Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Schöne zu fühlen. Alles dieß sind Empfindungen, die man bey der Menge, oder bey dem Ganzen der Gesellschaft, nicht allgemein wirksam voraussetzen kann.

Die meisten Gesetzgeber haben die Grenzen ihrer Macht nicht verkannt. Einige haben sich aber so sehr an das allgemeine Beste des Staats mit Vernachlässigung des Wohls der Einzelnen halten wollen, daß sie, um die Geschlechtssympathie allgemein schätzungswerth, d. h. der ganzen Gesellschaft recht nutzbar und nützlich zu machen, ihr die Gestalt eines völlig thierischen Triebes, einer wild umherschweifenden Begierde gegeben haben. Aus Furcht, daß Zärtlichkeit und Leidenschaft zur einzelnen Person der Vaterlandsliebe, dem Ehrgeitz und dem kriegerischen Muthe gefährlich werden könnten, haben sie junge Gemüther früh zur Schamlosigkeit anführen, alle Ideen von Eigenthum der Herzen und der Körper unterdrücken, und eine völlige Gemeinschaft der Weiber und der Männer festsetzen wollen. Ich zweifle, daß diese Ideen in einem policierten Staate je realisiert werden können; sollten sie es aber gewesen seyn, so bin ich überzeugt, daß eine solche Einrichtung, welche den natürlichsten Anlagen des Menschen zur Sympathie und sogar zur Selbstheit widerspricht, schwerlich mit Sicherheit der Personen und des Eigenthums auf die Länge bestanden haben könne.

Andere, welche der Natur getreuer geblieben sind, haben die Geschlechtssympathie dazu genutzt, den Ehrgeitz und den kriegerischen Muth zu entflammen, indem sie den Besitz des Weibes zum Lohne des tapfersten Kriegers gemacht, oder den Beyfall des zärteren Geschlechts zum Preise verwegener Abenteuer aufgesteckt haben. So die Samniter: so die Völker, bey denen die Chevalerie

Schöne zu fühlen. Alles dieß sind Empfindungen, die man bey der Menge, oder bey dem Ganzen der Gesellschaft, nicht allgemein wirksam voraussetzen kann.

Die meisten Gesetzgeber haben die Grenzen ihrer Macht nicht verkannt. Einige haben sich aber so sehr an das allgemeine Beste des Staats mit Vernachlässigung des Wohls der Einzelnen halten wollen, daß sie, um die Geschlechtssympathie allgemein schätzungswerth, d. h. der ganzen Gesellschaft recht nutzbar und nützlich zu machen, ihr die Gestalt eines völlig thierischen Triebes, einer wild umherschweifenden Begierde gegeben haben. Aus Furcht, daß Zärtlichkeit und Leidenschaft zur einzelnen Person der Vaterlandsliebe, dem Ehrgeitz und dem kriegerischen Muthe gefährlich werden könnten, haben sie junge Gemüther früh zur Schamlosigkeit anführen, alle Ideen von Eigenthum der Herzen und der Körper unterdrücken, und eine völlige Gemeinschaft der Weiber und der Männer festsetzen wollen. Ich zweifle, daß diese Ideen in einem policierten Staate je realisiert werden können; sollten sie es aber gewesen seyn, so bin ich überzeugt, daß eine solche Einrichtung, welche den natürlichsten Anlagen des Menschen zur Sympathie und sogar zur Selbstheit widerspricht, schwerlich mit Sicherheit der Personen und des Eigenthums auf die Länge bestanden haben könne.

