Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.seyn, können zur Leidenschaft werden. Darum giebt es eine Leidenschaft des Hasses, - die eigennützigste unter allen, indem wir nach der Wonne streben, uns an dem Verderben, an der Erniedrigung, an der Ausschließung anderer zu weiden; - des Hasses mit allen seinen Modificationen, des Neides, der Eifersucht, u. s. w. Es giebt eine Menge selbstischer Leidenschaften: des Geitzes, der Ruhmbegierde, nach sinnlichen Vergnügen, nach geistiger Unterhaltung, nach Erkennen, Wissen, Wirken. - Aber es giebt auch liebende Leidenschaften: der Menschenliebe, der Vaterlandsliebe, der Dienertreue, der Herrengüte, der Freundschaft, der Aeltern- und der Geschlechtsliebe. Verschieden von dem Begriffe der Leidenschaft, so wohl der liebenden als der hassenden, in dem eben angegebenen Sinne, ist, wie gesagt, die einzelne leidenschaftliche Aufwallung, der einzelne leidenschaftliche Akt, dergleichen der Zorn und das Mitleiden häufig darbieten. Alexander, der seinen Freund im Zorn erstach, handelte leidenschaftlich; aber die Begierde, ihm zu schaden, die Wonne, ihn vertilgt zu sehen, war bey ihm keine figierte Stimmung, ohne welche er nicht bestehen zu können geglaubt hätte. Der Herzog Leopold, der aus Mitleid sein Leben den Fluthen opferte, um einige Unglückliche aus der Gefahr des Ertrinkens zu retten, handelte leidenschaftlich; aber es war keine Leidenschaft, die ihn dazu antrieb. Es würde ihn geschmerzt haben, sie verloren zu wissen; aber es ist höchst glaublich, daß er ihren Verlust bald verschmerzt haben würde, wenn er selbst den Fluthen entkommen wäre. Man setze an die Stelle der unbekannten Unglücklichen, die er retten seyn, können zur Leidenschaft werden. Darum giebt es eine Leidenschaft des Hasses, – die eigennützigste unter allen, indem wir nach der Wonne streben, uns an dem Verderben, an der Erniedrigung, an der Ausschließung anderer zu weiden; – des Hasses mit allen seinen Modificationen, des Neides, der Eifersucht, u. s. w. Es giebt eine Menge selbstischer Leidenschaften: des Geitzes, der Ruhmbegierde, nach sinnlichen Vergnügen, nach geistiger Unterhaltung, nach Erkennen, Wissen, Wirken. – Aber es giebt auch liebende Leidenschaften: der Menschenliebe, der Vaterlandsliebe, der Dienertreue, der Herrengüte, der Freundschaft, der Aeltern- und der Geschlechtsliebe. Verschieden von dem Begriffe der Leidenschaft, so wohl der liebenden als der hassenden, in dem eben angegebenen Sinne, ist, wie gesagt, die einzelne leidenschaftliche Aufwallung, der einzelne leidenschaftliche Akt, dergleichen der Zorn und das Mitleiden häufig darbieten. Alexander, der seinen Freund im Zorn erstach, handelte leidenschaftlich; aber die Begierde, ihm zu schaden, die Wonne, ihn vertilgt zu sehen, war bey ihm keine figierte Stimmung, ohne welche er nicht bestehen zu können geglaubt hätte. Der Herzog Leopold, der aus Mitleid sein Leben den Fluthen opferte, um einige Unglückliche aus der Gefahr des Ertrinkens zu retten, handelte leidenschaftlich; aber es war keine Leidenschaft, die ihn dazu antrieb. Es würde ihn geschmerzt haben, sie verloren zu wissen; aber es ist höchst glaublich, daß er ihren Verlust bald verschmerzt haben würde, wenn er selbst den Fluthen entkommen wäre. 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Es giebt eine Menge selbstischer Leidenschaften: des Geitzes, der Ruhmbegierde, nach sinnlichen Vergnügen, nach geistiger Unterhaltung, nach Erkennen, Wissen, Wirken. – Aber es giebt auch liebende Leidenschaften: der Menschenliebe, der Vaterlandsliebe, der Dienertreue, der Herrengüte, der Freundschaft, der Aeltern- und der Geschlechtsliebe.</p> <p>Verschieden von dem Begriffe der Leidenschaft, so wohl der liebenden als der hassenden, in dem eben angegebenen Sinne, ist, wie gesagt, die einzelne leidenschaftliche Aufwallung, der einzelne leidenschaftliche Akt, dergleichen der Zorn und das Mitleiden häufig darbieten. Alexander, der seinen Freund im Zorn erstach, handelte leidenschaftlich; aber die Begierde, ihm zu schaden, die Wonne, ihn vertilgt zu sehen, war bey ihm keine figierte Stimmung, ohne welche er nicht bestehen zu können geglaubt hätte. Der Herzog Leopold, der aus Mitleid sein Leben den Fluthen opferte, um einige Unglückliche aus der Gefahr des Ertrinkens zu retten, handelte leidenschaftlich; aber es war keine Leidenschaft, die ihn dazu antrieb. Es würde ihn geschmerzt haben, sie verloren zu wissen; aber es ist höchst glaublich, daß er ihren Verlust bald verschmerzt haben würde, wenn er selbst den Fluthen entkommen wäre. Man setze an die Stelle der unbekannten Unglücklichen, die er retten </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0250]
seyn, können zur Leidenschaft werden. Darum giebt es eine Leidenschaft des Hasses, – die eigennützigste unter allen, indem wir nach der Wonne streben, uns an dem Verderben, an der Erniedrigung, an der Ausschließung anderer zu weiden; – des Hasses mit allen seinen Modificationen, des Neides, der Eifersucht, u. s. w. Es giebt eine Menge selbstischer Leidenschaften: des Geitzes, der Ruhmbegierde, nach sinnlichen Vergnügen, nach geistiger Unterhaltung, nach Erkennen, Wissen, Wirken. – Aber es giebt auch liebende Leidenschaften: der Menschenliebe, der Vaterlandsliebe, der Dienertreue, der Herrengüte, der Freundschaft, der Aeltern- und der Geschlechtsliebe.
Verschieden von dem Begriffe der Leidenschaft, so wohl der liebenden als der hassenden, in dem eben angegebenen Sinne, ist, wie gesagt, die einzelne leidenschaftliche Aufwallung, der einzelne leidenschaftliche Akt, dergleichen der Zorn und das Mitleiden häufig darbieten. Alexander, der seinen Freund im Zorn erstach, handelte leidenschaftlich; aber die Begierde, ihm zu schaden, die Wonne, ihn vertilgt zu sehen, war bey ihm keine figierte Stimmung, ohne welche er nicht bestehen zu können geglaubt hätte. Der Herzog Leopold, der aus Mitleid sein Leben den Fluthen opferte, um einige Unglückliche aus der Gefahr des Ertrinkens zu retten, handelte leidenschaftlich; aber es war keine Leidenschaft, die ihn dazu antrieb. Es würde ihn geschmerzt haben, sie verloren zu wissen; aber es ist höchst glaublich, daß er ihren Verlust bald verschmerzt haben würde, wenn er selbst den Fluthen entkommen wäre. Man setze an die Stelle der unbekannten Unglücklichen, die er retten
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