Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

verlassen zu sehen, hängen gewiß nicht an der Person. Sie hängen an der Gattung. Jeder gerettete Kranke gehört ihnen auf gleiche Art an.

Auf der andern Seite ist es auch nicht genug, wenn das Bewußtseyn der befriedigten Selbstheit neben liebenden Affekten erweckt wird; man muß auch den Beschauungshang begünstigt fühlen, wenn die Anhänglichkeit an der Person wirklich liebend seyn soll. Ich muß fühlen, daß derjenige, an dem ich hänge, etwas an sich trage, das ihn als schön, als edel, als vollkommen, wenigstens als selten auszeichnet, und welches ich, wenn der Mensch mir bloß im Bilde erschiene, mit Wonne oder wenigstens mit Genügen anschauen möchte. Kurz, es muß etwas vorhanden seyn, das meine Aufmerksamkeit zuweilen darauf zurückführe: der Mensch, dessen Daseyn und Wohl dich mit Wonne erfüllt, ist nicht dein Selbst, ist nicht ein Mittel zur Verbesserung desselben. Es giebt Menschen genug, die sich wirklich stark an diejenigen anhängen, denen sie Gutes thun. Aber wenn diese letzten nichts als Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit sind, wozu jeder andere Mensch eben so gut dienen könnte; so wird sehr bald das ganze eigennützige Bewußtseyn herrschend werden, daß die Person nur ein Mittel sey, unsere sympathetischen Triebe zu befriedigen, und Selbstheit wird auf Liebe geimpft werden.

Diese Bemerkungen liegen bey den Behauptungen zum Grunde, welche man sehr oft im gemeinen Leben hört: ohne Gegenliebe sey keine dauernde Liebe, ohne Achtung sey keine Liebe. Sie lassen sich schwerlich in der Maße rechtfertigen, wie sie da aufgestellt sind. Aber diese Wahrheit liegt unstreitig darin: daß ohne ein gewisses abgemessenes Verhältniß von befriedigter Selbstheit

verlassen zu sehen, hängen gewiß nicht an der Person. Sie hängen an der Gattung. Jeder gerettete Kranke gehört ihnen auf gleiche Art an.

Auf der andern Seite ist es auch nicht genug, wenn das Bewußtseyn der befriedigten Selbstheit neben liebenden Affekten erweckt wird; man muß auch den Beschauungshang begünstigt fühlen, wenn die Anhänglichkeit an der Person wirklich liebend seyn soll. Ich muß fühlen, daß derjenige, an dem ich hänge, etwas an sich trage, das ihn als schön, als edel, als vollkommen, wenigstens als selten auszeichnet, und welches ich, wenn der Mensch mir bloß im Bilde erschiene, mit Wonne oder wenigstens mit Genügen anschauen möchte. Kurz, es muß etwas vorhanden seyn, das meine Aufmerksamkeit zuweilen darauf zurückführe: der Mensch, dessen Daseyn und Wohl dich mit Wonne erfüllt, ist nicht dein Selbst, ist nicht ein Mittel zur Verbesserung desselben. Es giebt Menschen genug, die sich wirklich stark an diejenigen anhängen, denen sie Gutes thun. Aber wenn diese letzten nichts als Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit sind, wozu jeder andere Mensch eben so gut dienen könnte; so wird sehr bald das ganze eigennützige Bewußtseyn herrschend werden, daß die Person nur ein Mittel sey, unsere sympathetischen Triebe zu befriedigen, und Selbstheit wird auf Liebe geimpft werden.