Andere, welche der Natur getreuer geblieben sind, haben die Geschlechtssympathie dazu genutzt, den Ehrgeitz und den kriegerischen Muth zu entflammen, indem sie den Besitz des Weibes zum Lohne des tapfersten Kriegers gemacht, oder den Beyfall des zärteren Geschlechts zum Preise verwegener Abenteuer aufgesteckt haben. So die Samniter: so die Völker, bey denen die Chevalerie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0076" n="76"/>
Schöne zu fühlen. Alles dieß sind Empfindungen, die man bey der Menge, oder bey dem Ganzen der Gesellschaft, nicht allgemein wirksam voraussetzen kann.</p>
          <p>Die meisten Gesetzgeber haben die Grenzen ihrer Macht nicht verkannt. Einige haben sich aber so sehr an das allgemeine Beste des Staats mit Vernachlässigung des Wohls der Einzelnen halten wollen, daß sie, um die Geschlechtssympathie allgemein schätzungswerth, d. h. der ganzen Gesellschaft recht nutzbar und nützlich zu machen, ihr die Gestalt eines völlig thierischen Triebes, einer wild umherschweifenden Begierde gegeben haben. Aus Furcht, daß Zärtlichkeit und Leidenschaft zur einzelnen Person der Vaterlandsliebe, dem Ehrgeitz und dem kriegerischen Muthe gefährlich werden könnten, haben sie junge Gemüther früh zur Schamlosigkeit anführen, alle Ideen von Eigenthum der Herzen und der Körper unterdrücken, und eine völlige Gemeinschaft der Weiber und der Männer festsetzen wollen. Ich zweifle, daß diese Ideen in einem policierten Staate je realisiert werden können; sollten sie es aber gewesen seyn, so bin ich überzeugt, daß eine solche Einrichtung, welche den natürlichsten Anlagen des Menschen zur Sympathie und sogar zur Selbstheit widerspricht, schwerlich mit Sicherheit der Personen und des Eigenthums auf die Länge bestanden haben könne.</p>
          <p>Andere, welche der Natur getreuer geblieben sind, haben die Geschlechtssympathie dazu genutzt, den Ehrgeitz und den kriegerischen Muth zu entflammen, indem sie den Besitz des Weibes zum Lohne des tapfersten Kriegers gemacht, oder den Beyfall des zärteren Geschlechts zum Preise verwegener Abenteuer aufgesteckt haben. So die Samniter: so die Völker, bey denen die Chevalerie
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0076] Schöne zu fühlen. Alles dieß sind Empfindungen, die man bey der Menge, oder bey dem Ganzen der Gesellschaft, nicht allgemein wirksam voraussetzen kann. Die meisten Gesetzgeber haben die Grenzen ihrer Macht nicht verkannt. Einige haben sich aber so sehr an das allgemeine Beste des Staats mit Vernachlässigung des Wohls der Einzelnen halten wollen, daß sie, um die Geschlechtssympathie allgemein schätzungswerth, d. h. der ganzen Gesellschaft recht nutzbar und nützlich zu machen, ihr die Gestalt eines völlig thierischen Triebes, einer wild umherschweifenden Begierde gegeben haben. Aus Furcht, daß Zärtlichkeit und Leidenschaft zur einzelnen Person der Vaterlandsliebe, dem Ehrgeitz und dem kriegerischen Muthe gefährlich werden könnten, haben sie junge Gemüther früh zur Schamlosigkeit anführen, alle Ideen von Eigenthum der Herzen und der Körper unterdrücken, und eine völlige Gemeinschaft der Weiber und der Männer festsetzen wollen. Ich zweifle, daß diese Ideen in einem policierten Staate je realisiert werden können; sollten sie es aber gewesen seyn, so bin ich überzeugt, daß eine solche Einrichtung, welche den natürlichsten Anlagen des Menschen zur Sympathie und sogar zur Selbstheit widerspricht, schwerlich mit Sicherheit der Personen und des Eigenthums auf die Länge bestanden haben könne. Andere, welche der Natur getreuer geblieben sind, haben die Geschlechtssympathie dazu genutzt, den Ehrgeitz und den kriegerischen Muth zu entflammen, indem sie den Besitz des Weibes zum Lohne des tapfersten Kriegers gemacht, oder den Beyfall des zärteren Geschlechts zum Preise verwegener Abenteuer aufgesteckt haben. So die Samniter: so die Völker, bey denen die Chevalerie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/76
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/76>, abgerufen am 26.11.2024.