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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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So fleht Hero ihren Leander bey aller Ungeduld, die sie ihn zu sehen empfindet, daß er zurückbleibe, und sein Leben nicht in Gefahr setze. So trennt sich St. Preux von Julien, um die Ruhe ihres Gewissens wieder herzustellen! So fliehst du, edle Gabrielle, deinen Coucy, um dich und ihn ferner zu achten!

Es giebt ein Bestreben nach Annäherung, das zu gesucht ist, als daß es wahr und zweckmäßig seyn könnte. Beyspiele davon liefern viele Sonnette des Petrarca, denen man nicht so wohl wahre Darstellung eines leidenschaftlichen Zustandes, als den des liebenden Strebens nach Vereinigung mit der Person der Geliebten absprechen darf. Wenn er sich über den Tod seiner Laura freuet, weil er sie nun unter den Sternen sieht, wer erkennt hierin nicht den Dichter der in sein Ideal verliebt ist! Mehrere Gleichnisse und Beziehungen beym Ovid, die gleichfalls jenen Trieb nach physischer Annäherung ausdrücken sollen, verrathen mehr Witz als Empfindung.

Je zusammenhängender, je bestimmter, je wohlgeordneter und angemessener das liebende Streben nach Zusammenseyn sich ankündigt, je mehr es mit sich selbst übereinstimmt, um desto mehr paßt das Bild der Vollkommenheit auf dessen innern Gehalt. Welch ein Opfer bringt nicht St. Preux, der von Paris nach Vevay eilt, seine Julie, die an Blattern krank darnieder liegt, zu sehen, durch seinen Anblick vielleicht ihr Leiden zu mildern, und der sich selbst der Gefahr der Ansteckung und des Todes aussetzt!

Oft besteht aber diese Vollkommenheit nicht mit den Forderungen, die unser Edelsinn an diese Proben der Liebe macht, die Liebe ist dann nur vollkommen in ihrer Art. Es ist vielleicht ein eben so großes Opfer, als

So fleht Hero ihren Leander bey aller Ungeduld, die sie ihn zu sehen empfindet, daß er zurückbleibe, und sein Leben nicht in Gefahr setze. So trennt sich St. Preux von Julien, um die Ruhe ihres Gewissens wieder herzustellen! So fliehst du, edle Gabrielle, deinen Coucy, um dich und ihn ferner zu achten!

Es giebt ein Bestreben nach Annäherung, das zu gesucht ist, als daß es wahr und zweckmäßig seyn könnte. Beyspiele davon liefern viele Sonnette des Petrarca, denen man nicht so wohl wahre Darstellung eines leidenschaftlichen Zustandes, als den des liebenden Strebens nach Vereinigung mit der Person der Geliebten absprechen darf. Wenn er sich über den Tod seiner Laura freuet, weil er sie nun unter den Sternen sieht, wer erkennt hierin nicht den Dichter der in sein Ideal verliebt ist! Mehrere Gleichnisse und Beziehungen beym Ovid, die gleichfalls jenen Trieb nach physischer Annäherung ausdrücken sollen, verrathen mehr Witz als Empfindung.

Je zusammenhängender, je bestimmter, je wohlgeordneter und angemessener das liebende Streben nach Zusammenseyn sich ankündigt, je mehr es mit sich selbst übereinstimmt, um desto mehr paßt das Bild der Vollkommenheit auf dessen innern Gehalt. Welch ein Opfer bringt nicht St. Preux, der von Paris nach Vevay eilt, seine Julie, die an Blattern krank darnieder liegt, zu sehen, durch seinen Anblick vielleicht ihr Leiden zu mildern, und der sich selbst der Gefahr der Ansteckung und des Todes aussetzt!

Oft besteht aber diese Vollkommenheit nicht mit den Forderungen, die unser Edelsinn an diese Proben der Liebe macht, die Liebe ist dann nur vollkommen in ihrer Art. Es ist vielleicht ein eben so großes Opfer, als

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[274/0274] So fleht Hero ihren Leander bey aller Ungeduld, die sie ihn zu sehen empfindet, daß er zurückbleibe, und sein Leben nicht in Gefahr setze. So trennt sich St. Preux von Julien, um die Ruhe ihres Gewissens wieder herzustellen! So fliehst du, edle Gabrielle, deinen Coucy, um dich und ihn ferner zu achten! Es giebt ein Bestreben nach Annäherung, das zu gesucht ist, als daß es wahr und zweckmäßig seyn könnte. Beyspiele davon liefern viele Sonnette des Petrarca, denen man nicht so wohl wahre Darstellung eines leidenschaftlichen Zustandes, als den des liebenden Strebens nach Vereinigung mit der Person der Geliebten absprechen darf. Wenn er sich über den Tod seiner Laura freuet, weil er sie nun unter den Sternen sieht, wer erkennt hierin nicht den Dichter der in sein Ideal verliebt ist! Mehrere Gleichnisse und Beziehungen beym Ovid, die gleichfalls jenen Trieb nach physischer Annäherung ausdrücken sollen, verrathen mehr Witz als Empfindung. Je zusammenhängender, je bestimmter, je wohlgeordneter und angemessener das liebende Streben nach Zusammenseyn sich ankündigt, je mehr es mit sich selbst übereinstimmt, um desto mehr paßt das Bild der Vollkommenheit auf dessen innern Gehalt. Welch ein Opfer bringt nicht St. Preux, der von Paris nach Vevay eilt, seine Julie, die an Blattern krank darnieder liegt, zu sehen, durch seinen Anblick vielleicht ihr Leiden zu mildern, und der sich selbst der Gefahr der Ansteckung und des Todes aussetzt! Oft besteht aber diese Vollkommenheit nicht mit den Forderungen, die unser Edelsinn an diese Proben der Liebe macht, die Liebe ist dann nur vollkommen in ihrer Art. Es ist vielleicht ein eben so großes Opfer, als

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/274>, abgerufen am 22.11.2024.