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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

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mir selbst gewählter Vater, erster meiner Freunde, Führer, Leiter meiner Jugend, Stütze meines reifern Alters! Euer Andenken soll besonders in meiner Seele herrschend seyn, während daß ich liebende Anhänglichkeit von der bloß liebenden Aufwallung unterscheide.

Zuneigung ist das Werk eines Augenblicks, aber Anhänglichkeit setzt Angewöhnung zum Voraus, unsere Zuneigung auf eine bestimmte Person zu richten.

Schon Thiere machen uns aufmerksam auf diesen Unterschied. Seht das freundliche Windspiel an, wie es durch Anschmiegen und reitzende Wendungen hüpfender Spiele jedem Vorübergehenden zu schmeicheln, und Freude um sich her zu verbreiten sucht! Dagegen beißt der mürrische Hund des Hirten jeden Fremden von sich ab, nimmt Speise und Liebkosung nur von der Hand des angewöhnten Herrn, begehrt wehklagend nach dessen Gegenwart bey der kleinsten Trennung, und wird selbst durch die härteste Begegnung nicht von ihm zurückgewiesen. Ja! man erzählt, was unser Herz so geneigt ist zu glauben, daß Thiere dieser Art, gleich trostlosen Geliebten, ihr Leben auf dem Grabe des geraubten Freundes geendigt haben. *) Eine gleiche Verschiedenheit

*) Unter mehrern Beyspielen solcher Anhänglichkeiten von Hunden an ihren Herrn, welche mehr oder weniger glaubwürdig sind, führe ich eins an, das mir von einem Augenzeugen erzählt ist, in dessen Wahrheitsliebe ich nicht den geringsten Zweifel setzen kann. In Landau lag ein Officier in Garnison, der einen häßlichen aber sehr treuen Hund hatte. Der Herr ward erstochen und heimlich verscharret. Der Hund fand den Ort aus und gab ihn durch sein Geheul und sein Kratzen denen zu erkennen, welche nach ihm suchten. Da der Officier im Duell erstochen war, so

mir selbst gewählter Vater, erster meiner Freunde, Führer, Leiter meiner Jugend, Stütze meines reifern Alters! Euer Andenken soll besonders in meiner Seele herrschend seyn, während daß ich liebende Anhänglichkeit von der bloß liebenden Aufwallung unterscheide.

Zuneigung ist das Werk eines Augenblicks, aber Anhänglichkeit setzt Angewöhnung zum Voraus, unsere Zuneigung auf eine bestimmte Person zu richten.

Schon Thiere machen uns aufmerksam auf diesen Unterschied. Seht das freundliche Windspiel an, wie es durch Anschmiegen und reitzende Wendungen hüpfender Spiele jedem Vorübergehenden zu schmeicheln, und Freude um sich her zu verbreiten sucht! Dagegen beißt der mürrische Hund des Hirten jeden Fremden von sich ab, nimmt Speise und Liebkosung nur von der Hand des angewöhnten Herrn, begehrt wehklagend nach dessen Gegenwart bey der kleinsten Trennung, und wird selbst durch die härteste Begegnung nicht von ihm zurückgewiesen. Ja! man erzählt, was unser Herz so geneigt ist zu glauben, daß Thiere dieser Art, gleich trostlosen Geliebten, ihr Leben auf dem Grabe des geraubten Freundes geendigt haben. *) Eine gleiche Verschiedenheit

*) Unter mehrern Beyspielen solcher Anhänglichkeiten von Hunden an ihren Herrn, welche mehr oder weniger glaubwürdig sind, führe ich eins an, das mir von einem Augenzeugen erzählt ist, in dessen Wahrheitsliebe ich nicht den geringsten Zweifel setzen kann. In Landau lag ein Officier in Garnison, der einen häßlichen aber sehr treuen Hund hatte. Der Herr ward erstochen und heimlich verscharret. Der Hund fand den Ort aus und gab ihn durch sein Geheul und sein Kratzen denen zu erkennen, welche nach ihm suchten. Da der Officier im Duell erstochen war, so
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[78/0078] mir selbst gewählter Vater, erster meiner Freunde, Führer, Leiter meiner Jugend, Stütze meines reifern Alters! Euer Andenken soll besonders in meiner Seele herrschend seyn, während daß ich liebende Anhänglichkeit von der bloß liebenden Aufwallung unterscheide. Zuneigung ist das Werk eines Augenblicks, aber Anhänglichkeit setzt Angewöhnung zum Voraus, unsere Zuneigung auf eine bestimmte Person zu richten. Schon Thiere machen uns aufmerksam auf diesen Unterschied. Seht das freundliche Windspiel an, wie es durch Anschmiegen und reitzende Wendungen hüpfender Spiele jedem Vorübergehenden zu schmeicheln, und Freude um sich her zu verbreiten sucht! Dagegen beißt der mürrische Hund des Hirten jeden Fremden von sich ab, nimmt Speise und Liebkosung nur von der Hand des angewöhnten Herrn, begehrt wehklagend nach dessen Gegenwart bey der kleinsten Trennung, und wird selbst durch die härteste Begegnung nicht von ihm zurückgewiesen. Ja! man erzählt, was unser Herz so geneigt ist zu glauben, daß Thiere dieser Art, gleich trostlosen Geliebten, ihr Leben auf dem Grabe des geraubten Freundes geendigt haben. *) Eine gleiche Verschiedenheit *) Unter mehrern Beyspielen solcher Anhänglichkeiten von Hunden an ihren Herrn, welche mehr oder weniger glaubwürdig sind, führe ich eins an, das mir von einem Augenzeugen erzählt ist, in dessen Wahrheitsliebe ich nicht den geringsten Zweifel setzen kann. In Landau lag ein Officier in Garnison, der einen häßlichen aber sehr treuen Hund hatte. Der Herr ward erstochen und heimlich verscharret. Der Hund fand den Ort aus und gab ihn durch sein Geheul und sein Kratzen denen zu erkennen, welche nach ihm suchten. Da der Officier im Duell erstochen war, so

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/78>, abgerufen am 21.11.2024.