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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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Friedrich übrig, als ein kleines Gütchen, dessen höchster Werth in der Jagdgerechtigkeit bestand, die er durch einen treuen Falken ausübt. Die Geschicklichkeit, womit dieser das Wildpret fing, diente, ihn kümmerlich zu ernähren. Der Ruf des seltenen Vogels kommt vor die Ohren des Sohnes der schönen Wittwe; dieser wünscht so eifrig ihn zu besitzen, daß er vor Begierde darnach erkrankt. Die Mutter, einzig bekümmert um die Erhaltung ihres Sohns, besucht unsern Friederich, in der Absicht, ihn um dieß sein Letztes zu bitten. Aber verlegen, ihr unbescheidenes Gesuch anzubringen, verschiebt sie es bis ans Ende des kärglichen Mahls, das sie bey ihm einnimmt. Nun tritt sie damit hervor! O Erstaunen! Der Arme hat den Falken schon hingegeben, um ihr, die alles für ihn ist, ein Gericht, einen vorübergehenden Genuß davon zu bereiten. So viel Aufopferung kann nicht unbelohnt bleiben. Mag der Knabe sterben: die Mutter verspricht dem edeln Friederich die Hand und das Herz, die sein ganzer voriger Aufwand nicht hatte gewinnen können.

Wie vollkommen gab hier die Liebe! Und dennoch giebt es noch edlere Gaben! Noch edlere? Ja! Die Veredlung unsers Wesens um der Liebe willen; die Veredlung des Wesens der Geliebten aus Liebe! Jenes Bestreben, uns der Geliebten immer würdiger zu zeigen, jene erhöhete Kraft, jene regsamere Lebendigkeit, mit der wir unsere sittliche Würde zu erhöhen streben: jene Opfer, die wir der Liebe durch Beherrschung eingewurzelter Schwächen darbringen; jene Beständigkeit, jenes Ausdauern unter allen Hindernissen, die weibliche Zartheit und äußere Umstände der Vereinigung entgegen setzen; jener Zusammenhang in unserm Betragen, woraus die

Friedrich übrig, als ein kleines Gütchen, dessen höchster Werth in der Jagdgerechtigkeit bestand, die er durch einen treuen Falken ausübt. Die Geschicklichkeit, womit dieser das Wildpret fing, diente, ihn kümmerlich zu ernähren. Der Ruf des seltenen Vogels kommt vor die Ohren des Sohnes der schönen Wittwe; dieser wünscht so eifrig ihn zu besitzen, daß er vor Begierde darnach erkrankt. Die Mutter, einzig bekümmert um die Erhaltung ihres Sohns, besucht unsern Friederich, in der Absicht, ihn um dieß sein Letztes zu bitten. Aber verlegen, ihr unbescheidenes Gesuch anzubringen, verschiebt sie es bis ans Ende des kärglichen Mahls, das sie bey ihm einnimmt. Nun tritt sie damit hervor! O Erstaunen! Der Arme hat den Falken schon hingegeben, um ihr, die alles für ihn ist, ein Gericht, einen vorübergehenden Genuß davon zu bereiten. So viel Aufopferung kann nicht unbelohnt bleiben. Mag der Knabe sterben: die Mutter verspricht dem edeln Friederich die Hand und das Herz, die sein ganzer voriger Aufwand nicht hatte gewinnen können.

Wie vollkommen gab hier die Liebe! Und dennoch giebt es noch edlere Gaben! Noch edlere? Ja! Die Veredlung unsers Wesens um der Liebe willen; die Veredlung des Wesens der Geliebten aus Liebe! Jenes Bestreben, uns der Geliebten immer würdiger zu zeigen, jene erhöhete Kraft, jene regsamere Lebendigkeit, mit der wir unsere sittliche Würde zu erhöhen streben: jene Opfer, die wir der Liebe durch Beherrschung eingewurzelter Schwächen darbringen; jene Beständigkeit, jenes Ausdauern unter allen Hindernissen, die weibliche Zartheit und äußere Umstände der Vereinigung entgegen setzen; jener Zusammenhang in unserm Betragen, woraus die

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[253/0253] Friedrich übrig, als ein kleines Gütchen, dessen höchster Werth in der Jagdgerechtigkeit bestand, die er durch einen treuen Falken ausübt. Die Geschicklichkeit, womit dieser das Wildpret fing, diente, ihn kümmerlich zu ernähren. Der Ruf des seltenen Vogels kommt vor die Ohren des Sohnes der schönen Wittwe; dieser wünscht so eifrig ihn zu besitzen, daß er vor Begierde darnach erkrankt. Die Mutter, einzig bekümmert um die Erhaltung ihres Sohns, besucht unsern Friederich, in der Absicht, ihn um dieß sein Letztes zu bitten. Aber verlegen, ihr unbescheidenes Gesuch anzubringen, verschiebt sie es bis ans Ende des kärglichen Mahls, das sie bey ihm einnimmt. Nun tritt sie damit hervor! O Erstaunen! Der Arme hat den Falken schon hingegeben, um ihr, die alles für ihn ist, ein Gericht, einen vorübergehenden Genuß davon zu bereiten. So viel Aufopferung kann nicht unbelohnt bleiben. Mag der Knabe sterben: die Mutter verspricht dem edeln Friederich die Hand und das Herz, die sein ganzer voriger Aufwand nicht hatte gewinnen können. Wie vollkommen gab hier die Liebe! Und dennoch giebt es noch edlere Gaben! Noch edlere? Ja! Die Veredlung unsers Wesens um der Liebe willen; die Veredlung des Wesens der Geliebten aus Liebe! Jenes Bestreben, uns der Geliebten immer würdiger zu zeigen, jene erhöhete Kraft, jene regsamere Lebendigkeit, mit der wir unsere sittliche Würde zu erhöhen streben: jene Opfer, die wir der Liebe durch Beherrschung eingewurzelter Schwächen darbringen; jene Beständigkeit, jenes Ausdauern unter allen Hindernissen, die weibliche Zartheit und äußere Umstände der Vereinigung entgegen setzen; jener Zusammenhang in unserm Betragen, woraus die

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/253>, abgerufen am 22.11.2024.