Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.andern, der seiner Wohlthätigkeit wegen bewundert, geliebkoset seyn will; so giebt es Menschen, die ein unmittelbares Vergnügen an dem Gefühle ihrer eigenen Thätigkeit haben, nur darum gern hegen, pflegen, rathen, trösten und aufrichten, mithin die Belohnung ihrer Wohlthätigkeit in dem Gefühle der erhöheten Wirksamkeit ihrer Kräfte finden. Wie sollten Menschen dieser Art lieben? Sie sehen ihre Mitmenschen lieber krank als gesund, lieber traurig als froh, und empfinden Wonne nach der Maße, worin die Lagen und Verhältnisse derjenigen, für welche sie sich interessieren, verwickelt sind, und ihnen mehr Hindernisse zu überwinden, mehr Schwierigkeiten zu heben darbieten. Sie gleichen den Wundärzten, die sich über einen schlimmen Schaden an dem Körper ihres Patienten freuen, weil er ihre Aufmerksamkeit mehr spannt, und ihnen ein erhöhetes Gefühl ihrer Geschicklichkeit bey Ueberwindung großer Hindernisse einflößt. Wer so handelt, der treibt Tausch mit Thaten, die nur in ihren Folgen mit den Wirkungen der Liebe Aehnlichkeit haben, gegen selbstische Wonnegefühle. Und sollte Jemand wohlthun, weil er in einem künftigen Leben erst Wiedervergeltung seiner Wohlthätigkeit erwartet; der liebt nicht, der empfindet keine unmittelbare Wonne am Wohl seiner Nebenmenschen. Oft versteckt sich die Selbstheit noch feiner. Mancher trägt, indem er wohlthut, dem einzelnen Mitgliede der Gesellschaft die Schuld ab, die er gegen die Gesellschaft im Ganzen auf sich geladen hat. Sie ernährt, sie beschützt ihn; ihr verdankt er es, mit Sicherheit und Bequemlichkeit froh seyn zu können. Was ist gerechter und billiger, als daß er andere wieder froh und zufrieden mache? Vortrefflich! Höchst verdienstlich! Aber das andern, der seiner Wohlthätigkeit wegen bewundert, geliebkoset seyn will; so giebt es Menschen, die ein unmittelbares Vergnügen an dem Gefühle ihrer eigenen Thätigkeit haben, nur darum gern hegen, pflegen, rathen, trösten und aufrichten, mithin die Belohnung ihrer Wohlthätigkeit in dem Gefühle der erhöheten Wirksamkeit ihrer Kräfte finden. Wie sollten Menschen dieser Art lieben? Sie sehen ihre Mitmenschen lieber krank als gesund, lieber traurig als froh, und empfinden Wonne nach der Maße, worin die Lagen und Verhältnisse derjenigen, für welche sie sich interessieren, verwickelt sind, und ihnen mehr Hindernisse zu überwinden, mehr Schwierigkeiten zu heben darbieten. Sie gleichen den Wundärzten, die sich über einen schlimmen Schaden an dem Körper ihres Patienten freuen, weil er ihre Aufmerksamkeit mehr spannt, und ihnen ein erhöhetes Gefühl ihrer Geschicklichkeit bey Ueberwindung großer Hindernisse einflößt. Wer so handelt, der treibt Tausch mit Thaten, die nur in ihren Folgen mit den Wirkungen der Liebe Aehnlichkeit haben, gegen selbstische Wonnegefühle. Und sollte Jemand wohlthun, weil er in einem künftigen Leben erst Wiedervergeltung seiner Wohlthätigkeit erwartet; der liebt nicht, der empfindet keine unmittelbare Wonne am Wohl seiner Nebenmenschen. Oft versteckt sich die Selbstheit noch feiner. Mancher trägt, indem er wohlthut, dem einzelnen Mitgliede der Gesellschaft die Schuld ab, die er gegen die Gesellschaft im Ganzen auf sich geladen hat. Sie ernährt, sie beschützt ihn; ihr verdankt er es, mit Sicherheit und Bequemlichkeit froh seyn zu können. Was ist gerechter und billiger, als daß er andere wieder froh und zufrieden mache? Vortrefflich! Höchst verdienstlich! Aber das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0287" n="287"/> andern, der