Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.Geduld. Vorwärts steht ihr entgegen die Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens. Ruhe ist unserer Natur weit weniger angemessen als Thätigkeit und Bestrebung. Wir lieben das Bewußtseyn der Wirksamkeit unserer Kräfte. Sie allein macht schon eine Art von Genuß für uns aus. Die Wollust oder Wonne der unthätigen Beschauung ist also minder reitzend für uns, als diejenige, die wir im Zustande des Strebens empfinden. Aus eben diesem Grunde übertrifft der Genuß des verweilenden Bestrebens den der endenden Begierde. Das Bewußtseyn, daß wir uns bereits in einem Zustande von Ausgelassenheit des Lebens befinden, verbunden mit der Vorahndung, daß dieser Zustand in seiner Dauer noch immer weiter ausgebildet werden könne, ist angenehmer als dasjenige Bewußtseyn, mit dem wir uns zwar im völligen Besitze eines Zustandes von Ausgelassenheit des Lebens befinden, nach dem wir heftig gestrebt haben, der aber weiter keinen Zusatz leidet. Denn mit diesem letzten Bewußtseyn ist die Vorahndung einer Rückkehr in den Ruhestand des Lebens verknüpft, welche das Gefühl und die Vorstellung des Sinkens und Abnehmens unsers Vergnügens herbeyführt. Liebe ist daher in Beziehung auf den Grundtrieb unsers Wesens im bestimmtesten Sinne: Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens, und in dieser Bedeutung steht ihr vorwärts nichts entgegen; rückwärts aber jede Wollust und Wonne anderer Art. Geduld. Vorwärts steht ihr entgegen die Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens. Ruhe ist unserer Natur weit weniger angemessen als Thätigkeit und Bestrebung. Wir lieben das Bewußtseyn der Wirksamkeit unserer Kräfte. Sie allein macht schon eine Art von Genuß für uns aus. Die Wollust oder Wonne der unthätigen Beschauung ist also minder reitzend für uns, als diejenige, die wir im Zustande des Strebens empfinden. Aus eben diesem Grunde übertrifft der Genuß des verweilenden Bestrebens den der endenden Begierde. Das Bewußtseyn, daß wir uns bereits in einem Zustande von Ausgelassenheit des Lebens befinden, verbunden mit der Vorahndung, daß dieser Zustand in seiner Dauer noch immer weiter ausgebildet werden könne, ist angenehmer als dasjenige Bewußtseyn, mit dem wir uns zwar im völligen Besitze eines Zustandes von Ausgelassenheit des Lebens befinden, nach dem wir heftig gestrebt haben, der aber weiter keinen Zusatz leidet. Denn mit diesem letzten Bewußtseyn ist die Vorahndung einer Rückkehr in den Ruhestand des Lebens verknüpft, welche das Gefühl und die Vorstellung des Sinkens und Abnehmens unsers Vergnügens herbeyführt. Liebe ist daher in Beziehung auf den Grundtrieb unsers Wesens im bestimmtesten Sinne: Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens, und in dieser Bedeutung steht ihr vorwärts nichts entgegen; rückwärts aber jede Wollust und Wonne anderer Art. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0279" n="279"/><hi rendition="#g">Geduld</hi>. Vorwärts steht ihr entgegen die <hi rendition="#g">Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens</hi>.</p> <p>Ruhe ist unserer Natur weit weniger angemessen als Thätigkeit und Bestrebung. Wir lieben das Bewußtseyn der Wirksamkeit unserer Kräfte. Sie allein macht schon eine Art von Genuß für uns aus. Die Wollust oder Wonne der unthätigen Beschauung ist also minder reitzend für uns, als diejenige, die wir im Zustande des Strebens empfinden. Aus eben diesem Grunde übertrifft der Genuß des verweilenden Bestrebens den der endenden Begierde. Das Bewußtseyn, daß wir uns bereits in einem Zustande von Ausgelassenheit des Lebens befinden, verbunden mit der Vorahndung, daß dieser Zustand in seiner Dauer noch immer weiter ausgebildet werden könne, ist angenehmer als dasjenige Bewußtseyn, mit dem wir uns zwar im völligen Besitze eines Zustandes von Ausgelassenheit des Lebens befinden, nach dem wir heftig gestrebt haben, der aber weiter keinen Zusatz leidet. Denn mit diesem letzten Bewußtseyn ist die Vorahndung einer Rückkehr in den Ruhestand des Lebens verknüpft, welche das Gefühl und die Vorstellung des Sinkens und Abnehmens unsers Vergnügens herbeyführt.</p> <p>Liebe ist daher in Beziehung auf den Grundtrieb unsers Wesens im bestimmtesten Sinne: <hi rendition="#g">Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens</hi>, und in dieser Bedeutung steht ihr vorwärts nichts entgegen; rückwärts aber jede Wollust und Wonne anderer Art.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [279/0279]
Geduld. Vorwärts steht ihr entgegen die Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens.
Ruhe ist unserer Natur weit weniger angemessen als Thätigkeit und Bestrebung. Wir lieben das Bewußtseyn der Wirksamkeit unserer Kräfte. Sie allein macht schon eine Art von Genuß für uns aus. Die Wollust oder Wonne der unthätigen Beschauung ist also minder reitzend für uns, als diejenige, die wir im Zustande des Strebens empfinden. Aus eben diesem Grunde übertrifft der Genuß des verweilenden Bestrebens den der endenden Begierde. Das Bewußtseyn, daß wir uns bereits in einem Zustande von Ausgelassenheit des Lebens befinden, verbunden mit der Vorahndung, daß dieser Zustand in seiner Dauer noch immer weiter ausgebildet werden könne, ist angenehmer als dasjenige Bewußtseyn, mit dem wir uns zwar im völligen Besitze eines Zustandes von Ausgelassenheit des Lebens befinden, nach dem wir heftig gestrebt haben, der aber weiter keinen Zusatz leidet. Denn mit diesem letzten Bewußtseyn ist die Vorahndung einer Rückkehr in den Ruhestand des Lebens verknüpft, welche das Gefühl und die Vorstellung des Sinkens und Abnehmens unsers Vergnügens herbeyführt.
Liebe ist daher in Beziehung auf den Grundtrieb unsers Wesens im bestimmtesten Sinne: Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens, und in dieser Bedeutung steht ihr vorwärts nichts entgegen; rückwärts aber jede Wollust und Wonne anderer Art.
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