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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Pallast Giustiniani.

Ich verkenne keinesweges das erhöhete Maaß
von Interesse, welches ein Gemählde dadurch erhält,
daß wir uns bei demselben einer schönen Stelle des
Homers oder Virgils erinnern. Aber abgerechnet,
daß die schönsten Stellen beim Lesen oder Hören ge-
rade diejenigen sind, die sich am wenigsten mahlen
lassen, so bin ich auch nicht so unbillig zu verlangen,
daß alle Menschen die Augen zum sehen, und ein
Herz zum empfinden haben, sich dieser Stellen aus
alten Dichtern lebhaft mit mir erinnern sollen: DaDie heilige
Geschichte,
als Stoff zur
bildlichen
Darstellung,
ist der
Sculptur,
nicht der
Mahlerei
ungünstig.

vielmehr die Ideen, welche den Ausdruck der Affek-
ten historisch bestimmen, allen zu den Künsten be-
rechtigten Menschen durch ein Volksbuch so geläu-
fig geworden seyn müssen, daß über das Nachsinnen
und Rathen des Verstandes die Einbildungskraft und
das Herz nicht erkalten; so sehe ich den großen Nach-
theil nicht ab, den die Mahlerei dadurch erlitten
haben sollte, daß die Bibel dieses Volksbuch gewor-
den ist. Die Sculptur hat allerdings dadurch ge-
litten, wie ich an einem andern Orte zeigen werde:
aber die Mahlerei, wie ich glaube, gar nicht oder
wenig.

Der kleine Kreis von Affekten, die zur Mah-
lerei geschickt sind, weil sie sich deutlich an den Kör-
per durch Gebärden äußern, muß in jedem Geschicht-
schreiber, in jedem handelnden Gedichte von größerem
Umfange wieder in Umlauf kommen, da alle den
Menschen in einer gewissen Folge von Zeiten schildern.
Die Bibel hat den Vorzug, daß sie von jedem et-
was cultivirten Europäer, dem es um Erkenntniß
der Wahrheit zu thun ist, gelesen, oder wenigstens
ihr historischer Innhalt bei der ersten Erziehung

desselben
B 5
Pallaſt Giuſtiniani.

Ich verkenne keinesweges das erhoͤhete Maaß
von Intereſſe, welches ein Gemaͤhlde dadurch erhaͤlt,
daß wir uns bei demſelben einer ſchoͤnen Stelle des
Homers oder Virgils erinnern. Aber abgerechnet,
daß die ſchoͤnſten Stellen beim Leſen oder Hoͤren ge-
rade diejenigen ſind, die ſich am wenigſten mahlen
laſſen, ſo bin ich auch nicht ſo unbillig zu verlangen,
daß alle Menſchen die Augen zum ſehen, und ein
Herz zum empfinden haben, ſich dieſer Stellen aus
alten Dichtern lebhaft mit mir erinnern ſollen: DaDie heilige
Geſchichte,
als Stoff zur
bildlichen
Darſtellung,
iſt der
Sculptur,
nicht der
Mahlerei
unguͤnſtig.

vielmehr die Ideen, welche den Ausdruck der Affek-
ten hiſtoriſch beſtimmen, allen zu den Kuͤnſten be-
rechtigten Menſchen durch ein Volksbuch ſo gelaͤu-
fig geworden ſeyn muͤſſen, daß uͤber das Nachſinnen
und Rathen des Verſtandes die Einbildungskraft und
das Herz nicht erkalten; ſo ſehe ich den großen Nach-
theil nicht ab, den die Mahlerei dadurch erlitten
haben ſollte, daß die Bibel dieſes Volksbuch gewor-
den iſt. Die Sculptur hat allerdings dadurch ge-
litten, wie ich an einem andern Orte zeigen werde:
aber die Mahlerei, wie ich glaube, gar nicht oder
wenig.

Der kleine Kreis von Affekten, die zur Mah-
lerei geſchickt ſind, weil ſie ſich deutlich an den Koͤr-
per durch Gebaͤrden aͤußern, muß in jedem Geſchicht-
ſchreiber, in jedem handelnden Gedichte von groͤßerem
Umfange wieder in Umlauf kommen, da alle den
Menſchen in einer gewiſſen Folge von Zeiten ſchildern.
Die Bibel hat den Vorzug, daß ſie von jedem et-
was cultivirten Europaͤer, dem es um Erkenntniß
der Wahrheit zu thun iſt, geleſen, oder wenigſtens
ihr hiſtoriſcher Innhalt bei der erſten Erziehung

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[25/0049] Pallaſt Giuſtiniani. Ich verkenne keinesweges das erhoͤhete Maaß von Intereſſe, welches ein Gemaͤhlde dadurch erhaͤlt, daß wir uns bei demſelben einer ſchoͤnen Stelle des Homers oder Virgils erinnern. Aber abgerechnet, daß die ſchoͤnſten Stellen beim Leſen oder Hoͤren ge- rade diejenigen ſind, die ſich am wenigſten mahlen laſſen, ſo bin ich auch nicht ſo unbillig zu verlangen, daß alle Menſchen die Augen zum ſehen, und ein Herz zum empfinden haben, ſich dieſer Stellen aus alten Dichtern lebhaft mit mir erinnern ſollen: Da vielmehr die Ideen, welche den Ausdruck der Affek- ten hiſtoriſch beſtimmen, allen zu den Kuͤnſten be- rechtigten Menſchen durch ein Volksbuch ſo gelaͤu- fig geworden ſeyn muͤſſen, daß uͤber das Nachſinnen und Rathen des Verſtandes die Einbildungskraft und das Herz nicht erkalten; ſo ſehe ich den großen Nach- theil nicht ab, den die Mahlerei dadurch erlitten haben ſollte, daß die Bibel dieſes Volksbuch gewor- den iſt. Die Sculptur hat allerdings dadurch ge- litten, wie ich an einem andern Orte zeigen werde: aber die Mahlerei, wie ich glaube, gar nicht oder wenig. Die heilige Geſchichte, als Stoff zur bildlichen Darſtellung, iſt der Sculptur, nicht der Mahlerei unguͤnſtig. Der kleine Kreis von Affekten, die zur Mah- lerei geſchickt ſind, weil ſie ſich deutlich an den Koͤr- per durch Gebaͤrden aͤußern, muß in jedem Geſchicht- ſchreiber, in jedem handelnden Gedichte von groͤßerem Umfange wieder in Umlauf kommen, da alle den Menſchen in einer gewiſſen Folge von Zeiten ſchildern. Die Bibel hat den Vorzug, daß ſie von jedem et- was cultivirten Europaͤer, dem es um Erkenntniß der Wahrheit zu thun iſt, geleſen, oder wenigſtens ihr hiſtoriſcher Innhalt bei der erſten Erziehung deſſelben B 5

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/49>, abgerufen am 21.11.2024.