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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Anmerkungen
im Ganzen seyn, als das Gesetz der Harmonie im
weitläuftigern Verstande es nur immer zulassen will.

Hier zeigt sich eine große Verschiedenheit zwi-
schen einem Correggio und einem Sacchi, und noch
mehr zwischen jenem und den neueren Neapolitani-
schen und Venetianischen Meistern.

Wenn ich eine Wange, jeden andern fleischigten
Theil in einem Gemählde des Correggio für sich be-
trachte, und das Uebrige des Bildes bedecke; so er-
kenne ich diese gefärbte Stelle für das, was sie seyn
soll, für Fleisch. Hingegen eben dieser Theil in ei-
nem Gemählde des Corrado oder Tiepolo unter eben
der Bedingung gesehen, ist nur ein bunter Fleck, den
ich eben so gut für ein röthliches Gewand, oder für sonst
etwas halten könnte. Woher kömmt dieser Unter-
schied? Natürlich daher, weil der letzte Künstler zu
viel von seiner Lichtstralfarbe in die wesentliche Far-
be des Objekts gemischt hat, um diese letzte nicht zu
zerstören: oder, weil er auf den Effekt der Tafel im
Ganzen, auf die Vergleichung eines Theils mit den
übrigen zu viel, und zu wenig auf die Vergleichung
des einzelnen Körpers in der Nachbildung mit dem
Vorwurfe in der Natur, gerechnet hat. Mit einem
Worte, weil das Colorit nach der Palette ausge-
dacht ist.

Es fließt aus dieser doppelten Art, das Colorit ei-
nes Gemähldes in Rücksicht auf Harmonie, und in
Rücksicht auf treue Nachbildung zu beurtheilen, auch
eine doppelte Art, die Wahrheit desselben zu prüfen.

Eine conventionelle, die blos nach der Verschie-
denheit und Uebereinstimmung der einzelnen Theile zum
Ganzen angestellet wird, und eine ursprüngliche nach

den

Anmerkungen
im Ganzen ſeyn, als das Geſetz der Harmonie im
weitlaͤuftigern Verſtande es nur immer zulaſſen will.

Hier zeigt ſich eine große Verſchiedenheit zwi-
ſchen einem Correggio und einem Sacchi, und noch
mehr zwiſchen jenem und den neueren Neapolitani-
ſchen und Venetianiſchen Meiſtern.

Wenn ich eine Wange, jeden andern fleiſchigten
Theil in einem Gemaͤhlde des Correggio fuͤr ſich be-
trachte, und das Uebrige des Bildes bedecke; ſo er-
kenne ich dieſe gefaͤrbte Stelle fuͤr das, was ſie ſeyn
ſoll, fuͤr Fleiſch. Hingegen eben dieſer Theil in ei-
nem Gemaͤhlde des Corrado oder Tiepolo unter eben
der Bedingung geſehen, iſt nur ein bunter Fleck, den
ich eben ſo gut fuͤr ein roͤthliches Gewand, oder fuͤr ſonſt
etwas halten koͤnnte. Woher koͤmmt dieſer Unter-
ſchied? Natuͤrlich daher, weil der letzte Kuͤnſtler zu
viel von ſeiner Lichtſtralfarbe in die weſentliche Far-
be des Objekts gemiſcht hat, um dieſe letzte nicht zu
zerſtoͤren: oder, weil er auf den Effekt der Tafel im
Ganzen, auf die Vergleichung eines Theils mit den
uͤbrigen zu viel, und zu wenig auf die Vergleichung
des einzelnen Koͤrpers in der Nachbildung mit dem
Vorwurfe in der Natur, gerechnet hat. Mit einem
Worte, weil das Colorit nach der Palette ausge-
dacht iſt.

Es fließt aus dieſer doppelten Art, das Colorit ei-
nes Gemaͤhldes in Ruͤckſicht auf Harmonie, und in
Ruͤckſicht auf treue Nachbildung zu beurtheilen, auch
eine doppelte Art, die Wahrheit deſſelben zu pruͤfen.

Eine conventionelle, die blos nach der Verſchie-
denheit und Uebereinſtimmung der einzelnen Theile zum
Ganzen angeſtellet wird, und eine urſpruͤngliche nach

den
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[346/0370] Anmerkungen im Ganzen ſeyn, als das Geſetz der Harmonie im weitlaͤuftigern Verſtande es nur immer zulaſſen will. Hier zeigt ſich eine große Verſchiedenheit zwi- ſchen einem Correggio und einem Sacchi, und noch mehr zwiſchen jenem und den neueren Neapolitani- ſchen und Venetianiſchen Meiſtern. Wenn ich eine Wange, jeden andern fleiſchigten Theil in einem Gemaͤhlde des Correggio fuͤr ſich be- trachte, und das Uebrige des Bildes bedecke; ſo er- kenne ich dieſe gefaͤrbte Stelle fuͤr das, was ſie ſeyn ſoll, fuͤr Fleiſch. Hingegen eben dieſer Theil in ei- nem Gemaͤhlde des Corrado oder Tiepolo unter eben der Bedingung geſehen, iſt nur ein bunter Fleck, den ich eben ſo gut fuͤr ein roͤthliches Gewand, oder fuͤr ſonſt etwas halten koͤnnte. Woher koͤmmt dieſer Unter- ſchied? Natuͤrlich daher, weil der letzte Kuͤnſtler zu viel von ſeiner Lichtſtralfarbe in die weſentliche Far- be des Objekts gemiſcht hat, um dieſe letzte nicht zu zerſtoͤren: oder, weil er auf den Effekt der Tafel im Ganzen, auf die Vergleichung eines Theils mit den uͤbrigen zu viel, und zu wenig auf die Vergleichung des einzelnen Koͤrpers in der Nachbildung mit dem Vorwurfe in der Natur, gerechnet hat. Mit einem Worte, weil das Colorit nach der Palette ausge- dacht iſt. Es fließt aus dieſer doppelten Art, das Colorit ei- nes Gemaͤhldes in Ruͤckſicht auf Harmonie, und in Ruͤckſicht auf treue Nachbildung zu beurtheilen, auch eine doppelte Art, die Wahrheit deſſelben zu pruͤfen. Eine conventionelle, die blos nach der Verſchie- denheit und Uebereinſtimmung der einzelnen Theile zum Ganzen angeſtellet wird, und eine urſpruͤngliche nach den

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/370>, abgerufen am 27.11.2024.