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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Anmerkungen
Individualität eines allgemeinen Charakters sucht
man vergebens. Die Stellung ist academisch, der
Ausdruck affektirt. Die Gewänder bilden Falten
von großen Massen, in denen das Licht vortrefflich
aufgefangen, und bequem vom Schatten abgetheilet
wird: aber sie verhüllen das Nackende anstatt es zu
bedecken. Die Zeichnung, die Verhältnisse sind im
Ganzen richtig, inzwischen wirft man dem linken
Beine vor, daß es nicht recht mit der Hüfte zusam-
menhänge. Und wie sehr fehlen die feinen Ueber-
gänge einer Muskel in die andere, welche die colos-
salischen Statuen der Alten auszeichnen!

Die Mosaiken an der Kuppel sind schlecht
gezeichnet, und viel zu sein für die Entfernung und
die Größe des Orts.

In der ersten Capelle zur Rechten.
Pieta von
M. Angelo
Buonarotti.

+ Eine berühmte Pieta, oder Madonna
bei dem todten Christ, Gruppe aus Marmor

von M. Angelo Buonarotti. Hr. Dr. Volk-
mann rühmt den Ausdruck von Traurigkeit in der
heil. Jungfrau: aber mir scheint er verfehlt, und
mehr mürrische Unzufriedenheit als Schwermuth
auszudrücken. Die Figur Christi ist zu mager, zu
knöchern, und die Gelenke sind wie zerschlagen. Die
Madonna ist zu jung gegen ihren Sohn. Taille
und Hüften sind zu lang, die Extremitäten zu klein.
Man wirft dem einen Arm vor, daß er ausgesetzt
sey. Ihr Gewand beutelt sich statt Falten zu schla-
gen: eine Würkung die man von einem nassen Ge-
wande, das an der Haut klebt, vermuthen kann.

Diese

Anmerkungen
Individualitaͤt eines allgemeinen Charakters ſucht
man vergebens. Die Stellung iſt academiſch, der
Ausdruck affektirt. Die Gewaͤnder bilden Falten
von großen Maſſen, in denen das Licht vortrefflich
aufgefangen, und bequem vom Schatten abgetheilet
wird: aber ſie verhuͤllen das Nackende anſtatt es zu
bedecken. Die Zeichnung, die Verhaͤltniſſe ſind im
Ganzen richtig, inzwiſchen wirft man dem linken
Beine vor, daß es nicht recht mit der Huͤfte zuſam-
menhaͤnge. Und wie ſehr fehlen die feinen Ueber-
gaͤnge einer Muskel in die andere, welche die coloſ-
ſaliſchen Statuen der Alten auszeichnen!

Die Moſaiken an der Kuppel ſind ſchlecht
gezeichnet, und viel zu ſein fuͤr die Entfernung und
die Groͤße des Orts.

In der erſten Capelle zur Rechten.
Pieta von
M. Angelo
Buonarotti.

Eine beruͤhmte Pieta, oder Madonna
bei dem todten Chriſt, Gruppe aus Marmor

von M. Angelo Buonarotti. Hr. Dr. Volk-
mann ruͤhmt den Ausdruck von Traurigkeit in der
heil. Jungfrau: aber mir ſcheint er verfehlt, und
mehr muͤrriſche Unzufriedenheit als Schwermuth
auszudruͤcken. Die Figur Chriſti iſt zu mager, zu
knoͤchern, und die Gelenke ſind wie zerſchlagen. Die
Madonna iſt zu jung gegen ihren Sohn. Taille
und Huͤften ſind zu lang, die Extremitaͤten zu klein.
Man wirft dem einen Arm vor, daß er ausgeſetzt
ſey. Ihr Gewand beutelt ſich ſtatt Falten zu ſchla-
gen: eine Wuͤrkung die man von einem naſſen Ge-
wande, das an der Haut klebt, vermuthen kann.

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[226/0250] Anmerkungen Individualitaͤt eines allgemeinen Charakters ſucht man vergebens. Die Stellung iſt academiſch, der Ausdruck affektirt. Die Gewaͤnder bilden Falten von großen Maſſen, in denen das Licht vortrefflich aufgefangen, und bequem vom Schatten abgetheilet wird: aber ſie verhuͤllen das Nackende anſtatt es zu bedecken. Die Zeichnung, die Verhaͤltniſſe ſind im Ganzen richtig, inzwiſchen wirft man dem linken Beine vor, daß es nicht recht mit der Huͤfte zuſam- menhaͤnge. Und wie ſehr fehlen die feinen Ueber- gaͤnge einer Muskel in die andere, welche die coloſ- ſaliſchen Statuen der Alten auszeichnen! Die Moſaiken an der Kuppel ſind ſchlecht gezeichnet, und viel zu ſein fuͤr die Entfernung und die Groͤße des Orts. In der erſten Capelle zur Rechten. † Eine beruͤhmte Pieta, oder Madonna bei dem todten Chriſt, Gruppe aus Marmor von M. Angelo Buonarotti. Hr. Dr. Volk- mann ruͤhmt den Ausdruck von Traurigkeit in der heil. Jungfrau: aber mir ſcheint er verfehlt, und mehr muͤrriſche Unzufriedenheit als Schwermuth auszudruͤcken. Die Figur Chriſti iſt zu mager, zu knoͤchern, und die Gelenke ſind wie zerſchlagen. Die Madonna iſt zu jung gegen ihren Sohn. Taille und Huͤften ſind zu lang, die Extremitaͤten zu klein. Man wirft dem einen Arm vor, daß er ausgeſetzt ſey. Ihr Gewand beutelt ſich ſtatt Falten zu ſchla- gen: eine Wuͤrkung die man von einem naſſen Ge- wande, das an der Haut klebt, vermuthen kann. Dieſe

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/250>, abgerufen am 23.11.2024.