Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Mitleiden und zur Hülfe auffordert. Inzwischen hängt Glück, Gesundheit, Frohsinn nicht von uns ab. Ist es möglich, daß wir dem Verbündeten den Anblick unserer Leiden ganz entziehen können? Gewiß nicht! Aber was wir können, was uns zu Gebote steht, ist jene Geduld, jene Fassung, jene Ruhe, womit wir unsern Geist über das Zufällige hinaus heben, und allen Angriffen des feindlichen Schicksals einen gefaßten Sinn entgegensetzen. Nichts interessiert die Sympathie so sehr, als dieser Anblick, verbunden mit der Ahndung, daß der Geliebte dem Liebenden einen Theil seiner Leiden aus Delicatesse entzieht, und ihn nicht durch ewige Klagen ermüdet. Diese kluge Vorsicht erhöhet zugleich das Gefühl der Selbständigkeit und der Achtung.

Eine andere Vorsicht, welche Liebende anzuwenden haben, ist diese, sich nicht durch übertriebene Fürsorge, und übertriebene Aeußerungen des Antheils, den sie an einander nehmen, lästig zu werden. So wohlthuend es ist, ein Wesen neben uns zu sehen, das alle unsere Bedürfnisse ahndet, eifrig bemüht ist, ihnen abzuhelfen, und wenn es keine Hülfe zu geben weiß, uns wenigstens aufrichtige Theilnehmung schenkt; so leicht kann doch ein andringliches Ausspähen, eine kindische Aengstlichkeit, ein unruhiges Umhertreiben, widrig werden. Es ist schwer, hier die wahre Mittelstraße zu halten. Aber Delicatesse der Empfindungen, und Kenntniß des individuellen Charakters des Verbündeten wird sie zu finden und zu bewahren wissen.

Coquetten nutzen oft das Mittel, die Eifersucht anzufachen, um durch die Furcht, daß ihr Herz verloren werden könnte, den Geliebten zu fesseln. Ein trauriges Mittel für ein zärtliches Herz, das gequält, das geängstigt

zum Mitleiden und zur Hülfe auffordert. Inzwischen hängt Glück, Gesundheit, Frohsinn nicht von uns ab. Ist es möglich, daß wir dem Verbündeten den Anblick unserer Leiden ganz entziehen können? Gewiß nicht! Aber was wir können, was uns zu Gebote steht, ist jene Geduld, jene Fassung, jene Ruhe, womit wir unsern Geist über das Zufällige hinaus heben, und allen Angriffen des feindlichen Schicksals einen gefaßten Sinn entgegensetzen. Nichts interessiert die Sympathie so sehr, als dieser Anblick, verbunden mit der Ahndung, daß der Geliebte dem Liebenden einen Theil seiner Leiden aus Delicatesse entzieht, und ihn nicht durch ewige Klagen ermüdet. Diese kluge Vorsicht erhöhet zugleich das Gefühl der Selbständigkeit und der Achtung.

Eine andere Vorsicht, welche Liebende anzuwenden haben, ist diese, sich nicht durch übertriebene Fürsorge, und übertriebene Aeußerungen des Antheils, den sie an einander nehmen, lästig zu werden. So wohlthuend es ist, ein Wesen neben uns zu sehen, das alle unsere Bedürfnisse ahndet, eifrig bemüht ist, ihnen abzuhelfen, und wenn es keine Hülfe zu geben weiß, uns wenigstens aufrichtige Theilnehmung schenkt; so leicht kann doch ein andringliches Ausspähen, eine kindische Aengstlichkeit, ein unruhiges Umhertreiben, widrig werden. Es ist schwer, hier die wahre Mittelstraße zu halten. Aber Delicatesse der Empfindungen, und Kenntniß des individuellen Charakters des Verbündeten wird sie zu finden und zu bewahren wissen.

