Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.die nicht in das Wesen der Freundschaft gehörten. 12) Dennoch soll diese Verbindung für rein von Ausschweifungen der Sinnlichkeit gehalten seyn! Wie das? Die Sache ist sogleich erklärbar. Grobe Aeußerungen der körperlichen Geschlechtssympathie sind gar nicht nothwendig, um den Begriff der Geschlechtsliebe, selbst der leidenschaftlichen, zu gründen. Genug, wenn sie die Modifikation einer lüsternen Begeisterung annimmt, die allemahl zur Geschlechtssympathie gehört, und bey der, nach meiner Ausführung im zweyten Theile dieses Werks, so leicht körperliche Triebe im Geheimen mitwirken, wenn anders der Körper desjenigen, dessen Seele geliebt wird, sie zu erwecken im Stande ist. Diese Kraft hatten die schönen Gestalten der Jünglinge bey den Atheniensern um so mehr, als die allgemeine Denkungsart des Volks ihre Wirksamkeit nicht niederschlug. Es läßt sich folglich nicht behaupten, daß die Liebe zu den Lieblingen, wie sie zu den Zeiten der Sokratischen Schule von den Sitten gebilligt wurde, Freundschaft gewesen sey. Sie war vielmehr eine auf Geschlechtssympathie, und selbst auf mitwirkende körperliche Triebe, gebauete Zärtlichkeit, mithin Geschlechtsliebe, und diese brach sogar oft in grobe Symptomen aus. Auf der andern Seite war sie aber auch nicht, was Andere behauptet haben, Folge grober körperlicher Lust. Diese schlich sich nur mit ein, und erhielt zuweilen die Oberhand. 13 Nirgends findet sich beym 12) Cic. Tusc. Quaest. Libr. VI. Quis est iste amor amicitiae? Cur neque deformem adolescentem quisquam amat, neque formosum senem, etc. Die ganze Stelle ist sehr merkwürdig. 13 Man vergleiche die angeführte Stelle des Cicero.
die nicht in das Wesen der Freundschaft gehörten. 12) Dennoch soll diese Verbindung für rein von Ausschweifungen der Sinnlichkeit gehalten seyn! Wie das? Die Sache ist sogleich erklärbar. Grobe Aeußerungen der körperlichen Geschlechtssympathie sind gar nicht nothwendig, um den Begriff der Geschlechtsliebe, selbst der leidenschaftlichen, zu gründen. Genug, wenn sie die Modifikation einer lüsternen Begeisterung annimmt, die allemahl zur Geschlechtssympathie gehört, und bey der, nach meiner Ausführung im zweyten Theile dieses Werks, so leicht körperliche Triebe im Geheimen mitwirken, wenn anders der Körper desjenigen, dessen Seele geliebt wird, sie zu erwecken im Stande ist. Diese Kraft hatten die schönen Gestalten der Jünglinge bey den Atheniensern um so mehr, als die allgemeine Denkungsart des Volks ihre Wirksamkeit nicht niederschlug. Es läßt sich folglich nicht behaupten, daß die Liebe zu den Lieblingen, wie sie zu den Zeiten der Sokratischen Schule von den Sitten gebilligt wurde, Freundschaft gewesen sey. Sie war vielmehr eine auf Geschlechtssympathie, und selbst auf mitwirkende körperliche Triebe, gebauete Zärtlichkeit, mithin Geschlechtsliebe, und diese brach sogar oft in grobe Symptomen aus. Auf der andern Seite war sie aber auch nicht, was Andere behauptet haben, Folge grober körperlicher Lust. Diese schlich sich nur mit ein, und erhielt zuweilen die Oberhand. 13 Nirgends findet sich beym 12) Cic. Tusc. Quaest. Libr. VI. Quis est iste amor amicitiae? Cur neque deformem adolescentem quisquam amat, neque formosum senem, etc. Die ganze Stelle ist sehr merkwürdig. 13 Man vergleiche die angeführte Stelle des Cicero.
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die nicht in das Wesen der Freundschaft gehörten. 12) Dennoch soll diese Verbindung für rein von Ausschweifungen der Sinnlichkeit gehalten seyn! Wie das? Die Sache ist sogleich erklärbar. Grobe Aeußerungen der körperlichen Geschlechtssympathie sind gar nicht nothwendig, um den Begriff der Geschlechtsliebe, selbst der leidenschaftlichen, zu gründen. Genug, wenn sie die Modifikation einer lüsternen Begeisterung annimmt, die allemahl zur Geschlechtssympathie gehört, und bey der, nach meiner Ausführung im zweyten Theile dieses Werks, so leicht körperliche Triebe im Geheimen mitwirken, wenn anders der Körper desjenigen, dessen Seele geliebt wird, sie zu erwecken im Stande ist. Diese Kraft hatten die schönen Gestalten der Jünglinge bey den Atheniensern um so mehr, als die allgemeine Denkungsart des Volks ihre Wirksamkeit nicht niederschlug. Es läßt sich folglich nicht behaupten, daß die Liebe zu den Lieblingen, wie sie zu den Zeiten der Sokratischen Schule von den Sitten gebilligt wurde, Freundschaft gewesen sey. Sie war vielmehr eine auf Geschlechtssympathie, und selbst auf mitwirkende körperliche Triebe, gebauete Zärtlichkeit, mithin Geschlechtsliebe, und diese brach sogar oft in grobe Symptomen aus. Auf der andern Seite war sie aber auch nicht, was Andere behauptet haben, Folge grober körperlicher Lust. Diese schlich sich nur mit ein, und erhielt zuweilen die Oberhand. 13 Nirgends findet sich beym
12) Cic. Tusc. Quaest. Libr. VI. Quis est iste amor amicitiae? Cur neque deformem adolescentem quisquam amat, neque formosum senem, etc.
Die ganze Stelle ist sehr merkwürdig.
13 Man vergleiche die angeführte Stelle des Cicero.
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