seiner Wohlthätigkeit wegen bewundert, geliebkoset seyn will; so giebt es Menschen, die ein unmittelbares Vergnügen an dem Gefühle ihrer eigenen Thätigkeit haben, nur darum gern hegen, pflegen, rathen, trösten und aufrichten, mithin die Belohnung ihrer Wohlthätigkeit in dem Gefühle der erhöheten Wirksamkeit ihrer Kräfte finden. Wie sollten Menschen dieser Art lieben? Sie sehen ihre Mitmenschen lieber krank als gesund, lieber traurig als froh, und empfinden Wonne nach der Maße, worin die Lagen und Verhältnisse derjenigen, für welche sie sich interessieren, verwickelt sind, und ihnen mehr Hindernisse zu überwinden, mehr Schwierigkeiten zu heben darbieten. Sie gleichen den Wundärzten, die sich über einen schlimmen Schaden an dem Körper ihres Patienten freuen, weil er ihre Aufmerksamkeit mehr spannt, und ihnen ein erhöhetes Gefühl ihrer Geschicklichkeit bey Ueberwindung großer Hindernisse einflößt.</p> <p>Wer so handelt, der treibt Tausch mit Thaten, die nur in ihren Folgen mit den Wirkungen der Liebe Aehnlichkeit haben, gegen selbstische Wonnegefühle. Und sollte Jemand wohlthun, weil er in einem künftigen Leben erst Wiedervergeltung seiner Wohlthätigkeit erwartet; der liebt nicht, der empfindet keine unmittelbare Wonne am Wohl seiner Nebenmenschen.</p> <p>Oft versteckt sich die Selbstheit noch feiner. Mancher trägt, indem er wohlthut, dem einzelnen Mitgliede der Gesellschaft die Schuld ab, die er gegen die Gesellschaft im Ganzen auf sich geladen hat. Sie ernährt, sie beschützt ihn; ihr verdankt er es, mit Sicherheit und Bequemlichkeit froh seyn zu können. Was ist gerechter und billiger, als daß er andere wieder froh und zufrieden mache? 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andern, der seiner Wohlthätigkeit wegen bewundert, geliebkoset seyn will; so giebt es Menschen, die ein unmittelbares Vergnügen an dem Gefühle ihrer eigenen Thätigkeit haben, nur darum gern hegen, pflegen, rathen, trösten und aufrichten, mithin die Belohnung ihrer Wohlthätigkeit in dem Gefühle der erhöheten Wirksamkeit ihrer Kräfte finden. Wie sollten Menschen dieser Art lieben? Sie sehen ihre Mitmenschen lieber krank als gesund, lieber traurig als froh, und empfinden Wonne nach der Maße, worin die Lagen und Verhältnisse derjenigen, für welche sie sich interessieren, verwickelt sind, und ihnen mehr Hindernisse zu überwinden, mehr Schwierigkeiten zu heben darbieten. Sie gleichen den Wundärzten, die sich über einen schlimmen Schaden an dem Körper ihres Patienten freuen, weil er ihre Aufmerksamkeit mehr spannt, und ihnen ein erhöhetes Gefühl ihrer Geschicklichkeit bey Ueberwindung großer Hindernisse einflößt.
Wer so handelt, der treibt Tausch mit Thaten, die nur in ihren Folgen mit den Wirkungen der Liebe Aehnlichkeit haben, gegen selbstische Wonnegefühle. Und sollte Jemand wohlthun, weil er in einem künftigen Leben erst Wiedervergeltung seiner Wohlthätigkeit erwartet; der liebt nicht, der empfindet keine unmittelbare Wonne am Wohl seiner Nebenmenschen.
Oft versteckt sich die Selbstheit noch feiner. Mancher trägt, indem er wohlthut, dem einzelnen Mitgliede der Gesellschaft die Schuld ab, die er gegen die Gesellschaft im Ganzen auf sich geladen hat. Sie ernährt, sie beschützt ihn; ihr verdankt er es, mit Sicherheit und Bequemlichkeit froh seyn zu können. Was ist gerechter und billiger, als daß er andere wieder froh und zufrieden mache? Vortrefflich! Höchst verdienstlich! Aber das
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