Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.in der Bildhauerei. druck des Affekts, und dem analogisch dramatischengesagt habe. Der erste ist allemal durch sich selbst verständlich. Die Absicht, in der die Seele dem Körper eine gewisse Richtung giebt, beruht auf einer so allgemein bekannten Situation, oder affektvollen Fassung der Seele, daß der Beschauer über die Frage, was sie in dem besondern Falle veranlaßt haben könne, freiwillig weggeht. Der lachende Faun, die schwer- müthige Elektra sind von dieser Art. Gesetzt aber auch die Vorstellung ist dramatisch, das heißt, das Bild will mir mit der affektvollen Fassung zu gleicher Zeit die concurrirenden Umstände wissen lassen, deren Folge sie ist; so haben die Alten diese dramatische Vorstellung doch immer so gewählt, daß die Lage der einzelnen Figur, oder die Zusammenstellung derselben mit einem Gegenstande von geringem Umfange zu gleicher Zeit die Exposition und die Aktion, oder, so zu sagen, den Prologus und den Exodus der alten Tragiker enthielte. Ein Verwundeter, der seine letzten Kräfte an- Bei- 5) In einer Landschaft von Poussin sehen wir eine solche Vorstellung. Es ist nicht Laocoon; es ist ein Mann, der von Schlangen angefallen ist. Mehr wissen wir von ihm nicht, aber es ist genung, um seine Lage zu verstehen und zu fühlen. N 2
in der Bildhauerei. druck des Affekts, und dem analogiſch dramatiſchengeſagt habe. Der erſte iſt allemal durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich. Die Abſicht, in der die Seele dem Koͤrper eine gewiſſe Richtung giebt, beruht auf einer ſo allgemein bekannten Situation, oder affektvollen Faſſung der Seele, daß der Beſchauer uͤber die Frage, was ſie in dem beſondern Falle veranlaßt haben koͤnne, freiwillig weggeht. Der lachende Faun, die ſchwer- muͤthige Elektra ſind von dieſer Art. Geſetzt aber auch die Vorſtellung iſt dramatiſch, das heißt, das Bild will mir mit der affektvollen Faſſung zu gleicher Zeit die concurrirenden Umſtaͤnde wiſſen laſſen, deren Folge ſie iſt; ſo haben die Alten dieſe dramatiſche Vorſtellung doch immer ſo gewaͤhlt, daß die Lage der einzelnen Figur, oder die Zuſammenſtellung derſelben mit einem Gegenſtande von geringem Umfange zu gleicher Zeit die Expoſition und die Aktion, oder, ſo zu ſagen, den Prologus und den Exodus der alten Tragiker enthielte. Ein Verwundeter, der ſeine letzten Kraͤfte an- Bei- 5) In einer Landſchaft von Pouſſin ſehen wir eine ſolche Vorſtellung. Es iſt nicht Laocoon; es iſt ein Mann, der von Schlangen angefallen iſt. Mehr wiſſen wir von ihm nicht, aber es iſt genung, um ſeine Lage zu verſtehen und zu fuͤhlen. N 2
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geſagt habe. Der erſte iſt allemal durch ſich ſelbſt
verſtaͤndlich. Die Abſicht, in der die Seele dem
Koͤrper eine gewiſſe Richtung giebt, beruht auf einer
ſo allgemein bekannten Situation, oder affektvollen
Faſſung der Seele, daß der Beſchauer uͤber die Frage,
was ſie in dem beſondern Falle veranlaßt haben koͤnne,
freiwillig weggeht. Der lachende Faun, die ſchwer-
muͤthige Elektra ſind von dieſer Art. Geſetzt aber
auch die Vorſtellung iſt dramatiſch, das heißt, das
Bild will mir mit der affektvollen Faſſung zu gleicher
Zeit die concurrirenden Umſtaͤnde wiſſen laſſen, deren
Folge ſie iſt; ſo haben die Alten dieſe dramatiſche
Vorſtellung doch immer ſo gewaͤhlt, daß die Lage der
einzelnen Figur, oder die Zuſammenſtellung derſelben
mit einem Gegenſtande von geringem Umfange zu
gleicher Zeit die Expoſition und die Aktion, oder, ſo
zu ſagen, den Prologus und den Exodus der alten
Tragiker enthielte.
Ein Verwundeter, der ſeine letzten Kraͤfte an-
ſtrengt, um ſich in die Hoͤhe zu richten: eine im Aus-
fall geſtreckte Figur mit Schild und Degen: ein Al-
ter, der ihn umwindende Schlangen abwehrt, 5) ſind
lauter einzelne Figuren, die eine vollſtaͤndig deutliche
Handlung mit Urſach und Wuͤrkung dem bloßen Auge
darbieten.
Bei-
5) In einer Landſchaft von Pouſſin ſehen wir eine
ſolche Vorſtellung. Es iſt nicht Laocoon; es iſt
ein Mann, der von Schlangen angefallen iſt. Mehr
wiſſen wir von ihm nicht, aber es iſt genung, um
ſeine Lage zu verſtehen und zu fuͤhlen.
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