, bald auf dieſem, bald auf jenem Wege, Vergnuͤ- gen und Unterhaltung fuͤr uns aufzuſuchen bemuͤht geweſen ſind. Dies ſcheinen mir die hauptſaͤchlichſten Urſachen der Hoͤhe zu ſeyn, auf der die Alten gegen die Neueren in Ruͤckſicht auf idealiſche Form, und auf Bedeutung idealiſcher Geiſtesgroͤße ſtehen. Phyſiſche Anlage und moraliſche Verfeinerung des Gefuͤhls fuͤr Schoͤnheit: ein erhabener, mit der Religion und politiſchen Ver- faſſung in genauer Verbindung ſtehender Zweck der Kunſt: die davon abhaͤngende Achtung des Kuͤnſt- lers: und endlich der einfache Gang der Kuͤnſte, die aus

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/210>, abgerufen am 23.11.2024.