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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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über die einzelnen Kirchen.
den Reiz einer Masse von angenehmer Form vor sich.
Lasse ich diese Gruppen mit andern von verschiedener
Form abwechseln, und sich unter einander bequem
verbinden, so entsteht daraus ein so leicht zu ordnen-
des, und eben dadurch wohlgefälliges Ganze, daß
ich durch diese Würkung in Verbindung mit der Har-
monie des Tons, der Farben, des Helldunkeln,
über die Mängel in einzelnen Theilen, wenigstens
auf den ersten Blick beschwichtiget werde. Freilich
darf der Ausdruck nicht ganz unedel und unnatürlich,
die Zeichnung nicht auffallend unrichtig, das Colorit
und das Helldunkle nicht völlig conventionell seyn;
aber wenn nur ein Schein von Wahrheit in allen die-
sen Theilen vorhanden ist, -- wie ihn denn A. Sacchi
mit jenen Vorzügen zu verbinden wußte, -- so giebt
sich der vorübergehende Beschauer ziemlich leicht zu-
frieden.

Und so würde die Bestimmung des Verdienstes
unsers Meisters so ziemlich vorbereitet seyn: Er war
der beste Flächendecorateur, den wir kennen; aber
auch nur das: Anschminker, nicht treuer Darsteller
der verschönerten Natur. Pietro da Cortona, Luca
Giordano, die ganze neuere Neapolitanische und Ve-
netianische Schule, die im Grunde so wie er, nur
für den ersten vorübergehenden Anblick arbeiteten,
nur den Vorhang eines Theaters aufziehen, und
wieder fallen lassen, nur frappiren, nur blenden;
stehen ihm dennoch nach. Er hat einen Schein von
Ausdruck der Minen, da wo sie nur Schein des
Ausdrucks in Stellungen haben: Er hat einen
Schein von Carraccisch richtiger Zeichnung, da wo
sie ungescheut Incorrektionen begehen: Er hat einen

Schein

uͤber die einzelnen Kirchen.
den Reiz einer Maſſe von angenehmer Form vor ſich.
Laſſe ich dieſe Gruppen mit andern von verſchiedener
Form abwechſeln, und ſich unter einander bequem
verbinden, ſo entſteht daraus ein ſo leicht zu ordnen-
des, und eben dadurch wohlgefaͤlliges Ganze, daß
ich durch dieſe Wuͤrkung in Verbindung mit der Har-
monie des Tons, der Farben, des Helldunkeln,
uͤber die Maͤngel in einzelnen Theilen, wenigſtens
auf den erſten Blick beſchwichtiget werde. Freilich
darf der Ausdruck nicht ganz unedel und unnatuͤrlich,
die Zeichnung nicht auffallend unrichtig, das Colorit
und das Helldunkle nicht voͤllig conventionell ſeyn;
aber wenn nur ein Schein von Wahrheit in allen die-
ſen Theilen vorhanden iſt, — wie ihn denn A. Sacchi
mit jenen Vorzuͤgen zu verbinden wußte, — ſo giebt
ſich der voruͤbergehende Beſchauer ziemlich leicht zu-
frieden.

Und ſo wuͤrde die Beſtimmung des Verdienſtes
unſers Meiſters ſo ziemlich vorbereitet ſeyn: Er war
der beſte Flaͤchendecorateur, den wir kennen; aber
auch nur das: Anſchminker, nicht treuer Darſteller
der verſchoͤnerten Natur. Pietro da Cortona, Luca
Giordano, die ganze neuere Neapolitaniſche und Ve-
netianiſche Schule, die im Grunde ſo wie er, nur
fuͤr den erſten voruͤbergehenden Anblick arbeiteten,
nur den Vorhang eines Theaters aufziehen, und
wieder fallen laſſen, nur frappiren, nur blenden;
ſtehen ihm dennoch nach. Er hat einen Schein von
Ausdruck der Minen, da wo ſie nur Schein des
Ausdrucks in Stellungen haben: Er hat einen
Schein von Carracciſch richtiger Zeichnung, da wo
ſie ungeſcheut Incorrektionen begehen: Er hat einen

Schein
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[351/0375] uͤber die einzelnen Kirchen. den Reiz einer Maſſe von angenehmer Form vor ſich. Laſſe ich dieſe Gruppen mit andern von verſchiedener Form abwechſeln, und ſich unter einander bequem verbinden, ſo entſteht daraus ein ſo leicht zu ordnen- des, und eben dadurch wohlgefaͤlliges Ganze, daß ich durch dieſe Wuͤrkung in Verbindung mit der Har- monie des Tons, der Farben, des Helldunkeln, uͤber die Maͤngel in einzelnen Theilen, wenigſtens auf den erſten Blick beſchwichtiget werde. Freilich darf der Ausdruck nicht ganz unedel und unnatuͤrlich, die Zeichnung nicht auffallend unrichtig, das Colorit und das Helldunkle nicht voͤllig conventionell ſeyn; aber wenn nur ein Schein von Wahrheit in allen die- ſen Theilen vorhanden iſt, — wie ihn denn A. Sacchi mit jenen Vorzuͤgen zu verbinden wußte, — ſo giebt ſich der voruͤbergehende Beſchauer ziemlich leicht zu- frieden. Und ſo wuͤrde die Beſtimmung des Verdienſtes unſers Meiſters ſo ziemlich vorbereitet ſeyn: Er war der beſte Flaͤchendecorateur, den wir kennen; aber auch nur das: Anſchminker, nicht treuer Darſteller der verſchoͤnerten Natur. Pietro da Cortona, Luca Giordano, die ganze neuere Neapolitaniſche und Ve- netianiſche Schule, die im Grunde ſo wie er, nur fuͤr den erſten voruͤbergehenden Anblick arbeiteten, nur den Vorhang eines Theaters aufziehen, und wieder fallen laſſen, nur frappiren, nur blenden; ſtehen ihm dennoch nach. Er hat einen Schein von Ausdruck der Minen, da wo ſie nur Schein des Ausdrucks in Stellungen haben: Er hat einen Schein von Carracciſch richtiger Zeichnung, da wo ſie ungeſcheut Incorrektionen begehen: Er hat einen Schein

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/375>, abgerufen am 26.11.2024.