Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.Dieser begeisterte Aneignungs- und Selbstverwandlungstrieb ist auch noch weit von Vollkommenheitssinn, Edel- und Schönheitssinn, von Genie und von Geschmack verschieden. Denn jene Triebe setzen weiter nichts zum Voraus, als die Gabe, sich ein gewisses Bild, dem wir einen für uns schätzungswerthen Vorzug, oder eine dunkel empfundene Vollkommenheit beylegen, lebhaft aneignen zu können. Dieß Bild kann aber, wenn es auf Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit reduciert wird, nichts an sich tragen, was unsern Enthusiasmus rechtfertigt. Ein dunkler Schatten, den wir nur sehr lebhaft auf unsere Lieblingstriebe beziehen, und der uns in einer zur Prüfung unfähigen Minute überrascht, reicht oft hin, unsere Phantasie völlig einzunehmen. Auch brauchen wir dabey unsere schaffende Einbildungskraft in keine große Unkosten zu setzen. Die Bilder können uns ganz fertig geliefert werden. Je weniger klar sie geliefert werden, je weniger sie die Prüfung des Verstandes und der Vernunft aushalten, um desto stärker pflegen sie auf uns zu wirken. Daher die Erfahrung, daß Begeisterte, Schwärmer und Wahnsinnige oft elende Erfinder, geniearme Dichter und Künstler, und geschmacklose Liebhaber des Schönen seyn können. Demungeachtet enthält die stärkere Anlage zur Geschlechtssympathie der Seele, jene feinere Ueppigkeit, jene höhere Lüsternheit, unstreitig eine sehr glückliche Disposition zu liebenden Affekten, und zu Wonnegefühlen des Vollkommenen, Edeln und Schönen, wenn Herz und richtiger Anschauungssinn damit verbunden sind. Schwerlich wird man sich eine liebende Seele denken können, die nicht hohen Werth auf Häuslichkeit, auf üppige Dieser begeisterte Aneignungs- und Selbstverwandlungstrieb ist auch noch weit von Vollkommenheitssinn, Edel- und Schönheitssinn, von Genie und von Geschmack verschieden. Denn jene Triebe setzen weiter nichts zum Voraus, als die Gabe, sich ein gewisses Bild, dem wir einen für uns schätzungswerthen Vorzug, oder eine dunkel empfundene Vollkommenheit beylegen, lebhaft aneignen zu können. Dieß Bild kann aber, wenn es auf Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit reduciert wird, nichts an sich tragen, was unsern Enthusiasmus rechtfertigt. Ein dunkler Schatten, den wir nur sehr lebhaft auf unsere Lieblingstriebe beziehen, und der uns in einer zur Prüfung unfähigen Minute überrascht, reicht oft hin, unsere Phantasie völlig einzunehmen. Auch brauchen wir dabey unsere schaffende Einbildungskraft in keine große Unkosten zu setzen. Die Bilder können uns ganz fertig geliefert werden. Je weniger klar sie geliefert werden, je weniger sie die Prüfung des Verstandes und der Vernunft aushalten, um desto stärker pflegen sie auf uns zu wirken. Daher die Erfahrung, daß Begeisterte, Schwärmer und Wahnsinnige oft elende Erfinder, geniearme Dichter und Künstler, und geschmacklose Liebhaber des Schönen seyn können. Demungeachtet enthält die stärkere Anlage zur Geschlechtssympathie der Seele, jene feinere Ueppigkeit, jene höhere Lüsternheit, unstreitig eine sehr glückliche Disposition zu liebenden Affekten, und zu Wonnegefühlen des Vollkommenen, Edeln und Schönen, wenn Herz und richtiger Anschauungssinn damit verbunden sind. Schwerlich wird man sich eine liebende Seele denken können, die nicht hohen Werth auf Häuslichkeit, auf üppige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <pb facs="#f0153" n="153"/> <p>Dieser begeisterte Aneignungs- und Selbstverwandlungstrieb ist auch noch weit von Vollkommenheitssinn, Edel- und Schönheitssinn, von Genie und von Geschmack verschieden. 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Daher die Erfahrung, daß Begeisterte, Schwärmer und Wahnsinnige oft elende Erfinder, geniearme Dichter und Künstler, und geschmacklose Liebhaber des Schönen seyn können.</p> <p>Demungeachtet enthält die stärkere Anlage zur Geschlechtssympathie der Seele, jene feinere Ueppigkeit, jene höhere Lüsternheit, unstreitig eine sehr glückliche Disposition zu liebenden Affekten, und zu Wonnegefühlen des Vollkommenen, Edeln und Schönen, wenn Herz und richtiger Anschauungssinn damit verbunden sind. Schwerlich wird man sich eine liebende Seele denken können, die nicht hohen Werth auf Häuslichkeit, auf üppige </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [153/0153]
Dieser begeisterte Aneignungs- und Selbstverwandlungstrieb ist auch noch weit von Vollkommenheitssinn, Edel- und Schönheitssinn, von Genie und von Geschmack verschieden. Denn jene Triebe setzen weiter nichts zum Voraus, als die Gabe, sich ein gewisses Bild, dem wir einen für uns schätzungswerthen Vorzug, oder eine dunkel empfundene Vollkommenheit beylegen, lebhaft aneignen zu können.
Dieß Bild kann aber, wenn es auf Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit reduciert wird, nichts an sich tragen, was unsern Enthusiasmus rechtfertigt. Ein dunkler Schatten, den wir nur sehr lebhaft auf unsere Lieblingstriebe beziehen, und der uns in einer zur Prüfung unfähigen Minute überrascht, reicht oft hin, unsere Phantasie völlig einzunehmen. Auch brauchen wir dabey unsere schaffende Einbildungskraft in keine große Unkosten zu setzen. Die Bilder können uns ganz fertig geliefert werden. Je weniger klar sie geliefert werden, je weniger sie die Prüfung des Verstandes und der Vernunft aushalten, um desto stärker pflegen sie auf uns zu wirken. Daher die Erfahrung, daß Begeisterte, Schwärmer und Wahnsinnige oft elende Erfinder, geniearme Dichter und Künstler, und geschmacklose Liebhaber des Schönen seyn können.
Demungeachtet enthält die stärkere Anlage zur Geschlechtssympathie der Seele, jene feinere Ueppigkeit, jene höhere Lüsternheit, unstreitig eine sehr glückliche Disposition zu liebenden Affekten, und zu Wonnegefühlen des Vollkommenen, Edeln und Schönen, wenn Herz und richtiger Anschauungssinn damit verbunden sind. Schwerlich wird man sich eine liebende Seele denken können, die nicht hohen Werth auf Häuslichkeit, auf üppige
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