Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.in dieser Art kennen. Nichts unwahreres dagegen als die Briefe, die sich in den meisten Romanen, und besonders in denen der Mademoiselle Scuderi finden. Aber selbst in Rousseaus Heloise sind viele Briefe, besonders von Julien, die zwar durch den Ausdruck der Sittlichkeit, durch die Ermunterungen zum Guten, die sie enthalten, edel, aber als Ausdruck der Liebe unwahr sind. Sie würden dem Pädagogen besser ziemen, als dem liebenden Weibe. Unter den Heroiden des Ovid giebt es viele Briefe, die wohlgefällig durch ihre Form, aber ohne wahren und ohne edeln Gehalt sind. Dagegen trifft man im gemeinen Leben viele Briefe an, die weder von Seiten der Sittlichkeit, noch des schönen Styls unsern Beyfall verdienen, aber durch den Ausdruck eines tief gerührten Herzens hinreißen. Und es ist unbegreiflich, wie die Leidenschaft den Menschen von den mittelmäßigsten Anlagen selbst in ihrem Style nachhilft. Daher kommt es, daß Schriftsteller, die sonst höchst mittelmäßige Produkte geliefert haben, in Werken, welche ein gerührtes Herz eingegeben hatte, sich selbst übertroffen haben. Die lettres de Babet von Boursault können zum Beweise dienen. Wie viele andere höchst berühmte Nahmen könnte ich neben diesem nennen! Wieder aber sinken geistreiche Menschen, die sonst den Styl ganz in ihrer Gewalt haben, unter sich selbst herab, wenn sie bey kaltem Herzen eine Leidenschaft in ihren Briefen heucheln! Alles Gesuchte, alles Weithergeholte ist dem Charakter der Liebe zuwider! Aber es läßt sich bey dem wahrhaft Liebenden eine frühere Bildung denken, die sich selbst in dieser Art kennen. Nichts unwahreres dagegen als die Briefe, die sich in den meisten Romanen, und besonders in denen der Mademoiselle Scuderi finden. Aber selbst in Rousseaus Heloise sind viele Briefe, besonders von Julien, die zwar durch den Ausdruck der Sittlichkeit, durch die Ermunterungen zum Guten, die sie enthalten, edel, aber als Ausdruck der Liebe unwahr sind. Sie würden dem Pädagogen besser ziemen, als dem liebenden Weibe. Unter den Heroiden des Ovid giebt es viele Briefe, die wohlgefällig durch ihre Form, aber ohne wahren und ohne edeln Gehalt sind. Dagegen trifft man im gemeinen Leben viele Briefe an, die weder von Seiten der Sittlichkeit, noch des schönen Styls unsern Beyfall verdienen, aber durch den Ausdruck eines tief gerührten Herzens hinreißen. Und es ist unbegreiflich, wie die Leidenschaft den Menschen von den mittelmäßigsten Anlagen selbst in ihrem Style nachhilft. Daher kommt es, daß Schriftsteller, die sonst höchst mittelmäßige Produkte geliefert haben, in Werken, welche ein gerührtes Herz eingegeben hatte, sich selbst übertroffen haben. Die lettres de Babet von Boursault können zum Beweise dienen. Wie viele andere höchst berühmte Nahmen könnte ich neben diesem nennen! Wieder aber sinken geistreiche Menschen, die sonst den Styl ganz in ihrer Gewalt haben, unter sich selbst herab, wenn sie bey kaltem Herzen eine Leidenschaft in ihren Briefen heucheln! Alles Gesuchte, alles Weithergeholte ist dem Charakter der Liebe zuwider! Aber es läßt sich bey dem wahrhaft Liebenden eine frühere Bildung denken, die sich selbst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0282" n="282"/> in dieser Art kennen. Nichts unwahreres dagegen als die Briefe, die sich in den meisten Romanen, und besonders in denen der Mademoiselle Scuderi finden. Aber selbst in Rousseaus Heloise sind viele Briefe, besonders von Julien, die zwar durch den Ausdruck der Sittlichkeit, durch die Ermunterungen zum Guten, die sie enthalten, edel, aber als Ausdruck der Liebe unwahr sind. Sie würden dem Pädagogen besser ziemen, als dem liebenden Weibe. 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in dieser Art kennen. Nichts unwahreres dagegen als die Briefe, die sich in den meisten Romanen, und besonders in denen der Mademoiselle Scuderi finden. Aber selbst in Rousseaus Heloise sind viele Briefe, besonders von Julien, die zwar durch den Ausdruck der Sittlichkeit, durch die Ermunterungen zum Guten, die sie enthalten, edel, aber als Ausdruck der Liebe unwahr sind. Sie würden dem Pädagogen besser ziemen, als dem liebenden Weibe. Unter den Heroiden des Ovid giebt es viele Briefe, die wohlgefällig durch ihre Form, aber ohne wahren und ohne edeln Gehalt sind.
Dagegen trifft man im gemeinen Leben viele Briefe an, die weder von Seiten der Sittlichkeit, noch des schönen Styls unsern Beyfall verdienen, aber durch den Ausdruck eines tief gerührten Herzens hinreißen. Und es ist unbegreiflich, wie die Leidenschaft den Menschen von den mittelmäßigsten Anlagen selbst in ihrem Style nachhilft. Daher kommt es, daß Schriftsteller, die sonst höchst mittelmäßige Produkte geliefert haben, in Werken, welche ein gerührtes Herz eingegeben hatte, sich selbst übertroffen haben. Die lettres de Babet von Boursault können zum Beweise dienen. Wie viele andere höchst berühmte Nahmen könnte ich neben diesem nennen! Wieder aber sinken geistreiche Menschen, die sonst den Styl ganz in ihrer Gewalt haben, unter sich selbst herab, wenn sie bey kaltem Herzen eine Leidenschaft in ihren Briefen heucheln!
Alles Gesuchte, alles Weithergeholte ist dem Charakter der Liebe zuwider! Aber es läßt sich bey dem wahrhaft Liebenden eine frühere Bildung denken, die sich selbst
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