Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Uebeln nach dem geringeren mit affektvoller Lust strebt. Liebe setzt offenbar den Zustand des Genusses des Gegenwärtigen voraus.

Darum wird die Lust, die wir an einer wirklich eingetretenen Verbesserung unserer peinlichen Lage nehmen, sehr oft Liebe genannt, wenn uns gleich noch vieles an der Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens fehlt. Aber wir genießen die Erleichterung und fühlen den gestärkten Muth, das fortwährende Bedürfniß zu tragen, und die belebte Hoffnung, daß ihm gänzlich abgeholfen werde. So liebt, wie gesagt, der Kranke die erste Spur seiner Genesung; so liebt der unglückliche Ehrgeitzige den Schlupfwinkel, der ihn wenigstens dem Triumphe seiner Feinde entzieht. Ich nenne eine solche Lust: affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses.

Höheren Anspruch auf den Nahmen der Liebe hat aber derjenige Genuß, den uns das Gefühl eines völlig gestillten Verlangens nach Rückkehr in den vorigen Ruhestand des Lebens zuführt. So liebt der Mensch, der sich von einer augenscheinlichen Todesgefahr gerettet, und in Sicherheit sieht. So liebt derjenige, der die Qualen des Hungers durch Sättigung endigt. So liebt der ohnmächtige Ehrgeitzige, der sein Ziel verfehlt hat, wenn die Bilder von Macht und Ehre, deren Versagung sonst das Unglück seines Lebens ausmachten, ihre Lebhaftigkeit verlieren, und er nun die Fortdauer seiner ruhigen Einsamkeit, nach angestellter Vergleichung mit seiner vorigen Unruhe, eifrig wünscht. Ich nenne diese Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, wodurch wir in den gewöhnlichen

Uebeln nach dem geringeren mit affektvoller Lust strebt. Liebe setzt offenbar den Zustand des Genusses des Gegenwärtigen voraus.

Darum wird die Lust, die wir an einer wirklich eingetretenen Verbesserung unserer peinlichen Lage nehmen, sehr oft Liebe genannt, wenn uns gleich noch vieles an der Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens fehlt. Aber wir genießen die Erleichterung und fühlen den gestärkten Muth, das fortwährende Bedürfniß zu tragen, und die belebte Hoffnung, daß ihm gänzlich abgeholfen werde. So liebt, wie gesagt, der Kranke die erste Spur seiner Genesung; so liebt der unglückliche Ehrgeitzige den Schlupfwinkel, der ihn wenigstens dem Triumphe seiner Feinde entzieht. Ich nenne eine solche Lust: affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses.

Höheren Anspruch auf den Nahmen der Liebe hat aber derjenige Genuß, den uns das Gefühl eines völlig gestillten Verlangens nach Rückkehr in den vorigen Ruhestand des Lebens zuführt. So liebt der Mensch, der sich von einer augenscheinlichen Todesgefahr gerettet, und in Sicherheit sieht. So liebt derjenige, der die Qualen des Hungers durch Sättigung endigt. So liebt der ohnmächtige Ehrgeitzige, der sein Ziel verfehlt hat, wenn die Bilder von Macht und Ehre, deren Versagung sonst das Unglück seines Lebens ausmachten, ihre Lebhaftigkeit verlieren, und er nun die Fortdauer seiner ruhigen Einsamkeit, nach angestellter Vergleichung mit seiner vorigen Unruhe, eifrig wünscht. Ich nenne diese Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, wodurch wir in den gewöhnlichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0016" n="16"/>
Uebeln nach dem geringeren mit affektvoller Lust strebt. <hi rendition="#g">Liebe setzt offenbar den Zustand des Genusses des Gegenwärtigen voraus</hi>.</p>
          <p>Darum wird die Lust, die wir an einer wirklich eingetretenen Verbesserung unserer peinlichen Lage nehmen, sehr oft Liebe genannt, wenn uns gleich noch vieles an der Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens fehlt. Aber wir genießen die Erleichterung und fühlen den gestärkten Muth, das fortwährende Bedürfniß zu tragen, und die belebte Hoffnung, daß ihm gänzlich abgeholfen werde. So liebt, wie gesagt, der Kranke die erste Spur seiner Genesung; so liebt der unglückliche Ehrgeitzige den Schlupfwinkel, der ihn wenigstens dem Triumphe seiner Feinde entzieht. Ich nenne eine solche Lust: <hi rendition="#g">affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses</hi>.</p>
          <p>Höheren Anspruch auf den Nahmen der Liebe hat aber derjenige Genuß, den uns das Gefühl eines völlig gestillten Verlangens nach Rückkehr in den vorigen Ruhestand des Lebens zuführt. So liebt der Mensch, der sich von einer augenscheinlichen Todesgefahr gerettet, und in Sicherheit sieht. So liebt derjenige, der die Qualen des Hungers durch Sättigung endigt. So liebt der ohnmächtige Ehrgeitzige, der sein Ziel verfehlt hat, wenn die Bilder von Macht und Ehre, deren Versagung sonst das Unglück seines Lebens ausmachten, ihre Lebhaftigkeit verlieren, und er nun die Fortdauer seiner ruhigen Einsamkeit, nach angestellter Vergleichung mit seiner vorigen Unruhe, eifrig wünscht. Ich nenne diese Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, wodurch wir in den gewöhnlichen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0016] Uebeln nach dem geringeren mit affektvoller Lust strebt. Liebe setzt offenbar den Zustand des Genusses des Gegenwärtigen voraus. Darum wird die Lust, die wir an einer wirklich eingetretenen Verbesserung unserer peinlichen Lage nehmen, sehr oft Liebe genannt, wenn uns gleich noch vieles an der Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens fehlt. Aber wir genießen die Erleichterung und fühlen den gestärkten Muth, das fortwährende Bedürfniß zu tragen, und die belebte Hoffnung, daß ihm gänzlich abgeholfen werde. So liebt, wie gesagt, der Kranke die erste Spur seiner Genesung; so liebt der unglückliche Ehrgeitzige den Schlupfwinkel, der ihn wenigstens dem Triumphe seiner Feinde entzieht. Ich nenne eine solche Lust: affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses. Höheren Anspruch auf den Nahmen der Liebe hat aber derjenige Genuß, den uns das Gefühl eines völlig gestillten Verlangens nach Rückkehr in den vorigen Ruhestand des Lebens zuführt. So liebt der Mensch, der sich von einer augenscheinlichen Todesgefahr gerettet, und in Sicherheit sieht. So liebt derjenige, der die Qualen des Hungers durch Sättigung endigt. So liebt der ohnmächtige Ehrgeitzige, der sein Ziel verfehlt hat, wenn die Bilder von Macht und Ehre, deren Versagung sonst das Unglück seines Lebens ausmachten, ihre Lebhaftigkeit verlieren, und er nun die Fortdauer seiner ruhigen Einsamkeit, nach angestellter Vergleichung mit seiner vorigen Unruhe, eifrig wünscht. Ich nenne diese Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, wodurch wir in den gewöhnlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/16
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/16>, abgerufen am 21.11.2024.