Diese Bemerkungen liegen bey den Behauptungen zum Grunde, welche man sehr oft im gemeinen Leben hört: ohne Gegenliebe sey keine dauernde Liebe, ohne Achtung sey keine Liebe. Sie lassen sich schwerlich in der Maße rechtfertigen, wie sie da aufgestellt sind. Aber diese Wahrheit liegt unstreitig darin: daß ohne ein gewisses abgemessenes Verhältniß von befriedigter Selbstheit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="88"/>
verlassen zu sehen, hängen gewiß nicht an der Person. Sie hängen an der Gattung. Jeder gerettete Kranke gehört ihnen auf gleiche Art an.</p>
          <p>Auf der andern Seite ist es auch nicht genug, wenn das Bewußtseyn der befriedigten Selbstheit neben liebenden Affekten erweckt wird; man muß auch den Beschauungshang begünstigt fühlen, wenn die Anhänglichkeit an der Person wirklich liebend seyn soll. Ich muß fühlen, daß derjenige, an dem ich hänge, etwas an sich trage, das ihn als schön, als edel, als vollkommen, wenigstens als selten auszeichnet, und welches ich, wenn der Mensch mir bloß im Bilde erschiene, mit Wonne oder wenigstens mit Genügen anschauen möchte. Kurz, es muß etwas vorhanden seyn, das meine Aufmerksamkeit zuweilen darauf zurückführe: der Mensch, dessen Daseyn und Wohl dich mit Wonne erfüllt, ist nicht dein Selbst, ist nicht ein Mittel zur Verbesserung desselben. Es giebt Menschen genug, die sich wirklich stark an diejenigen anhängen, denen sie Gutes thun. Aber wenn diese letzten nichts als Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit sind, wozu jeder andere Mensch eben so gut dienen könnte; so wird sehr bald das ganze eigennützige Bewußtseyn herrschend werden, daß die Person nur ein Mittel sey, unsere sympathetischen Triebe zu befriedigen, und Selbstheit wird auf Liebe geimpft werden.</p>
          <p>Diese Bemerkungen liegen bey den Behauptungen zum Grunde, welche man sehr oft im gemeinen Leben hört: ohne Gegenliebe sey keine dauernde Liebe, ohne Achtung sey keine Liebe. Sie lassen sich schwerlich in der Maße rechtfertigen, wie sie da aufgestellt sind. Aber diese Wahrheit liegt unstreitig darin: daß ohne ein gewisses abgemessenes Verhältniß von befriedigter Selbstheit
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0088] verlassen zu sehen, hängen gewiß nicht an der Person. Sie hängen an der Gattung. Jeder gerettete Kranke gehört ihnen auf gleiche Art an. Auf der andern Seite ist es auch nicht genug, wenn das Bewußtseyn der befriedigten Selbstheit neben liebenden Affekten erweckt wird; man muß auch den Beschauungshang begünstigt fühlen, wenn die Anhänglichkeit an der Person wirklich liebend seyn soll. Ich muß fühlen, daß derjenige, an dem ich hänge, etwas an sich trage, das ihn als schön, als edel, als vollkommen, wenigstens als selten auszeichnet, und welches ich, wenn der Mensch mir bloß im Bilde erschiene, mit Wonne oder wenigstens mit Genügen anschauen möchte. Kurz, es muß etwas vorhanden seyn, das meine Aufmerksamkeit zuweilen darauf zurückführe: der Mensch, dessen Daseyn und Wohl dich mit Wonne erfüllt, ist nicht dein Selbst, ist nicht ein Mittel zur Verbesserung desselben. Es giebt Menschen genug, die sich wirklich stark an diejenigen anhängen, denen sie Gutes thun. Aber wenn diese letzten nichts als Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit sind, wozu jeder andere Mensch eben so gut dienen könnte; so wird sehr bald das ganze eigennützige Bewußtseyn herrschend werden, daß die Person nur ein Mittel sey, unsere sympathetischen Triebe zu befriedigen, und Selbstheit wird auf Liebe geimpft werden. Diese Bemerkungen liegen bey den Behauptungen zum Grunde, welche man sehr oft im gemeinen Leben hört: ohne Gegenliebe sey keine dauernde Liebe, ohne Achtung sey keine Liebe. Sie lassen sich schwerlich in der Maße rechtfertigen, wie sie da aufgestellt sind. Aber diese Wahrheit liegt unstreitig darin: daß ohne ein gewisses abgemessenes Verhältniß von befriedigter Selbstheit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/88
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/88>, abgerufen am 21.11.2024.