Löwenhaut mit einer Keule, der andere einen Schä- ferstab, und ein Hund steht zu seiner Seite: Der dritte hält einen Pfeil, der vierte eine Violine. Wie diese Amorinen zu der sonst gut gedachten und leicht erklärbaren Allegorie passen, ist schwer zu begreifen.
Der Tag unter der Figur des Apollo hat ein süßliches und geziertes Wesen. Hingegen hat die Wahrheit ganz den Charakter edler Unbefangenheit und bescheidener Zuversicht, welche Begleiterinnen eines schuldlosen Herzens zu seyn pflegen. Ihre Fi- gur ist schön: nur finde ich die Warzen auf den Brü- sten zu stark angegeben, und in der Zeichnung der Beine einige Unbestimmtheit. Die Figur der Zeit ist wahr, ohne edel zu seyn. Die Kinder sind schön, und vorzüglich hat das mit dem Hirtenstabe einen vortrefflichen Ausdruck schwebender Leichtigkeit.
Irre ich, oder hat Domenichino in der Färbung den Guercino, seinen Nachbar im nächsten Zimmer, vor Augen gehabt?
Plafond von Guercino.
+ Der Plafond des vierten Zimmers ist von Guercino. Er stellt die Armida vor, die den schlafenden Rinaldo in einem Wagen mit Dra- chen bespannt entführt. Dieser Plafond ist vortreff- lich componirt. Doch rechne ich einen Fehler wider die Perspektiv ab. Rinaldo konnte so nicht liegen, ohne aus dem Wagen herabzufallen.
Die Figur der Armida macht kein vollkomme- nes Ideal aus. Aber wie verführerisch sind nicht ihre Reize! wie lüstern wacht sie über den Jüngling! Dieser ist mehr Schäfer als Held; aber seine Formen
sind
Pallaſt Coſtaguti.
Loͤwenhaut mit einer Keule, der andere einen Schaͤ- ferſtab, und ein Hund ſteht zu ſeiner Seite: Der dritte haͤlt einen Pfeil, der vierte eine Violine. Wie dieſe Amorinen zu der ſonſt gut gedachten und leicht erklaͤrbaren Allegorie paſſen, iſt ſchwer zu begreifen.
Der Tag unter der Figur des Apollo hat ein ſuͤßliches und geziertes Weſen. Hingegen hat die Wahrheit ganz den Charakter edler Unbefangenheit und beſcheidener Zuverſicht, welche Begleiterinnen eines ſchuldloſen Herzens zu ſeyn pflegen. Ihre Fi- gur iſt ſchoͤn: nur finde ich die Warzen auf den Bruͤ- ſten zu ſtark angegeben, und in der Zeichnung der Beine einige Unbeſtimmtheit. Die Figur der Zeit iſt wahr, ohne edel zu ſeyn. Die Kinder ſind ſchoͤn, und vorzuͤglich hat das mit dem Hirtenſtabe einen vortrefflichen Ausdruck ſchwebender Leichtigkeit.
Irre ich, oder hat Domenichino in der Faͤrbung den Guercino, ſeinen Nachbar im naͤchſten Zimmer, vor Augen gehabt?
Plafond von Guercino.
† Der Plafond des vierten Zimmers iſt von Guercino. Er ſtellt die Armida vor, die den ſchlafenden Rinaldo in einem Wagen mit Dra- chen beſpannt entfuͤhrt. Dieſer Plafond iſt vortreff- lich componirt. Doch rechne ich einen Fehler wider die Perſpektiv ab. Rinaldo konnte ſo nicht liegen, ohne aus dem Wagen herabzufallen.
Die Figur der Armida macht kein vollkomme- nes Ideal aus. Aber wie verfuͤhreriſch ſind nicht ihre Reize! wie luͤſtern wacht ſie uͤber den Juͤngling! Dieſer iſt mehr Schaͤfer als Held; aber ſeine Formen
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Pallaſt Coſtaguti.
Loͤwenhaut mit einer Keule, der andere einen Schaͤ-
ferſtab, und ein Hund ſteht zu ſeiner Seite: Der
dritte haͤlt einen Pfeil, der vierte eine Violine. Wie
dieſe Amorinen zu der ſonſt gut gedachten und leicht
erklaͤrbaren Allegorie paſſen, iſt ſchwer zu begreifen.
Der Tag unter der Figur des Apollo hat ein
ſuͤßliches und geziertes Weſen. Hingegen hat die
Wahrheit ganz den Charakter edler Unbefangenheit
und beſcheidener Zuverſicht, welche Begleiterinnen
eines ſchuldloſen Herzens zu ſeyn pflegen. Ihre Fi-
gur iſt ſchoͤn: nur finde ich die Warzen auf den Bruͤ-
ſten zu ſtark angegeben, und in der Zeichnung der
Beine einige Unbeſtimmtheit. Die Figur der Zeit
iſt wahr, ohne edel zu ſeyn. Die Kinder ſind ſchoͤn,
und vorzuͤglich hat das mit dem Hirtenſtabe einen
vortrefflichen Ausdruck ſchwebender Leichtigkeit.
Irre ich, oder hat Domenichino in der Faͤrbung
den Guercino, ſeinen Nachbar im naͤchſten Zimmer,
vor Augen gehabt?
† Der Plafond des vierten Zimmers iſt
von Guercino. Er ſtellt die Armida vor, die
den ſchlafenden Rinaldo in einem Wagen mit Dra-
chen beſpannt entfuͤhrt. Dieſer Plafond iſt vortreff-
lich componirt. Doch rechne ich einen Fehler wider
die Perſpektiv ab. Rinaldo konnte ſo nicht liegen,
ohne aus dem Wagen herabzufallen.
Die Figur der Armida macht kein vollkomme-
nes Ideal aus. Aber wie verfuͤhreriſch ſind nicht
ihre Reize! wie luͤſtern wacht ſie uͤber den Juͤngling!
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/94>, abgerufen am 16.07.2024.
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