Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.Wir können nehmlich auf die Bilder der Formen, welche unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen, Gesetze des Verstandes und der Vernunft anwenden, eine Wahrheit und eine Tüchtigkeit an ihnen erkennen, und dadurch auf eine Allgemeingültigkeit unsers Urtheils, daß eine gewisse Form bey der bloßen Beschauung mit Wonne empfunden werden müsse, Anspruch machen. Ohne diese Gesetzmäßigkeit gleicht das Schöne bloß dem Wohlschmeckenden, und ist keiner Beurtheilung zu unterwerfen. Es ist gewiß, daß die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, so immateriell sie an sich seyn mögen, sich dennoch unserer Seele unter Bildern darstellen, und gleichsam zu Regelformen werden können. Die regulären mathematischen Figuren geben davon auffallende Beyspiele. Aber überhaupt wird leicht zu fassender Zusammenhang und Bestimmtheit in den sinnlichen Merkmahlen, die wir von einem Bilde aufnehmen, zur Form der Wahrheit: ein leicht abzumessendes Verhältniß der Theile gegen einander, und des Ganzen des Bildes zu dem Raume und zu der Zeit, worin es erscheint, zur Form der Zweckmäßigkeit oder Tüchtigkeit. Der freyeste Zierrath kann diesen Regelformen unterworfen werden, ja er muß es werden, wenn er ästhetisch schön seyn soll. Nur in wenigen Fällen ist die Anwendung dieser Gesetze zu fein, als daß wir ihr auf die Spur kommen sollten; aber wir ahnden sie auch da, wo wir sie nicht begreifen. So kann bereits die unbedeutendste Blumenranke einen Umriß zeigen, der sich in allen seinen leicht an einander hängenden Direktionen bestimmt von dem Raume absondert, in dem er erscheint: Bild der Wahrheit; sie kann in ihren Sprossen wohl balanciert, in dem Verhältnisse ihrer Spitze zu ihrem Wir können nehmlich auf die Bilder der Formen, welche unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen, Gesetze des Verstandes und der Vernunft anwenden, eine Wahrheit und eine Tüchtigkeit an ihnen erkennen, und dadurch auf eine Allgemeingültigkeit unsers Urtheils, daß eine gewisse Form bey der bloßen Beschauung mit Wonne empfunden werden müsse, Anspruch machen. Ohne diese Gesetzmäßigkeit gleicht das Schöne bloß dem Wohlschmeckenden, und ist keiner Beurtheilung zu unterwerfen. Es ist gewiß, daß die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, so immateriell sie an sich seyn mögen, sich dennoch unserer Seele unter Bildern darstellen, und gleichsam zu Regelformen werden können. Die regulären mathematischen Figuren geben davon auffallende Beyspiele. Aber überhaupt wird leicht zu fassender Zusammenhang und Bestimmtheit in den sinnlichen Merkmahlen, die wir von einem Bilde aufnehmen, zur Form der Wahrheit: ein leicht abzumessendes Verhältniß der Theile gegen einander, und des Ganzen des Bildes zu dem Raume und zu der Zeit, worin es erscheint, zur Form der Zweckmäßigkeit oder Tüchtigkeit. Der freyeste Zierrath kann diesen Regelformen unterworfen werden, ja er muß es werden, wenn er ästhetisch schön seyn soll. Nur in wenigen Fällen ist die Anwendung dieser Gesetze zu fein, als daß wir ihr auf die Spur kommen sollten; aber wir ahnden sie auch da, wo wir sie nicht begreifen. So kann bereits die unbedeutendste Blumenranke einen Umriß zeigen, der sich in allen seinen leicht an einander hängenden Direktionen bestimmt von dem Raume absondert, in dem er erscheint: Bild der Wahrheit; sie kann in ihren Sprossen wohl balanciert, in dem Verhältnisse ihrer Spitze zu ihrem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0036" n="36"/> <p>Wir können nehmlich auf die Bilder der Formen, welche unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen, Gesetze des Verstandes und der Vernunft anwenden, eine Wahrheit und eine Tüchtigkeit an ihnen erkennen, und dadurch auf eine Allgemeingültigkeit unsers Urtheils, daß eine gewisse Form bey der bloßen Beschauung mit Wonne empfunden werden <hi rendition="#g">müsse</hi>, Anspruch machen. 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Wir können nehmlich auf die Bilder der Formen, welche unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen, Gesetze des Verstandes und der Vernunft anwenden, eine Wahrheit und eine Tüchtigkeit an ihnen erkennen, und dadurch auf eine Allgemeingültigkeit unsers Urtheils, daß eine gewisse Form bey der bloßen Beschauung mit Wonne empfunden werden müsse, Anspruch machen. Ohne diese Gesetzmäßigkeit gleicht das Schöne bloß dem Wohlschmeckenden, und ist keiner Beurtheilung zu unterwerfen.
Es ist gewiß, daß die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, so immateriell sie an sich seyn mögen, sich dennoch unserer Seele unter Bildern darstellen, und gleichsam zu Regelformen werden können. Die regulären mathematischen Figuren geben davon auffallende Beyspiele. Aber überhaupt wird leicht zu fassender Zusammenhang und Bestimmtheit in den sinnlichen Merkmahlen, die wir von einem Bilde aufnehmen, zur Form der Wahrheit: ein leicht abzumessendes Verhältniß der Theile gegen einander, und des Ganzen des Bildes zu dem Raume und zu der Zeit, worin es erscheint, zur Form der Zweckmäßigkeit oder Tüchtigkeit.
Der freyeste Zierrath kann diesen Regelformen unterworfen werden, ja er muß es werden, wenn er ästhetisch schön seyn soll. Nur in wenigen Fällen ist die Anwendung dieser Gesetze zu fein, als daß wir ihr auf die Spur kommen sollten; aber wir ahnden sie auch da, wo wir sie nicht begreifen. So kann bereits die unbedeutendste Blumenranke einen Umriß zeigen, der sich in allen seinen leicht an einander hängenden Direktionen bestimmt von dem Raume absondert, in dem er erscheint: Bild der Wahrheit; sie kann in ihren Sprossen wohl balanciert, in dem Verhältnisse ihrer Spitze zu ihrem
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