Coquetten nutzen oft das Mittel, die Eifersucht anzufachen, um durch die Furcht, daß ihr Herz verloren werden könnte, den Geliebten zu fesseln. Ein trauriges Mittel für ein zärtliches Herz, das gequält, das geängstigt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0365" n="365"/>
zum Mitleiden und zur Hülfe auffordert. Inzwischen hängt Glück, Gesundheit, Frohsinn nicht von uns ab. Ist es möglich, daß wir dem Verbündeten den Anblick unserer Leiden ganz entziehen können? Gewiß nicht! Aber was wir können, was uns zu Gebote steht, ist jene Geduld, jene Fassung, jene Ruhe, womit wir unsern Geist über das Zufällige hinaus heben, und allen Angriffen des feindlichen Schicksals einen gefaßten Sinn entgegensetzen. Nichts interessiert die Sympathie so sehr, als dieser Anblick, verbunden mit der Ahndung, daß der Geliebte dem Liebenden einen Theil seiner Leiden aus Delicatesse entzieht, und ihn nicht durch ewige Klagen ermüdet. Diese kluge Vorsicht erhöhet zugleich das Gefühl der Selbständigkeit und der Achtung.</p>
          <p>Eine andere Vorsicht, welche Liebende anzuwenden haben, ist diese, sich nicht durch übertriebene Fürsorge, und übertriebene Aeußerungen des Antheils, den sie an einander nehmen, lästig zu werden. So wohlthuend es ist, ein Wesen neben uns zu sehen, das alle unsere Bedürfnisse ahndet, eifrig bemüht ist, ihnen abzuhelfen, und wenn es keine Hülfe zu geben weiß, uns wenigstens aufrichtige Theilnehmung schenkt; so leicht kann doch ein andringliches Ausspähen, eine kindische Aengstlichkeit, ein unruhiges Umhertreiben, widrig werden. Es ist schwer, hier die wahre Mittelstraße zu halten. Aber Delicatesse der Empfindungen, und Kenntniß des individuellen Charakters des Verbündeten wird sie zu finden und zu bewahren wissen.</p>
          <p>Coquetten nutzen oft das Mittel, die Eifersucht anzufachen, um durch die Furcht, daß ihr Herz verloren werden könnte, den Geliebten zu fesseln. Ein trauriges Mittel für ein zärtliches Herz, das gequält, das geängstigt
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0365] zum Mitleiden und zur Hülfe auffordert. Inzwischen hängt Glück, Gesundheit, Frohsinn nicht von uns ab. Ist es möglich, daß wir dem Verbündeten den Anblick unserer Leiden ganz entziehen können? Gewiß nicht! Aber was wir können, was uns zu Gebote steht, ist jene Geduld, jene Fassung, jene Ruhe, womit wir unsern Geist über das Zufällige hinaus heben, und allen Angriffen des feindlichen Schicksals einen gefaßten Sinn entgegensetzen. Nichts interessiert die Sympathie so sehr, als dieser Anblick, verbunden mit der Ahndung, daß der Geliebte dem Liebenden einen Theil seiner Leiden aus Delicatesse entzieht, und ihn nicht durch ewige Klagen ermüdet. Diese kluge Vorsicht erhöhet zugleich das Gefühl der Selbständigkeit und der Achtung. Eine andere Vorsicht, welche Liebende anzuwenden haben, ist diese, sich nicht durch übertriebene Fürsorge, und übertriebene Aeußerungen des Antheils, den sie an einander nehmen, lästig zu werden. So wohlthuend es ist, ein Wesen neben uns zu sehen, das alle unsere Bedürfnisse ahndet, eifrig bemüht ist, ihnen abzuhelfen, und wenn es keine Hülfe zu geben weiß, uns wenigstens aufrichtige Theilnehmung schenkt; so leicht kann doch ein andringliches Ausspähen, eine kindische Aengstlichkeit, ein unruhiges Umhertreiben, widrig werden. Es ist schwer, hier die wahre Mittelstraße zu halten. Aber Delicatesse der Empfindungen, und Kenntniß des individuellen Charakters des Verbündeten wird sie zu finden und zu bewahren wissen. Coquetten nutzen oft das Mittel, die Eifersucht anzufachen, um durch die Furcht, daß ihr Herz verloren werden könnte, den Geliebten zu fesseln. Ein trauriges Mittel für ein zärtliches Herz, das gequält, das geängstigt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/365
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/365>, abgerufen am 22.11.2024.